Den Sinn des Lebens tanken

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Barbara Haas engagiert sich seit fast 30 Jahren ehrenamtlich in der Ambulanten und Stationären Hospizarbeit

„Die Tätigkeit hält mich jung“, sagt Barbara Haas mit Blick auf ihr Engagement im Ambulanten und auch im Stationären Hospizdienst seit fast 30 Jahren. 1994, gleich als die „Arbeitsgemeinschaft Hospiz“ in Reutlingen gegründet wurde, war die heute 83-Jährige dabei. „Meine Kinder waren damals alle aus dem Haus, ich hatte mir überlegt, was ich ehrenamtlich noch machen könnte“, berichtet sie. Bei der Lebenshilfe, im Kaffeehäusle war sie zuvor schon seit vielen Jahren aktiv gewesen, damals, mit Anfang 50, hatte sie plötzlich noch mehr Zeit. „Ich hatte aber zunächst keine Ahnung, in welchen Bereich ich mich einbringen sollte.“ Als Petra Rinn ihr von der Idee des Hospizdienstes erzählte, da wusste Haas: „Das ist’s.“

Warum? Für Menschen in Extrem- und in Notsituationen, in den Übergängen vom Leben zum Tod da zu sein – das erscheint Barbara Haas nach wie vor extrem wichtig. Menschen zu unterstützen. Sie nicht allein zu lassen, in diesen so schwierigen Momenten des Lebens, bei ihnen zuhause, im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Doch Haas war und ist sowohl für die Sterbenden wie auch für die Angehörigen da. „Es gab mal einen Einsatz, da habe ich die Sterbende gar nicht gesehen.“ Stundenlang hatte Haas sich mit dem aus Südamerika angereisten Vater unterhalten und danach noch mit der Schwester der Sterbenden. Für diese Menschen war die Anwesenheit von Barbara Haas ungemein wichtig: Mit ihr über ihre Sorgen, Ängste, über die Vergangenheit, das Erlebte und vielleicht auch das Verpasste zu reden.

„Manchmal ist es wichtig, einfach nur da zu sein, gar nichts zu tun, nur dazusitzen, neben dem sterbenden Menschen“, sagt die 83jährige geistig wie körperlich agile Frau im Rückblick. Einfach „nur“ da zu sein – das sei einer der Kernpunkte in der Hospizarbeit, betont Silvia Ulbrich-Bierig als Geschäftsführerin des Ambulanten Hospizdienstes in Reutlingen. „Ich kam in lebhafte Familien, war bei verzweifelten oder einsamen Menschen und bei solchen, die in Ruhe und Frieden ihre letzten Tage und Stunden gelebt haben“, erinnert sich Haas. „Es war eine gute Zeit für mich.“ Seit 20 Jahren, seitdem es das Hospiz Veronika in Eningen gibt, bringt sie sich dort zusätzlich ehrenamtlich ein. Auch heute noch. „Es ist schön, zusammen im Team zu arbeiten, ein kleines Rädchen in diesem Miteinander zu sein und gemeinsam unseren Gästen die letzte Zeit ihres Lebens erträglicher rund lebenswerter zu machen.“ Dazu brauche es oft gar nicht viel, „kleine Dinge können in diesem Zusammenhang viel bedeuten“. Für Haas selbst sei es „ein Geschenk, Teil dieser Hospizfamilie zu sein“.

Alle zwei Wochen arbeitet sie an einem Montagvormittag fünf bis sechs Stunden im Eninger Hospiz mit. Insgesamt 17 Ehrenamtliche sind es, die sich dort im Zusammenspiel mit den hauptamtlichen Pflegerinnen und Pflegern zum Wohle der Gäste einbringen. „Klar, wenn ich wieder nach Hause fahre, bin ich ziemlich groggy, trotzdem freue ich mich schon wieder auf den nächsten Einsatz“, sagt Barbara Haas. Sie selbst hatte vier Kindern das Leben geschenkt, sie erzogen, den Haushalt geführt, sich um die Eltern und Schwiegereltern gekümmert. „Bei all dem war ich mit meinem Ehemann, der stark im Beruf gefordert war, immer Einzelkämpferin.“ In der Hospizarbeit habe sie die Arbeit im Team kennengelernt. „Entweder war ich bei den ambulanten Einsätzen in die Familie eingebunden oder ich hatte die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Hintergrund.“ Für sie sei das Gefühl wichtig gewesen, „dass das Team mich trägt“.

Dabei war der Austausch über die manchmal belastende Tätigkeit ein wichtiger Punkt. „Ganz schwierig war es für mich, wenn ich bei Einsätzen auf Ablehnung gestoßen bin.“ Wenn ein Sterbender etwa ihm ganz wichtige Dinge noch erzählen wollte und dann plötzlich sagte: „So – jetzt können sie gehen.“ Ob es Unterschiede zwischen Tag- und Nachteinsätzen gab? „Ja, nachts ist alles viel ruhiger, heruntergefahren.“ Tagsüber gebe es immer so viel zu tun, da klingle das Telefon, der Pflegedienst komme, Angehörige seien da, die das Gespräch suchen, und vieles mehr. Geliebt habe Barbara Haas all diese Tätigkeiten. Mit dem Gefühl, Wichtiges und Gutes für die jeweiligen Menschen zu tun. Und dennoch: „Manchmal hatte ich ein schlechtes Gewissen.“ Sie habe sich gefragt, ob das nun hilfreich war, was sie gesagt oder getan habe. Aber: „Fehler macht man halt.“

An der Tätigkeit im Hospiz Veronika liebe Haas, dass sie „Gäste, manche Angehörige und das Pflegeteam über Wochen und Monate hinweg kennenlerne – das ist richtig toll“. Erschreckend seien jedoch die körperlichen Veränderungen, die mit den Sterbenden vor sich gehen. Mehr als 28 Jahre engagiert sich Barbara Haas in der Hospizarbeit. Sie liebt die Tätigkeit nach wie vor. Warum? „Ich bin neugierig auf Menschen“, sagt Haas. Sie interessiere sich für Menschen, Schicksale und – „bei all den Begegnungen tanke ich Leben, ich tanke den Sinn des Lebens“, sagt die 83-Jährige. Das gehe weit über den Vergleich mit sich selbst hinaus, dass es ihr im Vergleich zu den Sterbenden doch unglaublich gut gehe. „Hospizarbeit ist nicht traurig“, sagt Haas. Wenn nämlich die Ehrenamtlichen wie auch die Hauptamtlichen abseits der Hospizarbeit zusammenkommen, „dann wird unglaublich viel gelacht“, sind sich Haas wie auch Silvia Ulbrich-Bierig völlig einig. Dabei lächeln sie sich wissend an.

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