Erntegespräch des Kreisbauernverbands auf dem Schönbuchhof von Gerhard und Matthias Neuscheler bei Walddorfhäslach
So früh im Jahr waren die Landwirte im Kreis Reutlingen selten fertig mit der Ernte: Nach den Worten von Kreisbauernverbandsvorsitzendem Gebhard Aierstock ist im Albvorland die Ernte schon eingefahren, doch selbst auf der Schwäbischen Alb – im hintersten Zipfel des Landkreises Reutlingen, wo Aierstock seinen eigenen Hof hat – sei mit dem 12. August die Ernte fast schon über die Bühne gebracht. „Im vergangenen Jahr war das ganz anders.“ 2022 sei bis zum Juni der Regen ausreichend gewesen, ab Juli stiegen die Temperaturen rapide an und sind bis heute extrem hoch. Alles sei enorm gewachsen, doch dann wurde das Wasser knapp. Die Erträge aber seien „relativ zufriedenstellend“. Und die Fotovoltaikanlagen hätten durch die massive Sonneneinstrahlung einen 20prozentigen Mehrertrag im Vergleich zu 2021 erbracht.
Sorge bereite da eher der Blick in den Südwesten und Norden von Baden-Württemberg, „da ist die Trockenheit fast schon dramatisch“, so Gebhard Aierstock. Noch schlimmer allerdings sehe es in Südeuropa aus, ganz zu schweigen von Ostafrika – „dort ist in manchen Ländern in den vergangenen vier Jahren kein Regen gefallen“. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte würden nach den Worten des Kreisbauernverbands-Vorsitzenden in der Region wahre Preissprünge erleben, für Weizen etwa wurde 2021 pro Tonne 170 Euro bezahlt, heute seien es 320 Euro.
Das liege nicht nur am Krieg in der Ukraine, sondern auch an „höheren Erzeugungskosten“ – so sei der Preis für einen Doppelzentner Dünger von 30 auf heute 100 Euro angestiegen. Bei Pflanzenschutzmitteln sei unklar, ob und wieviel im kommenden Jahr überhaupt lieferbar sei. „Da lagert ganz viel in China in Containern.“ Enorme Preissteigerungen seien auch beim Rindfleisch zu verzeichnen, beim Schweinefleisch hingegen sei die Situation „so dramatisch, dass wir nur noch draufzahlen“, betonte Aierstock. Das Thema der Zukunft sei die globale Ernährung, „auch mit Blick auf die Ukraine und Russland“.
Für einen richtigen Aufreger unter den Landwirten in der Region sorgte am gestrigen Freitag beim Erntegespräch auf dem Schönbuchhof allerdings das Thema Pflanzenschutzmitteleinsatz in Schutzregionen – Heinrich Bazlen aus Metzingen etwa verdeutlichte das am Beispiel des Metzinger Weinbergs: „Der liegt im Landschaftsschutzgebiet, nach den neuen Vorgaben der EU soll dort gar kein Pflanzenschutz mehr eingesetzt werden.“ Wenn beim Anbau von Biowein nichts mehr gespritzt werden dürfte, „würde das einen Ernteausfall von 100 Prozent bedeuten“, so Bazlen. Angesichts solcher Vorgaben würden in der Folge zahlreiche Weinbauern aufhören. Ebenso wie Landwirte in Landschaftsschutzgebieten.
Aierstock forderte hingegen „Anreize zu setzen für Landwirte, um den Spritzmitteleinsatz zu verringern – das ist der bessere Weg“. Gerhard Neuscheler sagte: „Wir spritzen doch eh nur, wenn wir spritzen müssen, ein generelles Verbot ist ein absolutes No-go.“ Thomas Poreski, der gestern als Grünen-Landtagsabgeordneter massiv von den Bauern im Kreis angegangen wurde, sagte: „Es braucht einen Interessensausgleich.“ Zustimmung signalisierten die Bauern wie etwa Albert Werner aus Strohweiler zu dem Vorhaben von Bundeswirtschaftsminister Cem Özdemir, endlich eine Lebensmittelkennzeichnung einzuführen. Aber: „Angekündigt wurde das ja schon mehrfach, getan hat sich bisher nichts – der Verbraucher muss doch endlich erkennen, wo das Fleisch herkommt, das er kauft.“ Zustimmung signalisierte der stellvertretende Kreisbauernverbands-Vorsitzende Werner auch zu den gestiegenen Lebensmittelpreisen – „die waren bislang viel zu billig, die Landwirte brauchen die höheren Preise“.
Einen weiteren Punkt sprach Gebhard Aierstock an: Überall gehe es im Moment um Fachkräftemangel, bei den Bauern sei es kein bisschen anders. „In der Landwirtschaft brauchen wir für die kommenden Generationen gute und reizvolle Rahmenbedingungen, damit überhaupt noch jemand bereit ist, dort zu arbeiten und auch zu investieren“, forderte der oberste Landwirt im Kreis. Ein Problem sei zudem die Lebensmittelverschwendung von 30 Prozent, die laut Poreski im Müll landen. Das stimme, sagte Aierstock. Allerdings würden auch die viel zu hohen Qualitätsanforderungen an Salat und Co. dafür sorgen, dass ein nicht unbedeutender Teil gleich auf dem Acker bleibe. „Zur Wahrheit gehört auch, dass nur rund 30 Prozent Obst und Gemüse aus dem eigenen Land stammt“, so Aierstock. Die Wettbewerbssituation mit Regionen wie Almeria in Spanien etwa sei unerträglich.