Sozialmediziner Prof. Gerhard Trabert in Reutlingen

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Mainzer Sozialmediziner Prof. Gerhard Trabert auf Einladung der Reutlinger Linken zu Gast an der Achalm

 Der Zug, mit dem Gerhard Trabert am 7. Mai nach Reutlingen kam, hatte nur rund 15 Minuten Verspätung. Es war nicht das erste Mal, dass der Arzt und Sozialarbeiter an der Achalm Station machte. Am Dienstag verknüpfte er einen Vortrag abends (als „Wahlkampfhöhepunkt“, wie Rüdiger Weckmann betonte)  bei den Reutlinger Linken mit einem Besuch in der Notübernachtung der AWO und im Tagestreff. Danach folgte noch ein Abstecher nach Tübingen, um schließlich im Reutlinger Spitalhof über die Ungerechtigkeiten der Armut zu berichten.

Uli Högel (von links) und Heike Hein informierten Gerhard Trabert, Rüdiger Weckmann und Manfred König über das Angebot der AWO für Wohnungslose in Reutlingen.

Ein dicht gedrängtes Programm, das allerdings im Vergleich zu seinen sonstigen Aktivitäten – um Straßenkindern in Kenia zu helfen, Menschen in Syrien, im Irak, bei der Seenotrettung im Mittelmeer oder auch mit seinem Arzt-Mobil bei der aufsuchenden Hilfe von Wohnungslosen in Mainz – angesichts all dieser Hilfseinsätze war der Ausflug in die hiesige Region wohl fast schon ein Kurzurlaub? Wer weiß, immerhin ist Gerhard Trabert nicht mehr der Allerjüngste mit seinen 68 Jahren. Er könnte schon längst in Rente sein, doch sein Alter hält ihn nicht davon ab, bei der jetzigen Europawahl für die Linken in Mainz zu kandidieren.

Was den studierten Sozialarbeiter und Mediziner, einstigen Professor an der Hochschule in Wiesbaden und in Nürnberg sowie Kandidat der Linken im Februar 2022 für das Amt des Bundespräsidenten antreibt? „Ich kann und will Ungerechtigkeit nicht akzeptieren“, sagte er nach seinem Vortrag im Reutlinger Spitalhof. Auch die Kandidatur für das Präsidentenamt habe er einzig nutzen wollen, um dem Thema Armut und Gesundheit mehr Öffentlichkeit und Gewicht zu verleihen.

Trabert handle aber nicht allein aus Altruismus, also weil er völlig selbstlos sei – er schätze „die intensive Form der Begegnung“. Die Begegnung mit Menschen am Rand der Gesellschaft, mit den vergessenen, misshandelten, süchtigen, verletzten Personen, die sonst kaum jemand sieht. Genau die hat er fast sein ganzes Leben lang ganz fest in den Blick genommen. Doch anstatt das Leid dieser Menschen zu beklagen, hilft er.

Dafür hat er sich auch mit der Ärztekammer und der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Mainz herumgeschlagen, denn: So einfach losfahren mit einem Arzt-Mobil und den Menschen auf der Straße helfen, das durfte er nämlich nicht. Wo kämen wir denn hin, wenn das jeder machen würde? Er brauchte eine Zulassung, um auch Rezepte ausstellen zu können und Menschen ins Krankenhaus zu überweisen.

1997 war das, als erster Arzt in Deutschland hat er eine Ermächtigung von der KV erhalten, mit einer mobilen Praxis losziehen zu dürfen. Berichtet hat er davon am Dienstag in der Notübernachtung der AWO in der Glaserstraße. In Reutlingen laufen nämlich auch Pläne, solch ein Arzt-Mobil auf die Füße – beziehungsweise die Reifen – zu stellen.

2013 hat Gerhard Trabert in Mainz neben dem Arzt-Mobil eine „Ambulanz ohne Grenzen“ aufgemacht. Dort behandeln 20 Ärztinnen aus allen Fachrichtungen, Sozialarbeiter und Pflegerinnen Wohnungslose und Menschen, die keine Krankenversicherung haben (mehr dazu unter www.armut-gesundheit.de). Davon berichtete er auch am Dienstagabend im Spitalhof. Viele EU-Bürger seien unter den Patienten, Haftentlassene, aber auch Menschen ohne jegliche Ausweispapiere. Nationalitäten, Religionen, Hautfarben – all das spielt für Trabert keine Rolle. Er hilft allen Menschen. Und ganz besonders denen, die keinen Anspruch auf Hilfe haben. Von denen gebe es in Deutschland nach seinen Schätzungen mehr als eine halbe Million.

Das sei ein Skandal, genauso wie die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Der Arzt, Mediziner und Politiker Gerhard Trabert forderte am Dienstagabend eine Erhöhung des Bürgergelds um 200 Euro – im Gegensatz zu CDU und FDP, die eine Absenkung wollen. Und Trabert betont: „Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht.“ Ein Menschenrecht, das viel zu vielen Menschen in Deutschland vorenthalten werde. 21 Euro pro Monat seien im Bürgergeld für Gesundheit vorgesehen. Auch das ein Skandal, ganz besonders für chronisch Kranke. Kein Wunder, dass arme Frauen rund 4,4 Jahre früher sterben als wohlhabendere? Bei Männern seien es sogar mehr als 8 Jahre weniger Leben. „So viele Politiker sind ganz weit weg von der Realität von Bürgergeldempfängern“, so Gerhard Trabert.

Warum er für die Linken nach Brüssel will? Weil er genau sieht, dass er mit seinen Hilfen in Mainz oder auch im Ausland zwar punktuell helfen kann. Aber um nachhaltiger Änderungen voranzutreiben, müsse er sich politisch engagieren. Und warum bei den Linken? „Weil das die einzige Partei ist, die das Thema Armut ganz oben auf ihre Agenda gesetzt hat“, so der Sozialmediziner.

Doch er steht noch hinter anderen Forderungen der Linken: Im Vergleich von Bürgergeldbetrug und Steuerhinterziehung gehe es bei ersterem um minimale Summen – während Steuerhinterziehung und solche kriminellen Geschäfte wie Cum-Ex den Staat um Milliarden betrügen. Übrigens seien mehr als 76 Prozent der Bevölkerung für eine Vermögenssteuer. „Und wir brauchen eine solidarische Grundversorgung für alle.“

Die AfD sei allerdings gegen Erbschafts- und Vermögenssteuer. Zudem stigmatisiere die vermeintliche Alternative Menschen aus sozialen Randgruppen und bezeichne sie als Asoziale. Erschreckend sei außerdem laut Trabert, dass Sarah Wagenknecht und ihr Bündnis gerade mit dem Blick auf Flüchtlinge nicht weit entfernt von der AfD sei. „Ich verstehe nicht, wie man von den Linken zum Bündnis Sarah Wagenknecht wechseln kann“, so Gerhard Trabert.

Von der Reutlinger AWO zeigte sich Trabert allerdings tief beeindruckt: „Das ist toll, was hier in der Stadt für Wohnungslose getan wird.“ Gegen Dienstagmittag war der Arzt in der Glaserstraße und im Tagestreff. AWO-Fachbereichsleiterin Heike Hein, Geschäftsführer Uli Högel sowie die Linken Manfred König und Rüdiger Weckmann hatten Trabert dort empfangen. Hein und Högel klärten den Mainzer über das umfangreiche Angebot der AWO für Wohnungslose auf, auch im Bereich der Prävention.

Und in der Beschaffung von Wohnraum – als sie davon berichteten, dass die AWO rund 100 Wohnungen angemietet hat, um sie an Wohnungslose weiterzuvermieten, bewertete Trabert als enorm positiv. Auch die Nachricht, dass in Reutlingen aufgrund des guten Angebots so gut wie niemand auf der Straße leben müsse, fand die Bewunderung von Gerhard Trabert. Die Reutlinger bei einem Arzt-Mobil zu unterstützen, sei für ihn keine Frage. Er regte den Austausch an und sagte: „Vielleicht kommt ja der Reutlinger Arzt einfach mal nach Mainz.“

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