Verhaftet, deportiert, ermordet – über Opfer des Nationalsozialismus in Metzingen

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Stadtrundgang mit Stadtarchivar Rolf Bidlingmaier an Orte in Metzingen, wo einstmals Opfer des Nationalsozialismus lebten. Veranstaltung im Rahmen der Metzinger Friedenswochen

„Wer war ab 1933 in Metzingen nicht mehr sicher?“ Dieser Frage ging am Samstag Rolf Bidlingmaier bei einem Stadtspaziergang im Rahmen der Metzinger Friedenswochen nach. Gefolgt sind ihm mehr als 30 Interessierte, die trotz stürmischen Wetters und Regen gebannt den Ausführungen des Stadtarchivars folgten.

Opfer gab es in Metzingen eine ganze Menge in der Zeit des Nationalsozialismus, so Bidlingmaier. Eines davon lebte einst in der Stuttgarter Straße 12 – Adam Gaßner hatte dort in den 1930er Jahren bis zu seiner psychischen Erkrankung eine Bäckerei. Er musste sein Handwerk aufgeben und kam schlussendlich nach Zwiefalten. 1940 wurde er in Grafeneck vergast.

Zahlreiche Opfer der Euthanasie auch in Metzingen

Solche Opfer der Euthanasie, des massenhaften Mordes an psychisch Erkrankten, gab es noch mehr in Metzingen: Friederike Schäfer etwa, die einst Beim Rathaus 16 wohnte und als Dienstmädchen in verschiedenen Metzinger Haushalten gearbeitet hatte. Auch sie erkrankte, wurde in einer der grauen Busse nach Grafeneck transportiert und dort ermordet.

Genauso wie Karl Knaisch: Er lebte einst in der Urbanstraße 10, erlitt eine geistige Störung, seine Frau hatte ein behindertes Kind bekommen, sowohl Vater Karl wie auch Sohn Kurt wurden erst in Heimen untergebracht und dann 1940 in Grafeneck vergast.

Doch in der unrühmlichen Metzinger Geschichte des vergangenen Jahrhunderts finden sich auch die anderen Opfer des Nationalsozialismus, führte Rolf Bidlingmaier am Samstag aus: Die Familie Fischer aus der Nürtinger Straße 28 gehörte dazu. Vater Albert hatte sich 1913 als Vorsitzender des Arbeitervereins politisch engagiert, trat 1919 zu den Kommunisten über. 1924 wurde Fischer in den Landtag gewählt, 1933 ist die KPD verboten worden – so wie alle anderen Parteien auch. Albert Fischer flüchtete, wurde aber im August 1933 in Waldenbuch festgenommen.

Unter unmenschlichen Bedingungen war Fischer mehrfach inhaftiert, zusammen mit seinem gleichnamigen Sohn kam er schließlich nach Buchenwald in ein Arbeitslager. „Sechs Jahre waren sie dort bis zum Kriegsende eingesperrt.“ Aber sie kamen zurück – eine Entschädigung haben sie von der Stadt jedoch nie erhalten.

Zu Beginn des Stadtrundgangs durch die wenig glorreiche Geschichte Metzingens hatte Bidlingmaier auf den Rathausstufen einen Abriss der Geschehnisse im Reich, aber auch in der Keltern-Stadt gegeben: Dr. Eugen Klett war damals in Metzingen NSDAP-Ortsgruppenleiter, sein Kontrahent war – Albert Fischer. Als 1933 die Nazis zu einer Kundgebung nach Neuffen aufbrachen kam es laut Bidlingmaier zu einer Schlägerei mit den Kommunisten in der Neuffener Straße:

Anschließend wurden die Kommunisten verboten und verfolgt, alle anderen Parteien gab es durch das Ermächtigungsgesetz ebenfalls nicht mehr. „Sie haben alle freiwillig auf ihre Macht verzichtet“, so der Archivar. Bei der Wahl am 5. März 1933 erhielten die Nationalsozialisten in Metzingen 54 Prozent, der Gemeinderat wurde „umgebildet“, forthin saßen dort Dreiviertel Vertreter der NSDAP. „In drei bis vier Monaten des Jahres 1933 war die politische Landschaft völlig auf den Kopf gestellt.“

„Man hat die Juden damals ausgegrenzt“

Natürlich wohnten vor der Machtergreifung Hitlers auch Juden in Metzingen: In der Schillerstraße 13 etwa lebte der Strickwarenfabrikant Herold. „Die Familie war bestens integriert, der Vater Adolf Herold war in einigen Vereinen und ging auch mit Hugo Boss auf die Jagd.“ Nachdem die Nationalsozialisten an die Macht kamen, „wollte niemand in Metzingen mehr was mit der Familie Herold zu tun haben, man hat die Juden damals ausgegrenzt“, berichtete Bidlingmaier.

Zwei Töchter waren rechtzeitig außer Landes gekommen, der Sohn schaffte es 1940 noch nach Amerika – doch für die Eltern war es zu spät. Sie waren erst nach dem Verlust all ihres Vermögens nach Stuttgart gegangen, im Dezember 1941 wurden sie zusammen mit anderen jüdischen Familien nach Riga deportiert. „8000 Menschen aus dem ganzen Reich waren damals in Riga, Temperaturen von minus 30 Grad herrschten bei der Ankunft.“ Ob das Ehepaar Herold aufgrund der katastrophalen Bedingungen dort verstarb oder im März 1942 bei einem Massaker erschossen wurde, sei nicht bekannt, berichtete Bidlingmaier. Auf jeden Fall wäre es endlich an der Zeit, in der Schillerstraße 13 einen „Stolperstein“ für die Opfer anzubringen – „ich würde das Vorhaben unterstützen“, so der Stadtarchivar.

Nicht mehr sicher waren in dieser unsäglichen Zeit aber auch kirchlich Aktive – allerdings konnte sich während der Herrschaft der Nazis niemand mehr sicher fühlen: „Der Metzinger Max Holder war Fabrikant, wurde von seinem Betriebsleiter denunziert und kam für mehrere Monate in Haft“, so Rolf Bidlingmaier abschließend im strömenden Regen vor der Metzinger Martinskirche.

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