Scham

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Vor wenigen Tagen ist der sogenannte EU-Asylkompromiss von den InnenenministerInnen der Länder in der Europäischen Union beschlossen worden. Deutschlands Ministerin Nancy Faeser feierte die Einigung als großen Erfolg, ja sogar als „historisch“.

Zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) wie Amnesty International, Pro Asyl und auch Ärzte ohne Grenzen bezeichnen die Einigung als menschenfeindlich und als massive Verletzung der Menschenrechte. „Es sei ‚kein Durchbruch, sondern ein menschenrechtlicher Tabubruch, eine Missachtung des verfassungsmäßigen Auftrags und ein gebrochenes Versprechen des eigenen Koalitionsvertrages‘“, sagte Markus N. Beeko als Generalsekretär von Amnesty Deutschland in der „Tagesschau“.

Verbunden mit dem Tod von rund 700 Menschen, die vor wenigen Tagen auf einem völlig überladenen, rostigen Fischkutter versucht haben, von Libyen aus nach Griechenland zu gelangen, verbunden auch mit der enormen Bestürzung unter europäischen PolitikerInnen (ausgenommen derer von Polen und Ungarn), verbunden obendrein mit den nahezu täglich sinkenden Nussschalen und Schlauchbooten auf dem Mittelmeer, bei denen jedes Jahr viele Tausend Flüchtlinge ums Leben kommen  – angesichts all dieser Tatsachen ist der Asylkompromiss nichts anderes als Hohn. Oder auch purer Zynismus, wie der Reporter Michael Scott Moore in dieser Woche in einem großen Bericht unter dem Titel „Die Flöße der Medusa“ in der ZEIT ausführte. „Europa ist es nicht gelungen, seine Immigrationsrouten unter Kontrolle zu bringen. Zu glauben, man müsse der libyschen ‚Küstenwache‘ bloß Millionen Euro in den Schoß werfen und die Schleuserwege würden austrocknen, ist entweder naiv oder zynisch“, heißt es dort. So naiv kann angesichts des seit vielen Jahren drängenden Themas kein Politiker mehr sein – also ist die geplante, weitere Abschottung von Europa, durch Asylzentren in den nordafrikanischen Ländern der blanke Hohn. Oder auch die pure Hilf- und Einfallslosigkeit. Oder alles zusammen.

Ich schäme mich dafür, in solch einem Land inmitten von Europa zu leben. Mir geht es blendend im Vergleich zu den Menschen, die sich auf die lebensgefährliche Flucht machen. Die vor Krieg, Terror, Hunger, Bürgerkrieg und auch vermehrt vor den Folgen der Klimakatastrophe fliehen. Trockenheit, Dürre, Wassermangel, Hunger, Tod. Ein Drittel aller mittlerweile 108 Millionen Flüchtlinge haben sich aufgrund der Folgen des Klimawandels auf den Weg gemacht. Nur die Stärksten, die Reichsten der Armen kommen überhaupt bis in die nordafrikanischen Länder. Und, wie Moore es beschreibt, sie werden dort festgehalten, sie müssen als Sklaven arbeiten, Lösegelder werden erpresst. Und das auf Schiffen, die das Wort nicht verdienen.

Erschreckend ist dieser Bericht von Moore über das „Leben“ in Tunesien oder Libyen, über die Flucht über das Mittelmeer, eine Flucht, die viel zu oft mit dem Tod endet. Erschreckend, wie er uns vor Augen führt, dass es sich tatsächlich um Menschen wie du und ich handelt, die versuchen, vor den elendigen Bedingungen in ihrer Heimat zu fliehen. Um die dann oft über Monate oder Jahre hinweg in noch schlimmeren, ausbeuterischen Verhältnissen in Nordafrika ein menschenunwürdiges Dasein fristen müssen. Erschreckend und beschämend auch die Erkenntnis, dass all das schon seit vielen Jahren bekannt ist – die EU sich aber als unfähig erweist, an diesem Zustand etwas zu ändern. Der Asylkompromiss wird gefeiert (zumindest von manchen Ländern), weil nun endlich überhaupt mal eine Einigung gefunden wurde. (Allein Ungarn und Polen lehnen den Kompromiss ab – weil sie sich mit aller Macht dagegen wehren, Flüchtlinge aufzunehmen. „Die EU will uns gewaltsam zwingen, ein Migrantenland zu werden“, hatte Victor Orban auf Facebook geschrieben. Empathie, Mitgefühl mit den Geflüchteten? Fehlanzeige. Auch das ist eine Schande.)

Allerdings ist auch die deutsche Haltung nicht viel besser: Schon beim ersten Asylkompromiss vor 30 Jahren hatte sich Deutschland abgeschottet, die Dublin-Regelung sorgte dafür, dass wir nur eine begrenzte Zahl an Flüchtlingen aufnehmen mussten. Weil wir ja von sogenannten „sicheren Drittstaaten“ umgeben sind. Weil Flüchtlinge zu uns eigentlich nur kommen konnten, wenn sie vom Himmel fielen.

Während nun die Innenministerin Faeser den zweiten Asylkompromiss feierte, muss ich mich fragen, was daran ein Erfolg ist, wenn das Recht auf Asyl weiter eingeschränkt wird und Menschenrechte noch mehr mit Füßen getreten werden. Mitmenschlichkeit, Empathie – auch hier Fehlanzeige. Der Aufschrei nach dem Unglück vor der Peleponnes mit den Hunderten Toten – scheinheilig und verlogen. Ich schäme mich, hier im Garten friedlich, satt und bar jeglicher Sorge um den nächsten Tag zu sitzen, während auf der ganzen Welt Menschen auf der Flucht sind. Weil sie nicht anders können. Die Geflüchteten bräuchten unsere Hilfe. Nicht unsere Abwehr.

Asylpfarrerin Ines Fischer hatte vor ihrem Abschied aus Reutlingen mehrfach betont, dass sie so unglaublich froh sei, dass sie in Deutschland geboren wurde. Ja. Sie hat Recht. Wie viele Stimmen von Geflüchteten hatte sie in den vergangenen Jahren gehört, die ihr von dieser unheimlichen Angst um das Überleben berichtet hatten? Wie froh können wir sein, dass uns diese Angst erspart bleibt. Ines Fischer ist über die Jahre hinweg nicht zynisch geworden, sie hat immer weiter geholfen.

Der ZEIT-Artikel von Michael Scott Moore ist im Netz unter https://www.zeit.de/2023/27/libysche-kuestenwache-schleuser-korruption-seenotrettung zu finden.

Das TItelfoto stammt von Ahmed Akacha, es zeigt nur andeutungsweise, warum Menschen fliehen – und in welch unmenschliche Zustände sie auf ihrer Flucht oftmals in Lagern geraten

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