Spatzenhirn

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Als ich am Donnerstag vom Friseur zurück nach Hause lief, sah ich auf einem Zaun einen Sperling sitzen, einen Spatz.

Als ich näherkam, flog er nicht weg – was mich schon wunderte. Hatte er keine Angst vor mir? Ich blieb stehen, sah ihn an, genauso wie er mich. „Na, du“, sagte ich. Er legte den Kopf etwas schief, fast genauso, wie ich das tue, wenn ich anderen Menschen aufmerksam und intensiv zuhöre. „Wie geht’s dir“, fragte ich. Der Spatz schüttelte sein winziges Köpfchen, als wollte er mir sagen: „Ach, frag nicht.“ Ich erwiderte: „Ach ja, das kann ich mir vorstellen, dass auch du dir Gedanken machst über die unglaubliche Blödheit der Menschen.“

Ich wollte mich schon abwenden, da ließ er ein Pfeifen hören. Als wollte er mir zustimmen. Ohne groß weiter nachzudenken, sagte ich zu ihm: „Kannst du mir erklären, warum die Menschen sich von Beginn an bekämpft, ermordet, getötet haben – und bis zum heutigen Tag offensichtlich nichts dazugelernt haben?“ Erneut legte der Spatz den Kopf schief und sah mich eindringlich an.

Auf der anderen Straßenseite blieb eine Frau stehen und sah zu mir herüber. „Ko mr Ihna helfa“, fragte sie. Ihre offensichtlich schwere Einkaufstasche hatte sie auf dem Boden abgestellt. „Noi, Danke“, rief ich. „Ich unterhalte mich hier nur mit einem Vogel.“ Die Frau blickte irritiert. „Willet Sie mi‘ verarscha“, fragte sie unumwunden. „Aber keinesfalls“, rief ich zurück, wandte mich aber wieder dem Spatz zu. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, wie die Frau schimpfend ihre Tasche aufnahm und ihres Weges ging.

„Also mein lieber Spatz, was denkst du mit deinem Spatzenhirn“, sagte ich. „Weißt du was, du arroganter Fatzke“, entgegnete der Spatz mit einer sehr tiefen Bassstimme. Erschrocken machte ich zwei Schritte zurück und sah mich verstohlen um, ob da noch andere Menschen in der Nähe waren. Aber es war niemand zu sehen. „Sag noch einmal Spatzenhirn zu meinem bestens austarierten Denkapparat und ich bohre dir meinen Schnabel ins Auge.“ Erschrocken zuckte ich zurück, doch der Spatz hüpfte auf seinen winzigen Füßchen auf dem Zaun noch näher an mich heran. „Spaß“, sagte der Vogel. „Aber ich kann dir eins sagen: Ich mit meinem Spatzenhirn würde so einen Bullshit wie ihr Menschen nie, nie-mals anstellen.“ „Was meinst du denn“, fragte ich immer noch ziemlich verstört, dass ein Spatz sich mit mir unterhielt. Immer wieder warf ich verstohlene Blicke über meine Schultern.

„Jetzt pass mal auf, du neunmalkluger Mensch, du“, sagte der Vogel. „Wenn du und deine Gesellen nichts anderes fertigbringen als euch über Jahrhunderte hinweg immer wieder gegenseitig umzubringen, zu verfolgen, zu terrorisieren, zu foltern – was soll ich als kleines Tierchen wohl dazu sagen?“ Ich starrte den Vogel erwartungsvoll an. „Ja und“, fragte ich schließlich, als nichts Weiteres kam. „Ihr seid doch diejenigen, die denken, dass ihr die Weisheit mit Löffeln gefressen habt“, sagte der Spatz schließlich. „Aber so weit reicht es bei euch nicht, dass ihr in Frieden leben könnt – ihr hättet doch alle Möglichkeiten dazu. Und was macht ihr? Nur Mist. Die ganze Welt zerstören. Krieg um Krieg führen. Euch immer wieder gegenseitig umbringen. Warum? Weil ihr neidisch seid. Weil ihr habgierig seid. Machtgelüste habt. Wie blöd muss man sein?“ Gute Frage, dachte ich. Wie blöd muss man sein, um nicht in Frieden zusammen leben zu können?

„Und was denkst du, sollte der Mensch tun“, fragte ich und ging wieder einen Schritt auf den Spatz zu. „Ihr solltet endlich verstehen, dass wir Tiere gar nicht so minderbemittelt sind, wie ihr denkt. Ich mit meinem Spatzenhirn habe immerhin den Vorteil, dass ich niemals auf die Idee käme, meine Kumpels in Nachbars Garten umzubringen. Nur weil die vielleicht mehr Körner, schönere Nester haben.“ Nachdenklich schaute ich den Spatz an. „Ich danke dir für das Gespräch“, sagte ich sehr gerührt. „Darf ich anderen Menschen von dir berichten“, fragte ich den kleinen Piepmatz. Der lachte laut heraus. „Ja“, sagte er mit seiner Bassstimme. „Tu das – aber es wird dir eh niemand glauben.“

Wie weise dieser kleine Vogel doch war. Eines kann ich euch versichern: Die Geschichte habe ich nicht erfunden. Sie ist mir genau so passiert. Kürzlich, nachdem ich beim Friseur war. Und wenn ihr jetzt bei der Psychiatrie anrufen und einen Krankenwagen bestellen wollt – nicht nötig. Ich habe schon angerufen. Die meinten, sie müssten meine Tabletten umstellen. Aber ich verrate euch eins: Ich nehme sie eh nicht. Warum nicht? Na, was glaubt ihr? Lieber spreche ich mit hochintelligenten Spatzen mit Bassstimme, als mir immerzu Gedanken über die unbeschreibliche Blödheit der Menschen machen zu müssen.

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