Asylkompromiss ist eine Katastrophe mit Ansage

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Reutlinger Günter Jung wendet sich gegen den EU-Asylkompromiss und bezeichnet ihn als Angriff auf die Menschenrechte

Vor 31 Jahren wurde das erste Asylcafé in Reutlingen eröffnet, Günter Jung war dabei. Er erinnert sich noch genau an die Situation, „als wir damals gegen den ersten großen Asylkompromiss gekämpft haben“. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert der 1943 geborene, einstige Sozialrichter, wie schon damals das Asylrecht massiv eingeschränkt wurde. Und jetzt wieder. Der EU-Asylkompromiss von Luxemburg, den Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Erfolg bezeichnet, wertet Jung als Katastrophe. Mit Ansage.

Warum? Weil in den geplanten sogenannten „Asylzentren an den Außengrenzen Europas“ nichts anderes als „haftähnliche Bedingungen“ herrschen werden, wie Pro Asyl das ausdrückt. „Wenn Politiker behaupten, die Flüchtlinge könnten doch jederzeit gehen, ist das der blanke Hohn“, sagt Jung. Sollen die Menschen zurück auf die lebensgefährlichen Routen quer durch die Wüste, die sie mit Glück gerade noch überlebt haben?

„Außerdem hat man in dem Lager auf Lesbos schon seit langem gesehen, dass dort kaum Rechtsanwälte, Ärzte und Journalisten reingelassen werden“, betont Günter Jung. Sollten tatsächlich in Algerien oder vor allem Tunesien solche Lager entstehen, um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten, dann sei kaum damit zu rechnen, dass dort menschenwürdige und rechtsstaatliche Asylverfahren durchgeführt würden.

Die Folge des sogenannten Asylkompromisses wäre also, „dass Flüchtlinge noch schlechter behandelt würden“. Dass die Geflüchteten jetzt schon enorme Risiken auf sich nehmen, unterstreichen jedes Jahr Tausende Ertrunkene im Mittelmeer. So auch erst vor wenigen Tagen wieder vor der griechischen Küste, als Hunderte Menschen umkamen. Hinzu kämen die „Pushbacks“, also die illegalen, brutalen Zurückweisungen von Flüchtlingen, an den europäischen Grenzen.

„Wenn die Abschottung noch massiver wird, dann suchen sich die Flüchtlinge andere Routen – und zwar solche, die noch gefährlicher sind als die jetzigen“, zeigt sich der ehemalige Richter überzeugt. Wenn mittlerweile mehr als 105 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht seien, wo sollen sie denn hin, fragt er. Zurück in ihre Heimat? Wo mittlerweile schon ein Drittel aller Flüchtlinge vor den Folgen der Klimakatastrophe die betroffenen Länder verlassen? Die vor Dürre, Hitze, Hunger fliehen. Oder auch vor Bürgerkriegen und Terror.

„Der Asylkompromiss ist ein Schlag ins Kontor gegen Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.“ Wenn der „Kompromiss“ aber eh nicht funktionieren wird, warum wurde er dann überhaupt geschlossen? „Um die Verschärfung wie eine Monstranz vor sich herzutragen“, mutmaßt Günter Jung. Dabei ignoriert er nicht die Situation der hiesigen Landkreise und Kommunen, die nicht mehr wissen, wie und wo sie Geflüchtete unterbringen sollen. „Das sind Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.“ Abschottung sei aber keine Lösung. Flüchtlinge würden auch weiter in Europa ankommen. „Eine Alternative könnte eine europäische Seenotrettung sein“, so Jung.

An eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge auf die europäischen Länder glaubt der engagierte Friedenskämpfer nicht, der schon in Mutlangen mitdemonstriert hatte. „Der Rechtsruck in den europäischen Mittelmeer-Anrainerstaaten wird immer stärker, da wird sich kaum was zum Positiven ändern – die Abschottung wird weiter zunehmen.“ Hinzu kämen in Europa Länder wie Polen und Ungarn, die wohl auch weiterhin keine Geflüchteten aufnehmen werden. „Und ich befürchte wie nach dem ersten Asylkompromiss vor 30 Jahren, dass in Deutschland wieder Flüchtlingsunterkünfte brennen könnten, wie damals in Solingen“, blickt Günter Jung mit sorgenvollem Gesicht in die Zukunft.

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