Paul Schlegl: Ein Leben im Glauben und Zweifeln

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Als ehemaliger Leiter der Katholischen Erwachsenenbildung ist Paul Schlegl im Ruhestand vielfältig aktiv. Er unterstützt Menschen, lernt weiter viel über Tiere, andere Personen und über sich selbst

 „Glauben und Zweifeln“ – eine Rubrik in der Wochenzeitschrift der „Zeit“ liegt bei Paul Schlegl wie eine Überschrift über das folgende Gespräch und auch über sein gesamtes Leben am Rand eines Glashäuschens. Dort empfängt der studierte Diplom-Sozialpädagoge und Erwachsenen-Pädagoge unsere Zeitung zum Gespräch. Heiß ist es an diesem Tag – heiß waren auch so manche Zeiten und Kämpfe, die Schlegl ausgefochten und durchgestanden hat.

1987 ist er nach Reutlingen gekommen und hat dort die Geschäftsführung der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) übernommen. Anfangs war es nicht leicht, erinnert sich Schlegl. Bis er selbst die Arbeit gestalten konnte, musste er so manche Widerstände überwinden, sich auch bei seinem Vorgesetzten beschweren – der ihm schlussendlich den Rücken stärkte. „Der KEB-Vorstand und die Mitarbeiter wollten, dass dort was aufblüht.“

Aufgewachsen war Schlegl in Göppingen, nach dem Studium hatte er in Wernau am Neckar eine Stelle in der katholisch-politischen Jugendbildung gefunden. Der Zeitgeist in den 1970er Jahren war ein anderer, sagt er. Liberale Strömungen hatten damals eine Chance, „das war auch geprägt durch die 1968er“.  Fünfeinhalb Jahre blieb Schlegl in Wernau.

Als Kind und Jugendlicher hatte er in Göppingen in der katholischen Kirche eine Heimat gefunden, „ich fühlte mich wohl dort, ich hatte eine tolle Jugend mit viel Raum zur eigenen Gestaltung in der Kirche“. Seine Eltern waren als Heimatvertriebene eher „Traditionskatholiken“. Paul Schlegl hätte sich sehr wohl vorstellen können, Theologie zu studieren – aber nicht mit der Konsequenz dann Pfarrer zu werden. Ohne Pfarramt wäre er aber immer in der zweiten Reihe gestanden, betont der Sozialpädagoge.

Die Arbeit bei der KEB habe ihm sehr gut gefallen, er habe sich einbringen und die Katholische Erwachsenenbildung prägen können. Aber: Die Zeiten und die Zustände in der katholischen Kirche änderten sich. „Bis zur Jahrtausendwende hatte ich noch Hoffnung, dass sich was ändern würde.“ Doch „mit Johannes Paul II. und seinem Freund Ratzinger“ sei die Hoffnung geschwunden. „An ihnen sind jegliche Reformbemühungen abgeprallt“. Und das sei noch weit vor den Skandalen um den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gewesen. „Die Institution ist verknöchert, ein klerikal orientierter Männerbund.“

Zur Jahrtausendwende habe er jegliche Hoffnung aufgegeben, „der liberale Geist ist immer mehr geschwunden“. Seine Arbeit habe er aber weitergeführt – und das nicht schlecht: „Bei meiner Verabschiedung habe ich viel Wertschätzung erfahren.“ Ein halbes Jahr danach zog er jedoch die Konsequenz seiner Zweifel und auch Verzweiflung – er trat aus der katholischen Kirche aus.

Einen vierseitigen Brief habe er an viele Menschen versandt, auch an den Bischof. Den hatte er persönlich gekannt, ihn auch geschätzt. Aber als Antwort erhielt Schlegl lediglich eine Eingangsbestätigung von der Sekretärin des Bischofs.

Schlegl hatte es mit Heinrich Böll gehalten, der in den 1970er Jahren schon gesagt hatte: „Ich bin Christ, aber ich trete aus der Körperschaft aus.“ Mit dieser Formulierung stimmte Paul Schlegl überein. „Als ich den Schritt vollzogen hatte, ging es mir gut.“ Heute sagt er: „Ich brauche die Institution Kirche nicht mehr.“ Nur selten, „in homöopathischen Dosen“, besuche er mal einen Gottesdienst.

Paul Schlegl ist mit sich selbst im Reinen. Er hat im Ruhestand das Reiten angefangen, lernt im Kontakt mit dem Pferd noch ganz viel über sich selbst. „Und in der Nähe ist ein Tierheim, da führe ich regelmäßig einen Hund aus.“ Die Tiere hätten oftmals viel durchgemacht – eine Art Sozialarbeit mit Tieren, die er da betreibt. Doch damit nicht genug: Schlegls Frau und er selbst hatten eine syrische Familie in ihrem Haus aufgenommen. Und als der russische Angriff begann, nahmen Schlegls eine junge Frau, ihr Kind und ihre Schwiegermutter auf.

„Wir gehen aber auch gerne auf Reisen.“ Radfahren ist ein weiteres Hobby, viel lesen, manchmal ist er sogar Teilnehmer in Seminaren der Katholischen Erwachsenenbildung. Im Ruhestand sei er in kein großes schwarzes Loch gefallen, auch die verlorengegangene Bedeutung mache ihm nicht zu schaffen. „Ich freue mich, mehr Zeit zu haben.“ Eines sei ihm nach seinem Arbeitsleben sofort klar gewesen: „Ich wollte keine Gremienarbeit mehr machen“, sagt er und lacht. Aber er habe sich – angesichts seines 70. Geburtstags im kommenden Januar – durchaus auch schon mit seiner Endlichkeit auseinandergesetzt.

INFO:

Paul Schlegl äußert massive Kritik an der katholischen Kirche

 Lange Zeit habe Paul Schlegl gehofft, dass sich die katholische Kirche noch ändern könnte. Zur Jahrtausendwende sei diese Hoffnung geschwunden. Zu sehr schrecke ihn mittlerweile die Haltung fehlender Moral und Menschenrechte sowie der Demokratiefeindlichkeit in der Kirche ab. „Oft bleiben nichts als Phrasen“, sagt Schlegl. Bei Gottesdiensten den Menschen „immer die gleichen Texte um die Ohren zu hauen – das ist Herrschaftshandeln“.

Dass Kirche und Menschen eine Einheit seien, „das ist verlogen, die Kirche ist ein System des Klerikalismus“. Schlegl vergleicht die katholische Kirche gar mit dem untergegangenen System der DDR: Wer sich dort nicht stromlinienförmig einpasste, war automatisch ein zu verurteilender Gegner. „Die Großorganisation Kirche wird zusammenbrechen“, glaubt Schlegl. Das Neue sei aber noch nicht erkennbar.

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