Platz ist im größten Parkhaus

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Informationsveranstaltung im Reutlinger Matthäus-Alber-Haus am Montagabend zum Thema „Wie wir im Alter leben wollen“. Rund 70 Interessierte vor Ort

Das Thema „Wie wir im Alter leben wollen“ habe durchaus „politische Sprengkraft“, betonte Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Diakonieverbands (DV) am Montagabend während der Info-Veranstaltung im Reutlinger Matthäus-Alber-Haus. Rund 70 Interessierte hatten sich eingefunden, Menschen, die sich zum Teil akut mit dem Thema beschäftigen – und auch beschäftigen müssen.

Der Druck werde immer größer, sagte ein Besucher der Veranstaltung des Diakonieverbands. Seine Frau schaffe die 42 Stufen in den dritten Stock fast nicht mehr. „Wir sind auf der Suche nach einer barrierefreien, bezahlbaren Wohnung, aber das ist aussichtslos“, so der Besucher. Das bestätigte auch Rückle als Moderator des Abends: „Es herrscht eine massive Wohnungsnot – das ist mit das größte soziale Thema und taucht in unseren Beratungsangeboten immer wieder auf“, so Joachim Rückle. Gleichzeitig leben 40 Prozent der Deutschen allein in ihrem Haushalt, in der Wohnung, im eigenen Haus. Mit der Folge, dass die Einsamkeit in der Gesellschaft immer mehr zunehme.

Der Diakonieverband hat bereits ein Projekt initiiert, das Wohnungsnot vor allem bei jüngeren Menschen sowie der Einsamkeit und Hilfsbedürftigkeit bei alleinlebenden Älteren entgegenwirken soll. „Shelter and help“ heißt das Projekt, es soll Jüngere und Ältere zusammenbringen – gegen ein Stückweit Hilfe für günstigeres Wohnen. Aber: „Offensichtlich ist die Schwelle, jemanden ins eigene Haus zu nehmen, doch recht groß“, berichtete Rückle aus den bisherigen Erfahrungen des Projekts.

Professionelle Pflegedienste werden mit der großen Zahl der Pflegebedürtigen überfordert sein

Doch die Probleme werden sich noch deutlich weiter verschärfen: „Durch die Demografie mit immer mehr Pflegebedürftigen ist das Problem in wenigen Jahren durch professionelle Pflegedienste allein nicht mehr zu lösen“, so der DV-Geschäftsführer. Andere Möglichkeiten müssten gefunden, Netzwerke gebildet werden – „ob wir das wollen oder nicht“, so Rückle.

Wie so was vonstattengehen könnte, das verdeutlichte Prof. Ulrich Otto als Gerontologe, Alterns- und Wohnforscher, am Montagabend im Alber-Haus anhand von einigen Beispielen aus der Region: Warum nicht Häuser auf Garagen draufsetzen, fragte Otto. Oder Parkhäuser wie in der Reutlinger Bantlin- und Lederstraße in Wohnraum umwandeln? Und Galeria Kaufhof in der Karlstraße – es gebe nach den Worten des Professors Beispiele aus anderen Städten, wo „im Erdgeschoss Stadtverwaltungen eingezogen sind und in den Stockwerken darüber Wohnraum entstanden ist“. Ottos Schlussfolgerung: „Platz ist in der größten Hütte.“

Warum nicht auch Galeria Kaufhof zu einem großen Wohngebäude umgestalten?

Für künftige Projekte gebe es jedoch ein massives Problem:  Die 60 Milliarden Euro, die der Bundesregierung in den nächsten Jahren fehlen werden, führen wohl auch dazu, dass kaum noch Fördermittel vorhanden sein werden, sagte der Professor. Aber es gebe durchaus andere, private oder genossenschaftliche Projekte in der Region, die beispielhaft sein können: In Hirschau etwa haben sich Privatleute zusammengetan und einen Gebäudekomplex entstehen lassen, in dem im Erdgeschoss eine Pflege-WG für elf Personen entstanden ist. Der Clou sei zudem: In den Stockwerken darüber sind Flüchtlinge eingezogen.

Ein anderes Beispiel: In Pfrondorf soll ein Clusterhaus entstehen, in dem eine Pflege-WG einziehen kann. Das Gebäude soll aber so gestaltet werden, dass es bei anderem Bedarf umgestaltet werden kann. Im Tübinger Nonnenmacherhaus sind zehn Appartements mit je einem Zimmer und rund 30 Quadratmeter Wohnfläche entstanden. Die Bewohner teilen sich gemeinschaftliche Bereiche wie Wohnzimmer, Terrasse, Küche und weitere gemeinsame Räume. „Das Haus hat nur einen Geburtsfehler: Eingezogen sind nur Über-65-Jährige – die nun gemeinsam noch älter werden“, so Ulrich Otto.

Wie es auch gehen könnte, hat Willi Igel aus Reicheneck am Montagabend berichtet: Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, haben Igel und Eva Kuhn das Haus umgebaut. Nun wohnt das Paar in Parterre, darüber lebt eine fünfköpfige Familie sowie zwei junge Frauen im Dachgeschoss. Und alle haben ausreichend Platz.

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