Viel der Worte, Witz und Weisheit – Poetry Slam in der Undinger Zehntscheuer

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Erster Poetry Slam in der Undinger Zehntscheuer am Samstagabend vor nur rund 20 Zuschauern – Wiederholung im kommenden Jahr angesagt

Tja. Nun können sich also all die Zuschauerinnen und Zuhörer ärgern, die am Samstagabend nicht in der Zehntscheuer in Undingen waren. Klar – vielleicht haben sie noch nie was von Poetry Slam gehört. Kann ja vorkommen. Aber: Moderator Jochen Weeber hatte ja zu Beginn noch eindeutig erklärt, worum es geht: „Das ist wie ein moderner Dichter-Wettstreit.“ Nun gut, werden sich auch manche des aus nur etwa 20 Köpfen bestehenden Publikums gedacht haben. Aber was mag da auf mich zukommen?

Als erste Künstlerin nach Jochen Weeber betrat Elli Pauline die Bühne in diesem wirklich außergewöhnlichen Veranstaltungsort. Pauline studiert eigentlich in Tübingen, will Lehrerin werden. Sie brachte dem Publikum aber zunächst einen gereimten Text über eine psychische Erkrankung nahe. Ungewöhnlich. „Du weißt nicht, wer du bist, schreibst ein Plädoyer an die Angst, dass du noch kannst.“ Sie wolle zurück in ihren Kokon, um dann doch zu rufen: „Lass uns zusammen Metamorphose betreiben.“ Sehr lyrisch, sehr poetisch. Sehr schön, aber doch auch ängstlich. Ähnlich ihr zweiter Text nach der Pause, über die Mauer in unseren Köpfen. Wenn Vorurteile Stück für Stück aufeinandergeschichtet werden, dann sollen Mauern schützen? „Wann beginnen wir uns auf Brücken anstatt auf Mauern zu verlassen“, fragte Elli Pauline sehr weise.

Anders, aber doch auch sehr nachdenklich, präsentierte sich Oliver Horn. Der Medizinstudent befasste sich mit einem Tabu, der Masturbation. Er sprach ebenfalls in sehr poetischen Formulierungen vom „Suchtzyklus“ und endete mit einem Appell: „Ähnlich verschwiegene Themen, wir müssen aufklären, uns gegen Tabus wehren“. Sein zweiter Text lautete „Sand im Kopfkino“ und enthielt erneut viel Weisheit: „Das Leben wird kürzer, während wir immer länger warten.“ Angesichts der Künstler auf der Bühne, die noch jung an Jahren waren, musste ihre Vernunft und Klugheit erstaunen.

Dritte Poetry-Slammerin an diesem faszinierenden Abend war Silvi Marx unter ihrem Pseudonym Schwester UnGold: „Bei mir ist alles noch ein bisschen anders“, sagte sie. Sie brachte nicht wie die anderen Künstler einen längeren Text auf die Bühne in der Zehntscheuer, sondern gleich mehrere – und zwar aus ihrem eigenen, persönlichen Alltag. Aus Altbach stammend, hatte sie „keine schwere Kindheit, nee, meine Eltern waren eigentlich ganz okay“. Sie sang ein Loblied auf die Pechmarie (anstatt auf Schwester Goldmarie) und zog den Schluss: „Die Wahrheit liegt auf der faulen Haut.“ Die Leistung liege im Bett und habe Migräne. „Ich will was probieren, die Welt mit Faulheit revolutionieren.“ In ihrem zweiten Teil lästerte sie über SUV-Fahrer genauso wie über Radler: „Böse sein, geht auch mit Lastenrad.“

Der Brüller des Abends in Undingen war Richard Koenig: Der junge Mann sei der, „mit der meisten Bühnenerfahrung“, so Moderator Weeber. Koenig nahm sich konstant selbst auf die berühmte Schippe, versprach „viel Anmoderation für wenig Inhalt“, berichtete aus seinen Kindheitsträumen, aus denen allemal nichts wurde. Er stamme aus einem Kaff bei Schwäbisch Hall, „da gab’s einmal im Monat WLAN, wenn der Flixbus durchfuhr“. Und heute? Sei es auch nicht besser: „Will ich Kuchen backen, wird’s Lasagne.“ Und das Ende vom Text? „Den habe ich noch nicht geschrieben“, hörte er verblüffend abrupt auf und erntete vom begeisterten Publikum erneut Lachsalven.

Sein zweiter Teil? „Ich habe auch ruhige, lyrische Texte – die mach ich heute aber nicht.“ Stattdessen ein Zwiegespräch. „Du machst Rap“, fragte sein zweites Ich entgeistert. „Du bist so Gangsta wie’n Krawattenknoten.“ Dann doch lieber Schlager? Weil das doch viel mehr Kohle bringe. Irgendwas mit Herz, Schmerz, blabla und Alkohol. „Bei Richard Koenig liegen Genie und Wahnsinn so nah beieinander“, schlussfolgerte nicht nur Moderator Weeber unter Lachen.

Weil so eine Veranstaltung mit Musik noch besser funktioniert, hatte Jochen Weeber seine Tochter Nele mitgebracht. Gemeinsam mit David Holzäpfel bereicherte das Duo mit ihren faszinierenden Stimmen und eigenen Liedern das Programm an diesem Abend zusätzlich. Und somit endete diese Veranstaltung auch für die Ehrenamtlichen vom Kulturverein Zehntscheuer Undingen in der vollsten Überzeugung: Solch ein Poetry Slam müsse nächstes Jahr unbedingt wiederholt werden. Dann vielleicht, bestimmt, ganz sicher mit deutlich mehr Publikum.

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