Ein Segen für Reutlingen

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Asylpfarrerin Ines Fischer wird bei einem „Politischen Nachtgebet“ und einem Empfang im Matthäus-Alber-Haus verabschiedet 

Mehr als 300 Engagierte in der Flüchtlingsarbeit, Freunde und Unterstützer waren am Freitagabend in die Marienkirche gekommen. Erstaunt und erfreut über diese große Zahl hatte sich Dekan Marcus Keinath gezeigt. Sehr berührend war diese Abschiedsveranstaltung nach der Aussage vieler Besucher für Asylpfarrerin Ines Fischer. Sie hatte sich gewünscht, dass sie bei einem „Politischen Nachtgebet“ offiziell aus ihrem Amt entlassen wird. Diese besondere Form eines Gottesdienstes hat sie die vergangenen 7,5 Jahre selbst enorm mitgeprägt.

Zunächst ging jedoch Günter Jung als einer der Köpfe des Arbeitskreises Flüchtlinge auf „die verzweifelte Lebenssituation von Geflüchteten“ ein. Gerd Krauss (auch vom AK Flü) mahnte zudem, dass nun 110 Millionen Menschen auf der Flucht sind und immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und dass immer mehr Flüchtlinge durch sogenannte „Pushbacks“ auf dem Meer ausgesetzt werden. „Geflüchtete, die hier in Deutschland ankommen, berichten von immer brutaleren Erlebnissen auf der Flucht“, so Krauss.

„Das sind Menschen, die kein besseres Leben wollten, sondern einfach ‚nur‘ leben“, sagte Fischer in ihrer Predigt. Warum sich jemand überhaupt auf so eine gefährliche Fahrt, auf viel zu kleine, untaugliche Boote begibt? „Was sollen Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Südsudan denn sonst tun“, fragte die Asylpfarrerin. Und wie wird hier darauf reagiert? „In den letzten 7,5 Jahren habe ich bemerkt, wie die Empathie zurückgeht“, so Fischer.

Was zu tun ist, gegen die Verzweiflung, die Traurigkeit und die Verbitterung auch der Helfenden? Die Pfarrerin, die nun nach Jerusalem geht, setze „die Frucht der Gerechtigkeit“ entgegen, denn: „Die Frucht der Gerechtigkeit wird Friede sein“, war auch auf dem Liedblatt zu dem „Nachtgebet“ zu lesen. Und Fischer konterte zudem mit einem Lied, ihrem Lied der vergangenen Jahre, das von Wolf Biermann stammt: „Lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“

Ines Fischer sei in ihrer Zeit in Reutlingen „ein Segen“ gewesen, ein Segen für die Geflüchteten, die sie beraten und begleitet hat. Ein Segen für die Engagierten, die Flüchtlinge unterstützen. „Sie waren aber auch ein Segen für unsere Kirche, dass Sie immer wieder an die Aufgabe der Kirche erinnert haben“, betonte Prälat Markus Schoch während des Gottesdienstes. „Ich möchte Danke sagen“, so Schoch – und die 300 Gäste stimmten mit viel Beifall und stehenden Ovationen zu.

Im Matthäus-Alber-Haus hatte Dekan Marcus Keinath anschließend betont: „Es ist das Vermächtnis von Ines Fischer, dass Menschenrechte nicht an Grenzen enden dürfen.“ Und Diakonieverbandsgeschäftsführer Joachim Rückle hob hervor, dass „Ines Fischer stets klar benannt hat, was im Widerspruch zu Menschenrechten und zum christlichen Menschenbild steht“.

Doch wie geht es nun weiter? Gerd Krauss verwies auf die Stelle einer Diakonin oder eines Sozialpädagogen, die beim Diakonieverband nun geschaffen wird. „Was ist aber bis zum 1. September, wenn diese Person – so sie gefunden wird – ihre Arbeit aufnehmen soll“, so Krauss. Bei der riesigen Zahl der Flüchtlinge, die in den kommenden Jahren auch in Europa ankommen werden, müsse die Kirche ein Zeichen setzen: „Wir brauchen einen Diakon und eine Pfarrerin“, so Krauss.

Ines Fischer selbst hatte in ihren kurzen Ausführungen betont: „Ich danke allen Flüchtlingen, die Vertrauen in mich hatten.“ Gleichzeitig berief sie sich auf Günter Jung, der ihr gleich zu Beginn ihrer Zeit in Reutlingen gesagt hatte: „Die Menschenrechte müssen immer wieder neu erkämpft werden. Es tue ihr leid, Reutlingen den Rücken zu kehren, aber sie freue sich auch auf Jerusalem.

Augenzwinkernd hatte Vesperkirchenpfarrer Jörg Mutschler hinter vorgehaltener Hand gesagt: „Wenn Ines Fischer irgendwann Bischöfin der württembergischen Landeskirche wird, dann habe ich wieder Hoffnung.“ Und Susanne Stutzmann von FERDA International hatte am Rande der Abschiedsveranstaltung im Alber-Haus auf die Begeisterungsfähigkeit von Ines Fischer abgehoben: „Ines die Menschen-Fischer-in.“ Auffällig, dass sowohl vom Landkreis wie auch von der Stadt kein Grußwort kam? Sozialamtsleiter Haas hatte krankheitsbedingt abgesagt – er hätte für den Landkreis mitsprechen sollen.

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