Urbana.rt: Rund 50 Künstlerinnen und Künstler gestalten die Wände des Echaz-Kanals entlang der Gutenbergstraße mit Graffiti-Kunstwerken Von Norbert Leister
„Graffiti ist mehr als nur Farbe auf einer Wand“, betonte Uwe Weber am vergangenen Wochenende zur Eröffnung der fünften urbana.rt, der jährlichen Kunstaktion zur Gestaltung des öffentlichen Raums. „Graffiti ist eine Form des Ausdrucks, die Geschichten erzählt, Emotionen weckt und oft auch gesellschaftliche Geschichten erzählt“, so Weber als Leiter des Amts für Schulen, Jugend und Sport.
Konzentriert schaute Giuliano Tica (Foto ganz oben) auf die Wand vor sich. Hinter ihm rauschte die Echaz vorbei, die Sonne strahlte dem jungen Künstler aus Degerschlacht ins Genick, „Mir tut schon langsam der Finger weh“, sagte der Schüler, der am Samstag 15 Jahre alt wurde. Eine Skizze seines Werks lag vor ihm, „einfach losgehen und eine Wand besprühen, ohne Konzept – das geht nicht“, betonte Giuliano.
Schon im April habe er begonnen, sich Gedanken über sein persönliches Kunstwerk zu machen. Wie er den Schriftzug Shiva gestalten will. „Shiva ist ein italienischer Rapper.“ Und eine indische Gottheit, fügte er hinzu. Giuliano war schon bei der urbana.rt am Innoport dabei und am Echazhafen.
Außer dem Nachwuchskünstler sind noch weitere bei der urbana.rt dabei, insgesamt rund 50 Personen, elf sind aus den Partnerstädten Reading (USA) und Aarau (Schweiz) angereist – ein paar aus Bouaké (Elfenbeinküste) absolvieren schon seit einigen Monaten in Reutlingen ein Freiwilliges Soziales Jahr. „Die Schüler der Kunstschule aus Ellesmere Port mussten zuhause bleiben, weil ihr Flieger wegen des Software-Updates am Freitag nicht abheben konnte“, berichtet Aram Jaich. Als Sachgebietsleiter in der Jugendabteilung stand er zusammen mit Julius Zenker (pädagogischer Mitarbeiter im Jugendhaus Hohbuch) hinter der diesjährigen urbana.rt.
Beteiligt war aber auch das Kulturamt der Stadt: Petra Bannasch und Elke Gruner sorgten für die Unterkunft, Essen und auch Bespaßung der angereisten Künstlerinnen und Künstler aus den Partnerstädten. „Wir hatten eine Stadtführung organisiert, bei der sich die Leute aus den USA und aus der Schweiz schon näherkamen“, so Gruner.
Im Mittelpunkt stand am Wochenende aber natürlich die Erstellung der persönlichen Werke in dieser außergewöhnlichen Atmosphäre im Echaz-Kanal entlang der Gutenbergstraße. Sind die Betonwände dort bislang wohl kaum jemandem aufgefallen, wird das künftig anders sein. Bunt, vielfältig, ansprechend, anregend, nachdenklich machend, manchmal vielleicht auch Fragezeichen in den Gesichtern verursachend – all das dürften die Kunstwerke der rund 50 Künstler nun auslösen.
Mit am Werk waren am Wochenende im Übrigen auch Maler-Azubis der Firma Heinrich Schmid, Studierende der Design- und Kunst-Akademie Reutlingen und Mitglieder des Jugendgemeinderats. „Wir wollen als Stadt die Jugendkultur und den Austausch zwischen internationalen Künstlern fördern, dabei kreative Räume im urbanen Raum schaffen“, betonte Uwe Weber. „Urbana.rt ist in der Lage, städtische Räume zu transformieren und zu beleben.“
Der jüngste Sprayer war nach den Worten von Julius Zenker zwölf Jahre alt, der älteste um die 50. Vorgaben für die Kunstwerke an den Betonwänden habe es keine gegeben. Reine Schmiererei sollte es natürlich nicht werden – „aber es ist müßig, darüber zu diskutieren, was schön ist und was nicht“, betonte Jaich. Den Nachwuchskünstlern soll mit der urbana.rt eine Plattform geboten werden. „Es ist ja noch nie ein Meister vom Himmel gefallen.“
Die ersten Jahre dieser besonderen Kunstveranstaltung „fanden wir kaum Flächen, die zur Verfügung gestellt wurden“, betonte Ulrich Schubert, der als Jaichs Amtsvorgänger die Aktion ins Leben gerufen hatte. Die Unterscheidung zwischen Kunst und Schmiererei liege zumeist darin, ob die Eigentümer der besprühten Flächen ihre Einwilligung gegeben haben, erläuterte Weber. „Ohne Zustimmung ist das Sachbeschädigung und kann zu rechtlichen Konsequenzen für die Sprayer führen.“
Am vergangenen Wochenende war das allerdings keine Frage. Die Stimmung war extrem entspannt, das Wetter bestens, die Hitze im Kanal erträglich, die Künstlerinnen und Künstler hochkonzentriert bei der Arbeit. Und die Kunstwerke können nun jederzeit begutachtet werden – vom alten Postgelände aus. Oder vom Fußweg aus zwischen Kunstmuseum und franz.K. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.