Keine Hoffnung mehr bei der Klimakrise? – Jedes Gramm Kohlendioxid-Einsparung zählt

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Reutlinger Glaziologe Prof. Olaf Eisen berichtet bei einer Grünen-Veranstaltung im Reutlinger Spitalhof über den momentanen Stand der Klimakrise

„Ich will heute Abend nicht nur ein düsteres Bild malen“, hatte der Glaziologe (Gletscher- und Eisforscher) Prof. Olaf Eisen am Samstagabend im Reutlinger Spitalhof gesagt. Was er anschließend berichtete, ließ allerdings nicht besonders viel Hoffnung beim Publikum keimen, die sich immerhin der Frage an diesem Abend gestellt haben: „Was geht mich der Klimawandel an?“ Die Antwort lag dabei ziemlich offen auf der Hand – lediglich 30 Interessierte waren gekommen.

„Der Klimawandel ist jetzt da“, sagte der Wissenschaftler und unterstrich das mit einem Ausspruch von UN-Generalsekretär Antonio Guterres: „Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle.“ Olaf Eisen betonte zudem bei dieser Veranstaltung der Reutlinger Grünen, dass der Temperaturanstieg im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter schon jetzt bei mehr als 1,5 Grad liegt. Bis zum Ende des Jahrhunderts werde der Anstieg um 2 Grad wohl schwerlich zu unterschreiten sein. Auswirkungen beträfen aber nicht nur den Meeresspiegel, der unterschiedlichen Berechnungen zufolge bis zu 6 oder gar 15 Meter in den folgenden Jahrhunderten ansteigen könne. Die Auswirkungen seien aber schon jetzt fatal, weil mehr als 630 Millionen Menschen vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sind.

Der steigende Spiegel der Ozeane hänge stark mit dem Klimawandel in der Arktis zusammen – dort sei die Erwärmung noch stärker als auf dem restlichen Globus und betrage bereits mehr als +2 Grad. „Wir müssen davon ausgehen, dass der Ozean 2050 im September eisfrei sein wird.“ Und auch in der Antarktis verändere sich das Klima drastisch.

Weltweit seien die Auswirkungen von +1,5 Grad schon jetzt dramatisch: Immer mehr Dürren, immer mehr Waldbrände, ob in Griechenland, Frankreich, Libyen, Kalifornien oder in zahlreichen anderen Ländern der Welt. Dazu kommen massive Überschwemmungen, die momentane Flut im Ural sei ebenfalls eine Folge der Klimakrise, so Eisen. Auch die Nordseeküste bleibe nicht verschont: Durch massiven Regen waren die Deiche aufgeweicht, kommt eine Sturmflut hinzu, dann habe das katastrophale Auswirkungen.

Und: „Seit den 1970er Jahren ist die Hälfte der Gletschermasse in den Alpen verlorengegangen.“  Was grundsätzlich schiefgelaufen ist? „Die Fossilindustrie agierte massiv gegen effektive Maßnahmen“, listete der Professor der Uni Bremerhaven und des Albert-Wegener-Instituts Potsdam auf. Die Politik habe keine unpopulären Entscheidungen treffen wollen. Zudem hätten die Medien versagt bei der Aufklärung und auch die Wissenschaft habe Fehler begangen – „wir waren lange zu zaghaft, haben zu vorsichtig agiert“, so Eisen. Die gesamte Gesellschaft sei sich heute immer noch nicht klar über die Tragweite der dramatischen Entwicklungen der Klimakrise.

Die Auswirkungen beschränken sich natürlich nicht allein auf die Menschen, die an den Küsten auf dem Globus leben: Aufgrund der Dürren, der Brände, der Wasserknappheit werden Lebensmittel rarer. Flüchtlinge werden sich zu Millionen, wenn nicht gar Milliarden auf den Weg machen. Außerdem werde der Klimawandel bis 2050 elf Prozent des Wohlstands kosten. „Der Klimawandel wird künftig bestimmen, wie wir leben, der Biodiversitätsverlust allerdings bestimmt, ob wir überleben“, betonte der Wissenschaftler abschließend.

Wollen die meisten Menschen all das überhaupt wissen, fragte eine Zuhörerin nach dem Vortrag. Das sei so ähnlich wie beim Rauchen – „da werden auch unbequeme Wahrheiten verdrängt“, antwortet Olaf Eisen. Ob er angesichts seiner Tätigkeit und all der Fakten überhaupt noch Hoffnung haben kann, wollte ein Zuhörer wissen. „Ja, denn – jede Aktion um den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken, ist gut, jedes Gramm zählt“, betonte Eisen.

An diesem Abend stellten sich aber auch Katharina Ernst und Jaron Immer als Kandidaten für den Reutlinger Gemeinderat den Fragen von Sebastian de Lenardis: „Was macht Reutlingen denn bereits, gegen die Klimakrise?“ Reutlingen habe sich das Ziel gesetzt, bis 2040 klimaneutral zu sein, sagte Ernst. Immer betonte: „Was wir umsetzen können ist die Energie- und Verkehrswende.“ Dafür bräuchte es allerdings radikale Maßnahmen, um den ÖPNV und den Radverkehr zu stärken.

Außerdem müssten die viel zu viel versiegelten Flächen entsiegelt werden, „auf Individualverkehr mit Verbrennern muss verzichtet werden“, forderte Katharina Ernst. „Die Umbauprozesse in anderen Städten funktionieren ja bereits, daran müssen sich die anderen Kommunen Vorbilder nehmen“, forderte Olaf Eisen. Dem stimmte Jaron Immer zu: „Wir brauchen Visionen, wie es aussehen kann, wenn wir die Auswirkungen der Klimakrise begrenzen.“

Was in Reutlingen als dringlichste Gegenmaßnahmen anstehe, wollte ein Besucher von dem Professor wissen. „Ich bin Wissenschaftler“, sagte Eisen. Dennoch fielen ihm sofort ein paar Punkte ein: „Deutlich mehr Begrünung in der Stadt.“ Hinzu komme der „Verkehr als großes Sorgenkind“, Häuser müssten weniger Energie verbrauchen und Photovoltaik gehöre auf jedes geeignete Haus.

Das Fazit dieses ernüchternden Abends: Dass die Klimakrise massive Auswirkungen hat und noch viel mehr nach sich ziehen wird, haben die Besucher dieser Veranstaltung auch schon vorher gewusst. All die frustrierenden Zahlen mit dieser Dramatik aus berufenem Wissenschaftler-Mund präsentiert zu bekommen, war allerdings schon heftig. Aber, wie Olaf Eisen ja betont hatte: „Jedes Gramm CO2-Einsparung zählt.“ Denn es kann ja immer noch schlimmer kommen.

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