Menschen zurückgewinnen, aber wie? – Innovationstag der Landeskirche in Reutlingen

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Innovationstag der Württembergischen Kirche am Samstag in Reutlingen – Mehr als 1000 Besucher verteilten sich auf eine riesige Anzahl an Vorträgen, Workshops und Mitmach-Angebote

Muss sich Kirche neu erfinden, damit nicht weiter Hunderttausende die Institution verlassen? Vor dieser gravierenden Frage steht auch die evangelische Kirche in Württemberg – und sie hat reagiert und am vergangenen Samstag den Reutlinger Innovationstag, einen kleinen Kirchentag, auf die Füße gestellt. Zu spät? Nur wenige Tage zuvor hatte die Evangelische Kirche Deutschlands die Nachricht ereilt, dass sie im vergangenen Jahr rund 560.000 Menschen verloren hat, von denen etwa 380.000 ausgetreten sind.

Aber: „Die neuesten Zahlen sind mal wieder so ein Nackenschlag“, betonte Dr. Klaus Douglass am Samstagvormittag in einem Gespräch mit Moderatorin Doro Plutte in der Reutlinger Stadthalle. Wirklich neu sei das Problem der Austritte nicht, schob der Theologe und Philosoph nach. An diesem „Innovationstag“ in Reutlingen gab sich die württembergische Landeskirche alles andere als verstaubt, das Gespräch zwischen Douglass und Plutte war auf der Bühne der Reutlinger Stadthalle kein einfaches Gespräch – es wird ab Montag als Podcast auf der Homepage www.gemeindebegeistert.de stehen. Genauso wie einige andere Gespräche, die beim Innovationstag entstanden sind und mitgeschnitten wurden.

Kirche präsentierte sich am Samstag modern – mit viel Lightshow und Popmusik.

„Krisen sind ja eine Riesenchance – wenn wir als Kirche nur mal zugeben würden, dass wir in einer Krise sind“, hatte Douglass gesagt. Es müsse sich dringend was ändern, in dieser pluralistischen Welt funktioniere eine einzige Art von Gottesdienst nicht mehr, so Douglass. Doch Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl sah am Samstag auch Zeichen der Hoffnung: „Ich freue mich sehr, dass heute so viele Menschen da sind“ – mehr als 1200 waren an die Achalm in die Stadthalle gekommen. „Für mich ist das ein Zeichen, dass Kirche lebt“, so Gohl.

Kirche und Reiten – auch das bringen neue Ideen unter einen Hut.

„Es passiert so viel Gutes“, sagte der Bischof. In und um die Reutlinger Stadthalle herum waren Beispiele vor Ort, die sich präsentierten. Wie etwa ein Projekt, bei dem Frauen pilgern, denn: „Frauen pilgern anders“, hieß es an einem Stand. Eine andere christliche Gruppierung stellte das Fahrrad in den Vordergrund, eine weitere das Reiten. Allein 13 innovative Projekte aus Reutlingen stellten sich beim Innovationstag vor. So etwa Abendsingen im Pflegeheim, Familienbildung für Väter, geschützter Raum für Flüchtlinge oder auch die Plattform Lebenswert der Kreuzkirche.

Kirche und Radfahren – auch das kann zusammenkommen, wie ein Stand vor der Stadthalle zeigte.

„Es passiert so viel Gutes“, so hatte es der Bischof formuliert. Und genau dieses Gute sollte am Samstag Inspirationsquelle für andere sein. Dazu gab es eine unglaublich große Zahl an Vorträgen, Workshops und Arbeitsgruppen – zu denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Vorfeld anmelden mussten. Die Veranstaltungsorte waren über die halbe Innenstadt verteilt –

im Cityhotel Fortuna etwa, im Spitalhofkeller, in der Katharinenkirche und an vielen anderen Orten. Für Ortsunkundige war das Erreichen der jeweiligen Ziele eine ziemliche Herausforderung.

Kritik gab es aber auch von katholischer Seite: „Warum hat man solch einen Tag nicht zusammen mit der katholischen Kirche gemeinsam veranstaltet“, fragte etwa Clemens Dietz, Leiter des katholischen Dekanats in Reutlingen. Doch die württembergische evangelische Kirche wollte aus dem Innovationstag (und voneinander) lernen.

Eine Vielzahl an Ideen und Innovationen wurden in und neben der Stadthalle gezeigt.

Kirche anders zu gestalten sei vonnöten, hatte Klaus Douglass betont. Wie das aussehen könnte, hatten die Stadthallenbesucher zu Beginn mit viel Lightshow, mit Spiegeln, sphärischen Klängen und mit einem eigenen Innovationstag-Popsong erfahren. Das Lied hatte tatsächlich Hitcharakter. Nach all den Veranstaltungen, Ständen und Workshops folgte am Nachmittag ein Plenum, in dem in der Stadthalle alles zusammengetragen, hinterfragt und ein Ausblick gewagt wurde.

Dass nun alles besser würde in der evangelischen Kirche, dass keine Kirchensteuerzahler mehr aus der Kirche austreten – das werde wohl kaum so schnell aufgehalten werden. Aber, so hatte es Klaus Douglass schon am Vormittag betont: Um die Menschen wieder anzusprechen, sie zurückzugewinnen, vom Evangelium zu begeistern – dazu brauche es „moderne Gottesdienste, sie müssen dialogisch geführt werden, nicht mehr von oben herab.“ Die Musik in den Kirchen müsse die Musik der heutigen Menschen sein. Und weil die Geschmäcker nicht nur in der Musik verschieden sind, brauche es auch viele verschiedene Gottesdienste.

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