Im Reich der Reutlinger Raben

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Herbstferien. Ein paar freie Tage für mich. Wie schön.

Als Bibabutzelmann verkleidet begebe ich mich ins Reich des Raben –

manche tragen in dem Land eine Abbildung ihres Herrschers sogar auf dem Fahrzeug spazieren.

Doch dann erblicke ich ihn tatsächlich, noch schemenhaft, doch deutlich erkennbar – gleich hinter der B 28, fernab der Wohnbebauung.

Schnell bin ich eingetaucht in dieses sagenhafte Reich – wo die Ziegen größer sind als die Zwerge. Allerdings wacht

dieser Geselle mit seinem Baseballschläger über das Wohl und Wehe seiner Kumpane.

Schafe gibt’s auch in diesem Land des großen schwarzen Vogels. „Ey, Kumpels, kommt mal gucken,

was für ein komischer Vogel hier am Zaun steht“, mäht das Leitschaf. Vogel, denke ich fragend.

Nach kurzer Begutachtung drehen die putzigen Tierchen wieder ab. „Uninteressant“, mäht das Leitschaf. „Na hört mal“, sage ich. „Ich bin doch der Bibabutzelmann.“ Doch die Schafe interessiert das nicht.

Ich dringe weiter ein ins Raben-Reich und sehe – einen Umhang? Hat ein Geist hier seine Daseinsberechtigung verloren?

Schnell ziehen die Bäume meine Aufmerksamkeit auf sich. Was für fantastische Gestalten, denke ich.

Ein paar Meter weiter locken fantastische Farben – sind das Drogen, frage ich. Rote-orangene-schwarze Früchte. Sie scheinen zu rufen: „Pflück mich, ess mich.“ Ich pflücke und schlucke sie ungekaut herunter.

Plötzlich wirken die Bäume um mich herum … bedrohlich. Sie strecken ihre Äste steil in den Himmel.

Gerade so, als wären sie in der Bewegung erstarrt. Als wollten sie nach mir greifen, wenn sie nur könnten.

Das hier wirkte ebenfalls bedrohlich – was, wenn ich auf das Grundstück gehe? Mein Blick wandert nach oben – und schnell wird mir klar, wer dahintersteckt.

Wer sonst, als der große schwarze Vogel. Er überwacht alles.

Dabei wäre es doch eigentlich ganz nett hier, denke ich.

Doch die Sonne beginnt zu sinken,

sie scheint im Zaun gefangen zu sein. Genauso wie ich. Panik kommt in mir auf.

Ich muss raus aus dem Land, denke ich. So schnell wie möglich. Sonst

überrascht mich die Dunkelheit. Nicht auszudenken,

wenn ich mich in den feinen Verästelungen der Bäume verheddern würde.

Gefangengenommen von den Bäumen des Raben.

Mein Blick schweift ängstlich über die knorrigen Gesellen in der Nähe, während mein Schritt immer schneller wird.

Wie seltsam sie wirken, bei näherem Hinschauen. Fast wie Tiere. Wie eine riesige Heuschrecke.

Oder wie eine Schlange. Ich zucke zurück.

Überall beginne ich nun Augen zu sehen, seltsame

Gestalten, bedrohliche Tiere.

Nichts wie weg, denke ich.

Und der große schwarze Vogel wacht weiter über sein Reich. Fast ist mir, als ob er jeden Schritt von mir kichernd begleitet.

Pusteblume, denke ich. Du kannst mich mal, du schräger Vogel. Nur noch wenige Meter und ich erreiche rennend, stolpernd unter der B 28 hindurch wieder Wohnbebauung.

Endlich wieder Ordnung. Betzingen hat mich wieder. Aber dann:

Ein Schiff. Mitten in Betzingen? Sind das Halluzinationen? Auswirkungen der bunten Früchte?

Auch die beiden Schweine hier im Vorgarten lassen mich

ein wenig an der Betzinger Zivilisation zweifeln. Oder sind die auch Einbildung?

Doch dann sehe ich die Echaz,

ruhig und friedlich in ihrem Bett. Auch wenn das vielleicht täuschen mag –

das nächste Hochwasser könnte ja schon vor der Tür stehen. Aber nun weiß ich, dass ich wieder zuhause angelangt bin.

Dem Raben-Reich entkommen. Was für ein Glück. Tschüss, du großer schwarzer Vogel, der du am Boden gar nicht mehr so bedrohlich wirkst. Und vielleicht lässt ja auch die Wirkung der Früchte nach …

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