„Obstbäume schneiden ist wie Religion“

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Obstbaum-Schnittkurs auf Mittelstädter Gemarkung von Helmut Ritter nach dem Vorbild von Helmut Palmer – Oeschberg-Schnitt als Maß aller Dinge

Licht und Energie. Das ist die Losung, das Motto – und auch die Philosophie im Obstbaumschnitt. Gerd Reihnardt als Kreisfachberater und Helmut Ritter waren sich am Samstag auf einer Obstbaumwiese bei Mittelstadt in dieser Hinsicht völlig einig. Eingeladen hatte die „Fachvereinigung Obstbau im Landkreis Reutlingen“ zu einer Wiese zwischen Mittelstadt und Reicheneck. Dichter Nebel lag wie eine graue Watteschicht über der Landschaft, rund 50 Interessierte hatten sich aber nicht davon abhalten lassen.

So einer wie Alfred Schwarzwälder, der eigentlich aus dem Schwarzwald stammt, aber der Liebe wegen nach Mittelstadt kam: „Mein Schwiegervater ist 87 Jahre und hat jede Menge Obstbäume“, so Schwarzwälder. Er selbst möchte noch ein paar Zwetschgenbäume dazu pflanzen – „und ich habe einfach viel Freude am Boden und an Bäumen.“ Im vergangenen Jahr habe er schon einen Schnittkurs bei der Volkshochschule gemacht, nun wollte er sein Wissen als Teilnehmer des Ritter-Schnittkurses vertiefen.

Helmut Ritter war selbst ein Schüler von Helmut Palmer und hatte sein enormes Fachwissen über den Oeschberg-Schnitt auf die Wiese bei Mittelstadt mitgebracht – und zudem so manche Geschichte über den eigenwilligen Vater von Tübingens OB Boris Palmer. Als Ritter 25 Jahre alt war, habe er seinen ersten Schnittkurs bei Palmer gemacht – allerdings nicht wirklich viel gelernt dabei. Denn: Erklären sei wohl nicht die Stärke des „Remstalrebells“ gewesen: „Wenn jemand mal nachgefragt hat, entgegnete Palmer meist – grad mach i’s Maul zu.“ Und das sei es dann gewesen.

Fünf bis sechs Kurse habe Ritter also gebraucht, bis er verstanden hatte, worauf es bei dem Spezial-Schnitt ankam. Seitdem sei Helmut Ritter mit seinem Vornamensvetter 25 Jahre lang durch die Lande gezogen, um den Oeschberg-Schnitt zu verbreiten. Und das nicht immer im Einvernehmen mit dem Baumbesitzer: Ritter erinnerte sich am Samstag an eine Situation, als Palmer eines Sonntagmorgens um 7 Uhr an seiner Tür klingelte, es ging nach Ludwigsburg zu einer Wiese, auf der das Duo dann 1,5 Stunden lang den Baumschnitt nach Schweizer Vorbild anwandten. Irgendwann packte Palmer abrupt sein Zeug zusammen. Warum? „Komm, wir müssen gehen, gleich ist die Kirche aus und der Baumbesitzer kommt dann hier vorbei“, sagte Palmer zu Ritter.

Nach einigen Schmankerln aus dem Leben des Remstalrebells ging Helmut Ritter auch auf die theoretischen Grundlagen, Fein- und Besonderheiten des Oeschberg-Schnitts ein. Wie etwa: „Im oberen Bereich des Baums muss Licht und Luft rein.“ Oder wie es auch Gerd Reinhardt als Kreisfachberater ausdrückte: „Es geht immer um Licht und Energie.“ Zwei oder drei Äste hin oder her – „das ist völlig Wurscht“, betonte Ritter. „Hauptsache der Baum ist völlig belichtet.“

Kurz vor dem Ableben von Helmut Palmer an Weihnachten 2004 habe Ritter versprochen, dass er das Erbe des Baumschnitt-Spezialisten weiterführen werde. Seit 20 Jahren zieht Ritter nun durch die Lande, bietet Schnittkurse vor bis zu 100 Interessierten an. „Helmut Ritter ist eine absolute Koryphäe, wenn man ihn einlädt, kann man nichts falschmachen“, sagte Reinhardt. Obstbäume zu schneiden sei wie Religion, sagte der Obstbau-Fachberater. Allen Religionen liege doch das gleiche Prinzip zugrunde, von Nächstenliebe etwa – allerdings hapere es mit der Umsetzung. Bei Obstbäumen sei es ähnlich – Licht und Energie müsse in den Baum rein, sonst klappe das nicht mit dem guten, aromatischen Obst.

Viel war am Samstag anschließend im theoretischen Teil die Rede von Leit-, Krüppel- und Fruchtästen, von Trieben, Saftbahnen, Knospen und Augen. Doch dann ging es für die 50 Interessierten auf in die Bäume. 26 Stück an der Zahl hatte Helmut Palmer einst selbst dort gepflanzt. Der Grundschnitt passte noch, aber die Kronen – da sollte wieder mehr Licht reinkommen. Entstehen soll auf der Obstbaumwiese bei Mittelstadt eine Art Musteranlage im Oeschberg-Stil – „um das Erbe von Helmut Palmer im Landkreis Reutlingen zu erhalten“, so Helmut Ritter.

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