Mit dem unbedingten Glauben an Frieden – zwei Friedensaktivisten in Kirchentellinsfurt

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Der Palästinenser Osama Iliwat und der Israeli Rotem Levin engagieren sich in der Gruppe „Combatants for Peace“, am Sonntag, 21. Januar, waren sie in der Kirchentellinsfurter Kirche

 Ein Palästinenser und ein Israeli engagieren sich für Frieden, obwohl sie doch gerade im Moment auf zwei völlig miteinander verfeindeten Seiten stehen. Die palästinensische Hamas hatte am 7. Oktober 2023 jüdische Siedlungen und ein Fest überfallen, dabei Hunderte Männer, Frauen, Kinder abgeschlachtet, enthauptet, geschändet, vergewaltigt und mehrere Hundert Geiseln genommen. Seit diesem Tag bombardiert die israelische Armee den Gaza-Streifen, ermordet auch da viele unschuldige Menschen, Kinder, Frauen. Was für ein Wahnsinn.

Und genau gegen diesen Wahnsinn wenden sich der 45jährige Osama Iliwat und der 33jährige Rotem Levin. Beide engagieren sie sich in der Gruppe „Combatants for Peace“, einer Organisation, die schon für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. In der Gruppierung engagieren sich ehemalige Kämpfer sowohl der palästinensischen wie auch der israelischen Seite als Friedensaktivisten, die neben einer schnellen Waffenruhe auch Sicherheit und Gerechtigkeit für alle Menschen zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan fordern. „Es kann doch nicht sein, dass ich die vollen Bürgerrechte habe und Osama hat gar keine“, sagte Rotem Levin am Sonntag, 21. Januar, in Kirchentellinsfurt.

Doch genau so ist es seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948. Davon berichtete der Palästinenser Iliwat: Seine ganze Familie war 1967 vertrieben worden. Osama Iliwat wuchs in der West Bank, im Westjordanland, in Jericho auf. „Ich kannte Juden nur als Soldaten, sie waren überall und sie waren gewalttätig“, so Iliwat. Seine Lehrer hätten sie geschlagen genauso wie seinen Vater. In der Schule hätten alle Kinder Zwiebeln dabeigehabt, „weil die gegen Tränengas der Israelis helfen sollten“.

Im Alter von 14 Jahre wollte Iliwat unbedingt Teil des Widerstands werden, wie er selbst in der Kirche erzählte. Sie hätten keine Waffen gehabt, wollten aber Rache für all die Erniedrigungen durch die Soldaten. „Die Angst und die Tränen wurden zu Hass.“ Als er Graffitis mit „Free Palestine“ auf Wände gesprüht hatte, habe sich das gut angefühlt. Nachdem er zusammen mit Freunden eine palästinensische Flagge zusammengebastelt hatte, ohne genau zu wissen, wie die aussieht, und die dann an einem Baum gehisst hatte, wurde seine Gruppe ein paar Tage später von Soldaten verhaftet. „Auch heute noch können wir in der West Bank jederzeit bis zu drei Jahre ohne Anklage verhaftet werden.“ Als er aus dem Gefängnis herauskam, sei der Hass noch größer gewesen.

Hoffnung habe er geschöpft, als 1993 das Oslo-Abkommen geschlossen wurde. Er wurde Polizist in der Autonomiebehörde, als jedoch ein Freund von Iliwat von israelischen Soldaten vor seinen Augen getötet wurde, ging er nicht mehr zum Dienst. Das Oslo-Abkommen sei von den Israelis völlig ausgehebelt worden, immer mehr Siedler ließen sich in der West Bank nieder. „Wir haben akzeptiert, auf 20 Prozent unseres Landes zu leben, haben aber immer noch keinen Frieden.“

Ja, er habe Angst davor, nach Hause zurückzugehen – aber nicht etwa, weil die Hamas ihm als Friedensaktivist etwas antun könnte. „In der West Bank gibt es keine Hamas.“ Furcht habe er vor den Besatzern, den Israelis, die ihn jederzeit wieder ohne Grund für lange Zeit ins Gefängnis stecken könnte. Aber: Was ihn noch viel mehr störe, sei die Situation der Palästinenser, sie hätten viel zu wenig Wasser. „Aber ich will auch nicht, dass meine Kinder zwischen Mauern, Stacheldraht und Checkpoints aufwachsen, weil sie sich nicht frei bewegen können.“

Seine Sichtweise geändert habe der 45jährige Palästinenser als ein Freund ihn zu einer Friedensveranstaltung mitnahm. Zuerst habe Iliwat gedacht, er sei völlig falsch, „da saß ein Mann mit einer Kippa, hier konnte es also nicht um Frieden gehen“, sagte Osama Iliwat. Dann traf er dort aber auf jüdische Israelis, die die Besatzung und die jüdischen Siedler verurteilten. „Bis dahin hatte ich nie die menschliche Seite des Judentums gesehen.“

Als er sich langsam als Friedensaktivist betätigte, kam er auch nach Deutschland und Polen, hat dort Konzentrationslager gesehen. „Das war sehr hart“, so Iliwat. In der West Bank hat er eine Initiative gegründet, die „Visit Palestine“ heißt. Er habe Diplomaten durch das Land geführt, „aber sie sind nicht bereit, was zu ändern, Änderungen müssen von unten kommen“.

Das sieht Rotem Levin genauso. Er war bei der israelischen Armee, „ohne dort gewesen zu sein, hätte ich nicht Medizin studieren können“. Geboren wurde er in einem Dorf bei Haifa, Palästinenser habe er nie gesehen. Die zweite Intifada begann, als er neun Jahre alt war, er habe Angst vor Selbstmordattentätern in Bussen gehabt. „Sobald ich eine arabische Stimme hörte, habe ich voll Panik den Bus verlassen“, so Levin. In der Folgezeit wollte er so werden wie ein Cousin seiner Mutter, der bei einer Geiselbefreiung getötet wurde. Mit 17 Jahren ging er, wie alle israelischen Schüler, nach Auschwitz, „das war eine sehr nationale Erfahrung“, sagte Rotem Levin in der proppenvollen Kirche in Kirchentellinsfurt.

„Damals dachte ich, wenn wir uns nicht selbst schützen, machen die Palästinenser mit uns das Gleiche wie die Nazis“, so Levin. Als er in der Armee eines Nachts in voller Montur durch ein palästinensisches Dorf marschierte, haben die Soldaten eine Rauchgranate in ein Haus geworfen. Einfach so. Ein Kamerad sagte anschließend zu Levin, dass das Unrecht war. „Ich war verwirrt“, so Rotem Levin. Vier Monate später verließ er die Armee, er nutzte seinen Privilegiertenpass, um sich andere Länder anzusehen. „Ich befreite mich von der Sichtweise der israelischen Armee.“

Nach der Rückkehr studierte er Medizin, er traf auf Palästinenser aus der West Bank. „Das war eine ganz neue Erfahrung – ich erkannte, dass ich bis dahin derjenige war, von dem Gewalt ausging.“ Er habe eine völlig neue Realität kennengelernt, die nur wenige Minuten von seinem Heimatort entfernt lag. Er hörte von Flüchtlingslagern, von Menschen, deren „Großeltern in dem Ort lebten, wo ich aufgewachsen bin“.

Als 1948 der Staat Israel gegründet wurde, sind 500 Dörfer zerstört und 700 000 Palästinenser vertrieben worden, jüdische Siedler übernahmen die Häuser der Menschen. „Ich war beschämt, dass ich all das nicht wusste, dass mir niemand was darüber gesagt hatte.“ Das arabische Wort Nakba habe er nie gehört, das für die Vertreibung der Palästinenser steht. Levin habe recherchiert, „es gibt in Israel ein Gesetz, das verbietet, in Schulen über Nakba zu berichten“. Man solle sich in Deutschland mal vorstellen, in den Schulen wäre nie über den Holocaust berichtet worden.

Sowohl für Osama Iliwat wie auch für Rotem Levin bedeutete die Betätigung als Friedensaktivist eine Entfremdung mit ihrer bisherigen Community wie auch mit ihrer Familie. „Ich fühlte mich ausgestoßen“, sagte Levin. Aber in der neuen Community mit den Aktivisten aus beiden Lagern hätten sie eine neue Heimat gefunden, „es hilft mir zu glauben, dass Frieden möglich ist“, so Levin. „Wir hoffen, dass unsere Geschichte Ihnen Hoffnung gibt.“

Was nun notwendig sei: Druck auf die israelische Regierung ausüben. „Es bringt nichts, Israel Waffen zu liefern, wenn Sie Israel helfen wollen, dürfen Sie keine Waffen liefern“, sagte Rotem Levin. „Wir verweigern uns als Friedensaktivisten diesem System“, betonte der Israeli. „Was bei Unterdrückung herauskommt, das haben wir am 7. Oktober gesehen.“

Das Massaker der Hamas an diesem Tag habe das kollektive Trauma der Juden wiederbelebt, „dass wir in unserem Staat nicht sicher sein können“, sagte Levin. Nun betrachte die jüdische Bevölkerung alle Palästinenser als Terroristen, der Mainstream-Diskurs habe sich radikalisiert. In rechten Kreisen werde sogar davon geredet, den Gazastreifen von Palästinensern zu befreien, die Menschen nach Ägypten zu vertreiben.

„Wer die Juden beschützen will, der muss für Frieden sein“, sagte der Arzt. „Und die israelische Regierung zu kritisieren, das ist kein Antisemitismus.“ Um ein weiteres Massaker wie am 7. Oktober zu verhindern, müsse das System geändert werden – „gleiche Rechte für alle“, forderten Levin und Iliwat. Nach ihrem mitreißenden und anrührenden Vortrag erlebten die beiden Friedensaktivisten Standing Ovations, das gesamte Publikum in der Kirche spendete nicht nur heftigen Applaus, sondern gab auch Geld für die Unterstützung der „Combatants for Peace“. Nach mehr als zwei Stunden endete damit ein bewegendes Gespräch von zwei Menschen, die bedingungslos an den Frieden glauben.

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