„Hier kann ich Mensch sein“ – AWO-Tagestreff besteht seit zwei Jahrzehnten

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AWO-Tagestreff feiert 20jähriges Bestehen am Standort in der Aulberstraße – Bericht von Ehrenamtlichen, Besuchern und der Leitung

 Die Torte mit dem großen Herz und den drei Buchstaben AWO drauf sieht verlockend aus. Aber auch recht süß. „Die ist sehr süß“, sagt Heidi Unger und lacht. Die 73jährige ehemalige Lehrerin am BZN kommt jeden Dienstag in den Tagestreff, hilft, packt mit an, bedient, redet mit den Besucherinnen und Besuchern, hört zu – Letzteres ist ganz wichtig im „öffentlichen Wohnzimmer“, wie der Tagestreff in der Aulberstraße auch genannt wird.

Alle Besucher, Haupt- und Ehrenamtliche duzen sich in diesen Räumlichkeiten, die nur durch enge, verwinkelte Treppen zu erreichen sind. Ein wohnlicher Aufenthaltsraum lockt mit Tischen, auf denen das sehr günstige Mittagessen verzehrt, der Kaffee getrunken wird, wo sich die Menschen unterhalten – oder auch zusammen Kreuzworträtsle lösen. „Das machen ich und die Heidi immer zusammen“, strahlt Gerd, einer der konstanten Besucher des Tagestreffs. Er ist gelernter Mechaniker, „das war in einem vergangenen Leben“, sagt er. „Ich bin fast jeden Tag hier.“ Warum? „Wegen der Gemeinschaft.“ Viel mehr will er aber gar nicht von sich preisgeben. „Doch – eins noch“, sagt er schmunzelnd. „Ich mache hier gerade eine IT-Schulung mit, die leitet ein syrischer Flüchtling – aber ich versteh überhaupt nichts“, sagt Gerd und lacht.

Die Gemeinschaft, die schätzt auch Roland. Heute wäscht er seine Wäsche im Tagestreff. Bäcker war er mal, bis die kleine Bäckerei, in dem er angestellt war, den Betrieb einstellte. Er wurde arbeitslos, fand danach Jobs als Lagerist, Verkäufer, machte dies und jenes, zuletzt einen Kurs zum Alltagsbetreuer. Doch irgendwie will das nicht klappen mit einer Stelle. „Ich habe jetzt Erwerbsminderungsrente beantragt, aber das kann dauern.“

Gäste schätzen die Gemeinschaft

In die Wärme des Tagestreffs kommt Roland gern, weil er genauso wie Gerd die Gemeinschaft schätzt und „weil ich hier Mensch sein kann“. Am Mittwoch gibt es zudem noch ein kostenloses Mittagessen, weil der Tagestreff Geburtstag feiert. In seiner kleinen Wohnung greife der Schimmel um sich, in der Aulberstraße „kann man sich unterhalten und schöne Augenblicke erleben“, betont Roland.

Michael Kopp war Lehrer am BZN, als er in den Ruhestand ging, hatte seine ehemalige Nachbarin, die damalige AWO-Geschäftsführerin Gisela Steinhilber, ihn angesprochen – ob er sich nicht in den Tagestreff einbringen wolle. Michael wollte und hilft nun seit 15 Jahren einmal in der Woche ehrenamtlich hier mit. Warum er das tut? „Ich fühle mich meinem sozialen Gewissen verpflichtet“, betont der 77-Jährige. Als seine Lehrer-Kollegin Heidi in den Ruhestand ging, „da habe ich zu ihr gesagt: Das ist genau das Richtige für dich“, schmunzelt Michael. Und Heidi betont: „Ja, das stimmt – und es war genau das Richtige.“

Eva Sutter ist im Tagestreff die Chefin – als hauptamtliche Sozialpädagogin macht sie den Job ebenfalls schon seit 15 Jahren. Ihre Vorgängerin Julia Schäfer hatte sogar ihre Diplomarbeit über den Tagestreff geschrieben – am Mittwoch ist sie auch zu Gast in den Räumen, in denen sie einst selbst wirkte. „Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich mich hier als Frau immer total sicher gefühlt habe“, sagt sie. Eva Sutter stimmt zu: „Wenn es mal eine brenzlige Situation gab, jemand aggressiv wurde oder es Ärger zwischen zwei Besuchern gab, dann sind alle anderen zusammengestanden und haben für Ruhe gesorgt.“ Ärger oder Unruhe habe es in 15 Jahren aber extrem selten gegeben. „Hier wissen auch alle, dass sie Hausverbot kriegen, wenn sie randalieren.“

Konzept des Tagestreffs hat sich bewährt

Julia Schäfer hatte während ihres Studiums schon in der Glaserstraße, in der Notunterkunft der AWO Nachtdienste gemacht. Die Idee zu dem Tagestreff und zur Diplomarbeit stamme ja von Herbert Mang und Gert Auer, also von zwei Urgesteinen der AWO, die mittlerweile in Rente sind. Lange war nach Räumen gesucht worden, das Konzept für die Aulberstraße habe sich in 20 Jahren bewährt. „Viele Menschen kommen hierher, die in kleinsten Wohnungen oder gar nur in einem Zimmer wohnen“, sagt die Sozialpädagogin.

Im Tagestreff gehe es lockerer zu als bei der Erstberatung oder in der Notunterkunft. „Das Setting hier ist familiärer.“ Die Möglichkeit, zu duschen, Wäsche zu waschen, ein warmes Essen günstig zu kriegen und sich im Warmen aufzuhalten – all das schätzen nicht nur die Menschen, die ihre Nächte in der Notübernachtung verbringen. „Auch Menschen, die mit ganz wenig Geld auskommen müssen, sind hier zu Gast“, so Eva Sutter.

Die Besucher schätzen die Gemeinschaft und auch die regelmäßigen Ausflüge, sportlichen Aktivitäten, Museumsbesuche, Grillausflüge oder Wanderungen. Finanziert wird der Tagestreff über den Landkreis, aber: „Wir müssen immer mehr selbst durch Spenden beitragen“, betont Ulrich Högel als AWO-Geschäftsführer. 10 Prozent Eigenanteil wären okay, aber mittlerweile seien es über 20 Prozent. „Da haben wir ein Problem“, so Uli Högel.

INFO:

Spenden oder ehrenamtliches Engagement?

Wer die Arbeit im Tagestreff der AWO unterstützen möchte, kann das über die IBAN-Nr. DE23 6405 0000 0000 0625 43 bei der Kreissparkasse Reutlingen tun. Geöffnet ist der Treff in der Aulberstraße montags bis freitags von 12 bis 17 Uhr. Ehrenamtliche sucht die AWO für die Wärmestube in der Glaserstraße, die an Samstagen und Sonntagen die Aufgabe des Tagestreffs in der Aulberstraße übernimmt.

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