Der Umgang mit Armut – Tübinger Fachtag traf auf großes Interesse

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Mehr als 120 Fachkräfte kamen zum Fachtag „Armutssensibel handeln im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Familien“ des Fachbereichs Soziales der Stadt Tübingen ins Museum

In Tübingen ist jedes siebente Kind von Armut betroffen. Im Vergleich zu vielen anderen Städten ist das wenig. Aber: Immerhin erleben auch in der Universitätsstadt rund 15 Prozent aller Kinder Situationen, wie sie vor dem Fachtag Jugendliche im Mädchentreff zwei Sozialarbeiterinnen geschildert hatten. „Den Mädchen ging es vor allem um gute Bildungschancen, aber auch um das Bildungs- und Teilhabepaket“, betonte Ann-Marie Kaiser, die als Koordinatorin für Kinderchancen den Fachtag im Tübinger Museum vorbereitet hatte.

Das Paket namens BuT sei nach den Erfahrungen der Mädchen zwar eine gute Sache, „aber der Weg, die Leistungen zu erhalten ist lang und oft auch beschämend“, sagte Kaiser am Dienstagnachmittag im Museum. So manches Formular müsse erst mal verstanden, dann ausgefüllt und im wahrsten Sinne des Wortes dann auch noch „ein Stempel abgeholt werden“, wie Elisabeth Stauber als Leiterin des Fachbereichs Soziales betonte. Den Armutsbetroffenen werde also quasi genau dieser Armuts-Stempel aufgedrückt – alles anderes als ein schönes Gefühl. „Die Beantragung von Leistungen könnte auch anders organisiert werden“, betonte Stauber.

Die Erfahrungen der Fachleute sei – auch in Tübingen – die, dass von Armut betroffene Eltern meist versuchen, die Spuren der Armut vor allem auch ihrer Kinder zu kaschieren. Was bedeutet, dass vor allem Mütter sich oft die Markenklamotten und Turnschuhe der Kinder am Mund absparen.

Darüber konnte auch Undine Zimmer berichten, die am Dienstag ebenfalls aus ihrem Leben berichtete. Sie hatte das Buch „Nicht von schlechten Eltern – meine Hartz-IV-Familie“ geschrieben. Zimmer habe in Tübingen berichtet, wie wichtig für sie Lehrerinnen waren, die an sie geglaubt haben. „Das hat auch mit der inneren Haltung der Lehrkräfte zu tun“, so Kaiser.

Oftmals würden ärmere Eltern auch von informellen Netzwerken ausgeschlossen, sagte Ann-Marie Kaiser. Was bedeute, dass nach einem Elternabend einige Väter und Mütter noch zum Pizzaessen gehen – diejenigen, die nur über wenig Geld verfügen, könnten dann nicht mitgehen. Und erleben dann auch nicht die Vorteile solcher Netzwerke.

Von Schulsozialarbeiterinnen und Lehrern wurde bei dem Fachtag auch angesprochen, dass „Mobbing an Schulen gerade auch für armutsbetroffene Kinder und Jugendliche ein großes Thema ist“, betonte Stauber. Da müsse auch die Stadtverwaltung „den direkten Weg zu den Schulen verstärken“, nahm die Leiterin des Fachbereichs Soziales als Aufgabe mit.

Insgesamt 120 Fachkräfte aus Tübinger Kindertagesstätten, Schulen, Jugendhilfe und Jugendarbeit, Familienbildung, Familientreffpunkt und Familienberatung waren am Dienstag zu dem Fachtag gekommen. Für die Organisatorinnen um Ann-Marie Kaiser war das ein großer Erfolg. Aber auch ein Auftrag, denn: Die Verwaltung könne und solle Armutsbetroffene öfter in Entscheidungen einbeziehen, wie Kaiser erläuterte.

Dabei gehe es auch darum, „Peer-to-Peer-Beziehungen“ aufzubauen. Und das bedeute, dass Armutsbetroffene selbst andere Armutsbetroffene auf Augenhöhe beraten könnten. Es gebe also auch nach diesem Fachtag einiges zu tun, wie Elisabeth Stauber resümierte. Wenn auch einige starke Netzwerke, die in Tübingen bereits vorhanden sind und gute Arbeit ermöglichen würden. „Diese Netzwerke sind immer mehr gewachsen, außerdem können wir Erfolge vorweisen“, so Stauber. „Wir haben schon handfest was Positives für die Armutsbetroffenen in Tübngen verändert.“ Einen fachlich hochkarätigen Beitrag hatte an diesem Tag obendrein Gerda Holz als „Armutsforscherin“ gehalten. Sie sprach unter anderem auch über Armutssensibilität – ein Thema, das alle Fachkräfte bei dem Fachtag anging.

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