Völlig anders als im Fernsehen

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Gisela Wörz aus Zainingen ist seit mehr als 20 Jahren Schöffin am Reutlinger Amtsgericht

Gisela Wörz ist Richterin. Also ehrenamtliche Richterin. Schöffin beziehungsweise Schöffe nennt man diejenigen, die sich freiwillig für dieses Amt bewerben. Allerdings soll es Regionen in Deutschland geben, in denen sich nicht ausreichend Freiwillige finden. Dort werden die ehrenamtlichen Richter dann vom Schöffenwahlausschuss bestimmt. In Reutlingen war das jedoch noch nicht vonnöten – nach den Worten des hauptamtlichen Reutlinger Amtsrichters Eberhard Hausch hatten sich vor der letzten Amtsperiode für ehrenamtliche Richterinnen und Richter mehrere hundert Personen beworben. Im hiesigen Landkreis Reutlingen existieren aber „nur“ 30 Stellen für sie. Gisela Wörz hatte die zurückliegenden fünf Jahre eine davon eingenommen.

Das war jedoch nicht ihre erste Amtsperiode – vor mehr als 20 Jahren hatte sie sich zum ersten Mal beworben. „Da war ich noch im Gemeinderat in Römerstein und ich wurde gefragt, ob ich nicht Schöffin werden wollte“, erinnert sich die Zainingerin. Sie fand die Idee spannend und habe sich dazu bereit erklärt. „Ich wusste aber überhaupt nicht, was da auf mich zukam, dass ich plötzlich im Gericht sitze und gleichberechtigt mit einem hauptamtlichen Richter über Angeklagte entscheide“. In Reutlingen sind es immer zwei Schöffen, die zusammen mit dem Richter über die Fragen entscheiden: „Ist der Angeklagte der Täter und welche Strafe ist angemessen“, erläutert Eberhard Hausch.

Wörz traf in ihren ersten Verhandlungen also auf Hausch als Profi-Richter, „einen anderen habe ich auch nie kennengelernt“, sagt die gelernte Industriekauffrau. In ihrer langjährigen Tätigkeit als Schöffin habe sie so manches heftige Schicksal kennengelernt – auf Opferseite, aber auch unter den Tätern. „Wenn man die Lebensgeschichte der Angeklagten erfährt, muss man sich manchmal nicht wundern, was aus ihnen geworden ist“, sagt Gisela Wörz. Mit Drogendelikten hatte sie in all den Jahren ebenso zu tun wie mit Sexualstraftätern, mit Dieben und Halunken jeglicher Couleur.

Ehrenamtlich tätig war sie schon vor ihrem Amt als Schöffin – als besagte Gemeinderätin, aber auch als Leiterin des Akkordeonorchesters des Schwäbischen Albvereins Zainingen. „Am Schöffengericht ist es so ähnlich, wie im Gemeinderat – in beiden Gremien gibt es Menschen, die man vielleicht nicht so richtig gut mag“, sagt Wörz. Trotzdem müsse man zusammenarbeiten. Und wenn einem die Nase eines Angeklagten nicht gefällt, vielleicht so ein richtiger Unsympath vor den Richtertisch tritt, „dann fällen wir trotzdem eine sachlich fundierte Entscheidung“, so Wörz.

Schöffen haben jedoch keine Aktenkenntnis, sie treten unvoreingenommen in die Verhandlung ein. Alles weitere ergebe sich dann aus den Aussagen der Angeklagten und der Zeugen. Wenn sie zurückdenkt an die lange Zeit ihrer Tätigkeit als Schöffin, an was für einen Fall erinnert sie sich als erstes? „Eine junge Frau aus Irland, sie war nur kurze Zeit in Metzingen, wurde mehrfach vergewaltigt und der Angeklagte war ein richtiger Stinkstiefel.“ Grundsätzlich seien Sexualstraftaten oftmals auch für die (Laien-) Richter sehr belastend – weil die Opfer das Trauma der Vergewaltigung vor Gericht häufig nochmals durchleben. „Oder weil womöglich sogar junge Männer aus dem eigenen Flecken angeklagt sind – wo man das gesamte Umfeld kennt.“ Ein Grund für die Ablehnung des Falls sei das für die Schöffen aber nicht.

Gisela Wörz erinnert sich an eine Verhandlung, als vor vielen Jahren in Zainingen „ein Feuerteufel“ unterwegs war – auch dort kannte die Schöffin sowohl den Angeklagten wie auch die Familie. Und dennoch will Gisela Wörz die große Palette an Erfahrungen im Gericht nicht missen: „Es war eine sehr spannende Zeit“, sagt die Schöffin. Sie habe die Tätigkeit des Berufsrichters stets bewundert. Wenn er mit all seinem Fachwissen die Schöffen beraten, ihnen erklärt hat, warum jetzt dieser oder jener Strafrahmen angemessen sei. Und dabei die Menschlichkeit aber nicht vergessen hatte. „Ich habe mich immer gefragt, ob wir Schöffen dem Richter nicht lästig sind – weil man uns Schöffen ja alles erklären muss.“ Eberhard Hausch widerspricht: „Ich würde die Tätigkeit nicht allein machen wollen.“ Es sei immer sinnvoll, wenn nicht nur ein Richter, sondern zwei weitere Personen auf den Sachverhalt draufschauen.

Ob Gisela Wörz für die neue Schöffen-Wahlperiode ab dem 1. Januar 2024 nochmals kandidiert? Sie schaut zweifelnd. „Ich werde versuchen, Frau Wörz positiv zu beeinflussen“, sagt stattdessen Richter Hausch. Dann erwidert die Zainingerin zögerlich: „Man soll ja nicht an seinem Stuhl kleben.“ Vorstellen könne sie sich aber schon, noch einmal als Schöffin für das Gericht in Reutlingen zur Verfügung zu stehen. Denn: „Die Tätigkeit dort ist so weit weg vom eigenen normalen Alltag – und völlig anders als im Fernsehen“, sagt sie und lacht.

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