Raus aus der Tabuzone

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Der Reutlinger Serkan Ilker bringt sich seit neun Jahren in die Hospizarbeit ein und begleitet neben seinem Beruf als Versandleiter sterbende Menschen

„Ich warte schon drauf, dass Hollywood anruft, aber das Telefon bleibt still“, sagt Serkan Ilker und lacht laut heraus. Seine Bemerkung bezieht er auf eine Sendung in ZDF Info, sie heißt „Forum am Freitag“ und beschäftigt sich vor allem mit Migranten, die sich in Deutschland ehrenamtlich engagieren. „Als eine Frau von ZDF Info bei mir anrief, habe ich gedacht, die will mich verarschen, ich habe gesagt: Und dann steht hier ein Kühlschrank, den ich bestellt haben soll“, frotzelt Ilker. Doch das weitere Gespräch mit der Frau wurde ernster.

Ein Termin im Hospiz Veronika in Eningen wurde vereinbart, der 50jährige Ilker wurde gefilmt, als er eine Frau dort zum ersten Mal besuchte. Der Funke sei gleich zwischen beiden übergesprungen. Ilker sprach mit der Frau, deren Tod schon vor der Tür stand. Ob sie Angst habe, fragte Ilker. Als Muslim las er ihr ein christliches Gebet vor – und zum Abschied umarmten sich beide innig. Der Frau hat der Besuch von Ilker ganz offensichtlich gutgetan. „Ich habe kein Problem damit, auf Menschen einzugehen, egal, welchen Glauben sie haben“, berichtet der Reutlinger. Solche Besuche wie in dem Hospiz macht er oft. Und das schon seit neun Jahren.

Beruflich arbeitet Serkan Ilker bei der Nehrener Firma Hain Lifescience, die weltweit Test-Kits zur medizinischen Diagnostik von Krankheiten vertreibt. Er ist dort Versandleiter, ein herausfordernder Job. „Wenn ich arbeite, bin ich so im Stress, dass ich gar nicht an Müdigkeit denken kann“, sagt er. Grundsätzlich braucht er aber offensichtlich nicht viel Schlaf, denn: „Ab 18 Uhr bin ich bereit für Einsätze bei Sterbenden“, sagt der 50jährige. Wie lange die Einsätze im Krankenhaus, in Pflegeheimen, im Hospiz oder bei den Menschen zuhause dauern – „das weiß ich vorher nicht, meistens bin ich aber um 22 Uhr wieder zuhause“. Aber theoretisch kann die Nachtwache auch erst am nächsten Morgen enden. Und dann geht es trotzdem wieder zur Arbeit. „Ich kriege schon genug Schlaf“, beruhigt Ilker.

Wie er zur Hospizarbeit gekommen ist? „Das Sterben, dieser Übergang vom Leben zum Tod, hat mich schon immer fasziniert“, sagt er. Dabei hat er keinerlei morbide Tendenzen, er ist kein Grufti oder Anhänger der Gothic-Szene. Ilker will helfen. Menschen beim Sterben nicht allein lassen.  „Ich habe meine krebskranke Mutter sechs Wochen im Krankenhaus beim Sterben begleitet – damals hätte ich gerne Unterstützung durch andere gehabt.“ Auch einen Bruder hat er begleitet. Die Erfahrungen haben ihn geprägt. „Ich will nicht, dass Menschen allein sterben müssen“, sagt Ilker zutiefst überzeugt.

Als er sich nach dem Tod seiner Mutter in einem Pflegeheim ehrenamtlich engagierte, fand er dort einen Flyer vom Ambulanten Hospizdienst. „Ich wusste sofort, das ist mein Ding.“ Er habe umgehend dort angerufen und sich 1,5 Stunden mit Geschäftsführerin Silvia Ulbrich-Bierig unterhalten. Serkan Ilker besuchte einen Informationsabend, „ich hatte nur eine Frage, ob man bei den Einsätzen auch weinen darf – wenn nicht, kann ich das nicht machen“. Der Reutlinger absolvierte den einjährigen Vorbereitungskurs und ist seit neun Jahren aktiver Sterbebegleiter. „Ich nehme so viel mit aus dieser Tätigkeit.“ Ein „Trauerkloß“ ist Serkan Ilker aber auf keinen Fall: Er tritt als selbstbewusster, fröhlicher, reflektierter und empathischer Mensch auf. Seine Frau hingegen berichtet in dem Fernsehbeitrag, dass sie keine Sterbebegleitung wie ihr Mann machen könne. „Das belastet mich zu sehr, ich könnte nicht wie er abschalten“, sagt sie.

Aber Serkan Ilker ist nicht nur Sterbe-, sondern auch Trauerbegleiter: Jeden ersten Freitag im Monat von 15 bis 17 Uhr ist er im Trauercafé in der Reutlinger Citykirche, hört den Trauernden zu. Er spendet Trost, gibt auch Impulse, wenn nötig. „Meistens unterhalten sich die Besucher aber untereinander und ich muss da gar nicht viel machen“, spielt Ilker seine eigene Rolle herunter. Vorbereiten muss er sich dennoch auf die Termine. Passende Worte parat haben, wenn die Unterhaltungen stocken. „Ich möchte mit meiner Tätigkeit den Tod aus der Tabuzone herausholen“, sagt der Reutlinger.

INFO:

Spende von Hain Lifescience an den Ambulanten Hospizdienst

Bei seinem Gespräch mit unserer Zeitung hat Serkan Ilker einen Scheck über 2500 Euro mitgebracht. Gespendet hat diesen Betrag sein Arbeitgeber, Hain Lifescience aus Nehren, an den Ambulanten Hospizdienst. „Die beiden Geschäftsführer Guy Francis und Bernd Merkl unterstützen mich bei meiner Tätigkeit als Sterbebegleiter“, sagt Ilker. Als der Reutlinger um eine Spende gebeten hat, hätten die Firmenchefs sogleich zugesagt. „Und auch, wenn ich mal während der Arbeitszeit einen Einsatz als Sterbegleiter hätte, ist das kein Problem“, sagt der Versandleiter. Der 15minütige Film über seine Tätigkeit für den Ambulanten Hospizdienst ist im Übrigen auch im Internet zu sehen. Einfach in die Suchleiste „Serkan Ilker ZDF“ eingeben. Oder den Link auf der Homepage www.hospiz-reutlingen.de nutzen.

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