Beim Reutlinger SPD-Jahresempfang „Rot in den Mai“ sprechen die Sozialdemokraten im Spitalhofsaal die großen Probleme der Zeit an
Mehrere Redebeiträge beim Jahresempfang der SPD unter dem Titel „Rot in den Mai“ befassten sich mit der Demonstration für Menschenrechte und Demokratie am 26. Januar auf dem Reutlinger Marktplatz. Die Kreisvorsitzende Ronja Nothofer etwa sagte: „5000 Menschen haben dort ein Zeichen gesetzt gegen Populismus und gegen Angstmacherei.“ Nach den Enthüllungen des Recherchenetztwerks „Correctiv“ waren bei einem Treffen von Rechtsextremen in Potsdam Pläne bekannt geworden, denen zufolge Millionen von Einwanderern und Deutschen mit Migrationshintergrund abgeschoben werden sollen.
Bevor die Politik die Hauptrolle beim SPD-Jahresempfang spielte, führten Tonne-Theater-Schauspieler Teile aus ihrem neuen Stück „Der Krüppel von Inishmaan“ auf.
Auch Mert Akkeceli bezog sich auf die Enthüllungen: „Nach den Vorstellungen der AfD müsste ich als in Reutlingen geborener und aufgewachsener Enkel von türkischen Gastarbeitern wohl auch das Land verlassen – da müsste ich mal AfD-Gemeinderat Schrade dazu fragen“, sagte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende. „Was in Potsdam geschehen ist, war ein Angriff auf die Verfassung“, so Akkeceli. Wie gut, so der Tenor beim SPD-Empfang im Reutlinger Spitalhofsaal am Freitagabend, dass nach den „Correctiv“-Veröffentlichungen Hunderttausende Menschen im ganzen Land „aufgestanden sind und Haltung gezeigt haben“, so Nothofer.
Der Gaststar des Abends, der SPD-Landesvorsitzende Andreas Stoch, war im Januar ebenfalls aufgestanden – und noch mehr: Er hat ein überparteiliches Bündnis für Demokratie und Menschenrechte initiiert, dem auf Anhieb 70 Organisationen und Institutionen beigetreten sind. „Heute sind es 120“, so Stoch. Darunter Kirchen, der Landessportverband, Diakonie und Caritas, der Landesbauernverband und auch Fridays for Future.
Gruppenbild mit Dame: von links präsentierten sich Mert Akkeceli, Andreas Stoch, Helmut Treutlein, Ronja Nothofer und Steffen Reik.
Prof. Steffen Reik war ein weiterer Gast des Abends, er ist der Europa-Kandidat der Sozialdemokraten in der Region: Er unterstrich die Vorteile der EU. Einer, wohl der wichtigste, sei eine nie gekannte Periode des Friedens in Europa. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, im Keller zu sitzen und Angst vor Bomben haben zu müssen“, so Reik. Frieden, Wohlstand, offene Grenzen, freier Handel gehören laut Reik zu den überaus positiven Aspekten der EU – leider auch viel Bürokratie, wie der SPD-Kandidat einräumte. Aber: Die EU sei die einzige Chance, die großen globalen Probleme zu lösen. Hinzu komme ein weiterer Aspekt – „wenn wir die Demokratie nicht weiter verteidigen, wird sie aufhören zu existieren“.
Andreas Stoch war aus Heidenheim nach Reutlingen gekommen, um nach seinen eigenen Worten „etwas Zuversicht und Optimismus für die Zukunft“ zu verbreiten. In den momentanen Zeiten sei das gar nicht so einfach, gestand der Oppositionsführer im Landtag. „Den Weltuntergang herbeizureden bringt nichts, aber auch nicht, die Probleme zu ignorieren.“ Und davon gebe es ja mehr als genug – auch ohne Klimakrise, Kriege in der Ukraine und in Israel. Stoch listete einige Dinge auf: Demografischer Wandel, Fachkräftemangel, ein marodes Bildungssystem, frühkindliche Bildung mit 60 000 Kita-Plätze zu wenig, dazu noch 206 000 fehlende Wohnungen.
„Ich bin ungeduldig“, sagte Andreas Stoch. „In Baden-Württemberg droht viel verloren zu gehen.“ Doch die Probleme seien auch komplex. Demokratie funktioniere nun mal nicht im rasenden Instagram- oder Tiktok-Tempo. Kompromisse seien nicht schändlich, sie seien gut und notwendig. „Aber vielen Menschen fehlt heute die Zuversicht, sie wollen lieber Stillstand oder gar zurück in vergangene Zeiten – das sind aber nichts als Illusionen“, so Stoch.
Alle Menschen müssten beim Lösen der jetzigen Probleme mitgenommen werden, „auch wir von der SPD müssen raus aus unserer Komfortzone“, betonte der Landesvorsitzende. „Demokratie ist auch anstrengend, wir müssen das Vertrauen der Menschen wieder gewinnen“, forderte Andreas Stoch. „Aber das Fantastische daran ist – wir haben es selbst in der Hand.“