„Für Menschlichkeit gibt es keine Alternative“

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Foto: Auf Einladung des AK Flüchtlinge und von Asylpfarrering Ines Fischer (von links) berichteten Prof. Gerhard Trabert und Olaf Oehmichen am Freitag, 20. Januar 2023, in der Reutlinger Christuskirche über Seenotrettung und Einsätze für die Menschlichkeit.

Arzt und Bundespräsidenten-Kandidat Prof. Gerhard Trabert sowie Architekt und Seenotretter Olaf Oehmichen berichten in der Reutlinger Christuskirche über ihre Tätigkeiten

„Wie rechtfertigt denn die deutsche Bundesregierung ihre Haltung, dass sie die Seenotrettung im Mittelmeer nicht unterstützt, sondern sogar versucht, sie gesetzlich zu vereiteln“, lautete eine der Fragen von Schülerinnen am Freitagmorgen in der Reutlinger Christuskirche. Der Arzt, Sozialarbeiter, Sozialpsychologe und Bundespräsidenten-Kandidat Prof. Gerhard Trabert sowie Olaf Oehmichen (Architekt und Seenotretter) taten sich schwer mit der Frage. „Das weiß ich auch nicht“, sagte Trabert, der scheinbar in allen Krisenregionen, in allen Flüchtlingslagern dieser Welt auftaucht, um den Schwächsten, den Opfern von Krieg und Terror, zu helfen.

„Es heißt ja immer wieder, wir könnten nicht alle Menschen aufnehmen, der Flüchtlingsstrom müsse gestoppt werden“, sagte Gerhard Trabert. Dabei würden im „Mittelmeer, als gefährlichste Grenze der Welt, massiv Menschenrechte verletzt“. Das bestätigte auch Oehmichen, der Architekt aus Asperg bei Ludwigsburg, der immer wieder bei Rettungseinsätzen im Mittelmeer dabei ist. Etwa 1500 Menschen hat Olaf Oehmichen mit unterschiedlichen Schiffen und unterschiedlichen Teams schon aus größter Seenot gerettet.

Aber er hat auch unheimlich viel Leid und Not gesehen, ertrinkende, sterbende Menschen, Männer, Frauen, Kinder. Trabert war auch schon bei solchen Einsätzen dabei. Wie die beiden all das Leid aushalten, verkraften, wollte eine Schülerin wissen. „Wir retten ja auch viele Menschen“, so Oehmichen. Problematisch sei es nach solchen Einsätzen immer wieder, mit den vermeintlichen Schwierigkeiten hier im Alltag klar zu kommen. „Es ist wichtig, Menschen zu haben, mit denen ich reden kann“, sagte Trabert.

In seinem Vortrag zeigte der Arzt zahlreiche Bilder aus Flüchtlingslagern, in denen er schon war. Auf Lesbos, in der Türkei, in Nordsyrien, an der bosnisch-kroatischen Grenze, im Libanon. „Mir liegen besonders die Menschen mit Behinderungen am Herzen, denn die sind besonders schutzbedürftig.“ Mehrere Jahre habe er gebraucht, bis er über den europäischen Gerichtshof einem jungen querschnittgelähmten Mann aus Damaskus nach Deutschland zu holen. Der Syrer wollte nicht in die Armee, ist geflohen, wurde an der syrischen Grenze angeschossen und sitzt seitdem im Rollstuhl. Trabert traf ihn im berüchtigten Flüchtlingslager Moria auf Lesbos.

Solche Schicksale kennt der Arzt und Professor viele. In Mainz aber hat er den Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ aufgebaut. Zusammen mit 20 Angestellten und einigen Ehrenamtlichen kümmert er sich um Wohnsitzlose, um Asylbewerber, um Menschen am Rand der Gesellschaft.

Auf Einladung des Reutlinger AK Flüchtlinge sind die beiden Referenten in die Christuskirche gekommen. Sie haben Schüler wie auch Lehrer tief beeindruckt mit ihren aufrüttelnden Berichten und Bildern. „An guten Tagen kommen rund 1000 Menschen in Lampedusa an“, sagte Oehmichen. An schlechten Tagen ertrinken die meisten. „Rund 14 Prozent aller Geflüchteten, die versuchen, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen, können von Nicht-Regierungs-Organisationen gerettet werden“, sagte der Architekt. Ein verschwindend geringer Anteil all der Menschen, die jene dramatische Flucht zunächst über Land und dann über den Seeweg nach Griechenland, Italien oder Spanien schaffen, kommen tatsächlich in Deutschland an. „Von Januar 2020 bis Juni 2021 waren es nicht mehr als 243 Menschen“, so Oehmichen.

Wenn sie aber in Lagern wie in Moria auf Lesbos angekommen sind, ist ja längst nicht alles gut: Noch vor rund zwei Jahren, vegetierten laut Trabert rund 14 000 Menschen in dem Lager, das nur für 3000 Personen vorgesehen war. „Sind die Geflüchteten in Griechenland anerkannt, kriegen sie keinerlei Unterstützung vom Staat – sie müssen selbst schauen, wie sie überleben.“ Deshalb würden Geflüchtete, die über Griechenland nach Deutschland kamen, auch nicht mehr zurückgeschickt. „Weil es für die Flüchtlinge in Griechenland zu gefährlich ist“, unterstrich Trabert.

Sein Grundsatz laute: „Menschen mit Respekt und Würde zu begegnen, wir dürfen bei all dem Leid nicht wegschauen – für Menschlichkeit gibt es keine Alternative.“ Was denn die Schüler selbst tun könnten, um sich für Geflüchtete, für Menschen am Rand der Gesellschaft einzusetzen, wollte eine Schülerin wissen. „Es gibt die Seebrücke in Reutlingen“, sagte Olaf Oehmichen. „Da könnt ihr euch einbringen und auch euren Konsum überdenken, denn: Wenn ihr Billigklamotten kauft, die kommen alle aus Ländern, in denen Menschen gnadenlos ausgebeutet werden.“

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