Wohnen bleibt Mangelverwaltung

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Linke hatte zu Online-Expertengespräch zum Thema „Wohnungsnot für besondere Bevölkerungsgruppen“ aufgerufen. Zahlreiche soziale Einrichtungen und Träger haben sich beteiligt

Online sind am Donnerstagnachmittag Vertreter von sozialen Einrichtungen auf Einladung der Linken im Landkreis zu einem Expertengespräch zusammengekommen. Das Thema lautete „Wohnungsnot für besondere Bevölkerungsgruppen“, das Fazit der Gesprächsteilnehmer hier vorneweg: Es gibt viel zu wenig Wohnraum für Menschen am Rand der Gesellschaft. Wolfgang Grulke hatte als Diskussionsteilnehmer ein brisantes Ergebnis des 4. Lebenslagenberichts (der am 8. Juli öffentlich vorgestellt werden soll) vorweggenommen: „Es gibt in Reutlingen gar keinen sozialen Wohnungsbau.“ Wie der Ridaf-Geschäftsführer und Vorsitzende der Liga der Freien Wohlfahrtspflege zu dieser Aussage kam? „Um den Anspruch auf eine Sozialwohnung zu erhalten, braucht man einen Wohnberechtigungsschein und den erhält eine dreiköpfige Familie schon mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 60 000 Euro“, so Grulke. Damit sei die Klientel, die von den Gesprächsteilnehmern vertreten wurde, außen vor.

Jährlich gebe es rund 4000 Wohnungsanfragen an die GWG – bei einer Vergabe von maximal 400, betonte Rüdiger Weckmann als Vertreter der Linken im Kreis Reutlingen. Etwa 15 Personen waren bei dem Expertengespräch dabei – darunter Michael Wandrey. Als Gründungsmitglied der Initiative WohnWerk erläuterte er die Situation, die mittlerweile immer mehr soziale Einrichtungen belastet: Um ihrer Klientel überhaupt eine Chance auf Wohnraum verschaffen zu können, treten sie immer häufiger als Mieter auf. „Dabei hat sich gezeigt, dass zwischen den unterschiedlichen Trägern eine immer heftigere Konkurrenz entsteht“, so Wandrey. WohnWerk soll demnächst die Träger von dieser Vermietertätigkeit entlasten (wir berichteten).

Das sei eine tolle Initiative befanden die Diskussionsteilnehmer, aber: Trotzdem fehle immens viel Wohnraum, wie etwa Dr. Joachim Rückle vom Reutlinger Diakonieverband anmerkte. In den Beratungsstellen des Verbands werde massiv fehlender Wohnraum für große Familien registriert – so wie andere Träger etwa von der AWO Wohnungen für Wohnsitzlose forderten, Pro Familia für Schwangere, Anita Arndt als ehrenamtlich Engagierte ebenso wie Asylpfarrerin Ines Fischer für Geflüchtete, die Jugend- und Drogenberatung für Drogenabhängige. Hinzu kommt aber noch mehr fehlender Wohnraum etwa für psychisch kranke oder für behinderte Menschen und für viele andere mehr. „Mich schüttelt’s schon ganz, was ich da alles zu hören kriege“, sagte Carola Rau von den Linken. Gleichzeitig sei es fast nicht mehr tragbar, wenn Mieter bis zu 50 Prozent und mehr ihres Verdiensts für Wohnraum ausgeben müssen, so Moritz Stiepert vom DGB. „Wenn noch ein Kind dazu kommt, haben selbst gutverdienende Facharbeiter Probleme“, so Stiepert.

Ein weiterer Punkt: Laut Weckmann würden allein in der Reutlinger Altstadt 220 Wohnungen leer stehen. Ein Unding, wie Grulke betonte. „Aus rein egoistischen Motiven heraus, Wohnraum zurückzuhalten, das ist extrem erschreckend.“ Der Liga-Vorsitzende forderte die Politik auf: „Macht was, damit Leerstand nicht mehr rentabel ist.“ Als der neue Lebenslagenbericht erstellt wurde, sei laut Grulke auch mit denen gesprochen worden, die Eigentümer von Wohnraum sind: „Die haben gesagt, es gibt keine Wohnungsnot, es gibt nur zu wenig Geld, um Mieten und Eigentumspreise zahlen zu können.“ Gegen solch eine Haltung müsse sich Widerstand formieren, forderte der Ridaf-Geschäftsführer.

Ines Fischer sagte: „Wenn der politische Wille da ist, kann sich auch was ändern.“ Genau dieser Wille sei in Reutlingen aber nicht vorhanden: „Grund genug, um ein großes Bündnis aufzustellen, um das zu ändern.“ Nicht allein die Vertreter der Liga der Freien Wohlfahrtspflege müssten dort vertreten sein, auch die Kirchen, weitere Institutionen, Einrichtungen – und auch Parteien, wie zumindest die Mehrheit der Diskussionsteilnehmer forderte. „Wir dürfen die Politik nicht aus der Verantwortung lassen, die meisten Hebel sitzen genau dort“, hatte Anita Arndt betont. Klar sei aber auch, so Weckmann, dass „bauen, bauen, bauen allein nicht die Lösung bringt“. Weil die Preise für Mieten und Eigentum dadurch nicht sinken würden. „Immerhin ist Boden nicht ausdehnbar, Wohnen wird auch weiter Mangelverwaltung bleiben“, so Rüdiger Weckmann.

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