Fachkräfte aus unterschiedlichsten Beratungsstellen kommen im Café Sozial in Tübingen zusammen, um über „Energiekrise, Inflation und Armut“ mit Politikern zu diskutieren
Es war ein erster Versuch, ein Gespräch von Fachkräften aus den Tübinger Beratungsstellen über die momentanen Krisen mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik zu führen. Um aufzuzeigen, wie Energiekrise und Inflation sich auf die Hilfseinrichtungen und ganz konkret auf arme Menschen auswirkt. Thomas Pfister von der Aidshilfe etwa verdeutlichte das damit, dass er Äußerungen der betreunten Personen aufgeschrieben hat, die zum größten Teil von Hartz IV abhängig sind: „“Ich bin jetzt schon eine Woche vor Monatsende blank“, war eine solche Bemerkung. „Ich gehe jetzt Flaschen sammeln“, eine weitere.
Fabian Everding vom Tübinger Arbeitslosentreff berichtete über „zunehmende Verunsicherung und Angst“ und das vor allem angesichts der im kommenden Jahr zu erwartenden Nachforderungen für die Energiekosten. „Vor der Tafel stehen immer längere Schlangen“, hatte Elisabeth Stauber als Leiterin des städtischen Fachbereichs Soziales ausgeführt. Schon im vergangenen Jahr hätten 3,2 Prozent der Deutschen nicht genug heizen können – weil sie es sich nicht leisten konnten. „Das sind 2,6 Millionen Menschen“, so Stauber. Karin Betz-Oberhauser vom Diakonischen Werk betonte: „Hartz IV reicht jetzt schon nicht, um sich ausreichend mit Lebensmitteln für einen Monat zu versorgen.“
Sie hoffe nun auf das Bürgergeld, das am Montag im Bundesrat von CDU/CSU abgelehnt wurde. Aber: „Auch die neuen Regelsätze werden nicht ausreichen.“ Das neue Wohngeldgesetz werde dazu führen, dass deutlich mehr Menschen einen Anspruch darauf haben werden – „die Folge wird aber sein, dass die Wartezeiten bei den Behörden und dem Jobcenter noch länger werden“, so Betz-Oberhauser. Die Beratungsstellen der freien Träger bräuchten dringend mehr Personal. Bei der Stadt zumindest sollen laut Bürgermeisterin Dr. Daniela Harsch und Stauber einige neue Stellen geschaffen werden, um die Antragsflut bewältigen zu können.
Paola Rapp vom Verband alleinerziehende Mütter und Väter (VAMV) berichtete von Wut und Tränen, wenn Hilfesuchende bei ihr erfahren, dass sie mit ihrem Verdienst knapp über jeglichen Hilfesätzen liegen. Sie berichtete von „Angst vor der nächsten Rechnung“, dass Kinder mitleiden würden und dass viele Hilfesuchende oft nicht wüssten, wer wo welche Hilfe erhalten könne. Die „Schwellenhaushalte“, die sich nahe der Armutsgrenze befinden, sind nach den Worten des SPD-Bundestagsabgeordneten Martin Rosemann „ein besonders drängendes Thema“. Wohngeldreform und Kindergelderhöhung sollen helfen „und wir wollen eine Kindergrundsicherung erreichen, das wird dann eine richtig große Reform“. Zudem werde es ab spätestens März eine Gas- und Strompreisbremse geben – was auch für Fernwärme gelte.
Manuel Hailfinger (CDU) sprach als CDU-Landtagsabgeordneter davon, dass er „spüre, wie stark die Stimmung umschwenkt – vielen Menschen im Land kommt die Zuversicht abhanden“. Dorothea Kliche-Behnke lobte als Tübinger SPD-Landtagsabgeordnete das soziale Forum vom Montag, „das ist das einzige weit und breit“. In Tübingen gebe es „eine Sensibilität für Armutslagen in der Kommunalverwaltung – das ist im Land nicht so vorhanden“, so die SPD-Politikerin. Sie stimmte der Forderung von Betz-Oberhauser zu, „die sozialen Träger müssen abgesichert werden“. Das forderte auch Rapp, denn: „Unterstützungsanträge liegen zum Teil monatelang bei Behörden.“
Martin Rosemann erläuterte, dass im neuen Bürgergeldgesetz beinhalten soll, „dass die gesundheitliche Situation der Menschen mit einbezogen wird und dass das Jobcenter aufsuchende Arbeit macht“. Doch der SPD-Bundespolitiker hatte auch eine Vision: „Es sollte eine einzige Anlaufstelle für alle sozialen Hilfen und Fragen geben, vielleicht könnte in Tübingen ja solch ein Modellprojekt gestartet werden“, so Rosemann. Die Anwesenden zeigten sich begeistert von dieser fast schon revolutionären Idee. Doch zunächst könnte ja zumindest die „KreisBonusCard extra“ nicht nur für Hartz IV-Empfänger, sondern für alle geöffnet werden, „das wäre der richtige Weg, zur Teilhabeförderung“, sagte Stauber.
Dem stimmte auch Harsch zu: „Das wäre einfach und richtig.“ Zu Rosemanns Vision sagte Stauber: „Die Idee einer einzigen Anlaufstelle wäre super – aber jetzt müssen wir erst mal die Krise bewältigen.“ Sicher waren sich aber alle Anwesenden aus dem sozialen Bereich, „dass wir solche Gespräche öfter machen sollten, wir werden sie fortsetzen, das lohnt sich, das war heute total toll,“, so Stauber.