Hoffen, dass die Kirche sich bewegt

0

Katholischer Dekan Hermann Friedl berichtet im Gespräch über seine Sicht zu Zölibat, Frauen in der Kirche, sexuellem Missbrauch und vieles mehr

Hermann Friedl ist mittlerweile 60 Jahre jung. Er ist nicht nur Pfarrer für Lichtenstein und Pfullingen, sondern auch Dekan für den gesamten Kirchenbezirk Reutlingen, also für den ganzen Landkreis. „Manche fragen sich ja, was so ein Pfarrer überhaupt arbeitet“, sagt Friedl und schmunzelt. Außer sonntags den Gottesdienst zu leiten, habe so ein Pfarrer doch nicht viel zu tun, sei bei manchen Menschen gängige Meinung. Tatsächlich nimmt jedoch die Seelsorge breiten Raum ein, die Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinderäten, die Zuständigkeit für alle katholischen Kindergärten – und auch Gebäude. „Rufen Sie nachher noch bei der Versicherung an? Wegen des Wasserschadens im Pfarramt in Unterhausen“, sagt Friedls Pfarramtssekretärin.

Als Dekan ist er zudem Dienstvorgesetzter nicht nur aller Pfarrer im Landkreis, sondern auch von allen katholischen Einrichtungen wie Caritas, Katholische Erwachsenenbildung, Psychische Beratungsstelle, Sozialstationen und vielem mehr. Ob Friedl bei all den Aufgaben überhaupt noch Freizeit oder Privatleben hat? „Ich gehe zweimal die Woche in ein Fitnessstudio“, sagt er und lacht. Ein positiv denkender Mensch sei er. Wobei er all die Themen, die auch aus den Kirchengemeinden an ihn herangetragen werden, nicht ignoriert. Wie zum Beispiel der Zölibat. „Der wurde ja erst im 11. Jahrhundert eingeführt, es gab also in den ersten 1000 Jahren kein Zölibat.“ Dabei halte er das durchaus für eine mögliche Lebensform, „aber die sollte freiwillig sein“.

Hermann Friedl wisse von Kollegen, die im Pfarrhaus mit einer Frau oder sogar mit einem Mann zusammenleben. „Dabei handelt es sich um oftmals begnadete Pfarrer.“ Verurteilen wolle er sie auf keinen Fall. „Sie leben oft in großer psychischer Not“, weil sie ihren Beruf lieben und doch gegen Kirchenregeln verstoßen. Friedl hoffe und wünsche sich, dass irgendwann ein Papst den Zölibat aufhebt. Anderes Thema: Gleichgeschlechtliche Paare zu segnen sei für Friedl keine Frage, er mache das. Frauen sollten in der katholischen Kirche die gleichen Rechte eingeräumt werden wie Männern, „aber ich fühle mich da ohnmächtig“, sagt der Dekan. „Ich wollte jetzt bei meiner Dekanswahl eine Frau als Stellvertreterin durchkämpfen, doch der Bischof hat Nein gesagt.“ Grundsätzlich sei aber klar: „Ohne die vielen Frauen im Ehrenamt wäre die katholische Kirche tot“, betont der Dekan.

Diese Themen seien auch vor 50 Jahren schon diskutiert worden, aber da tue sich einfach nichts. Und dennoch: Es sei ja nicht so, dass sich in der katholischen Kirche gar nichts bewege, wenn auch recht langsam. So ganz sicher sei auch Hermann Friedl sich am Anfang nicht gewesen: Geboren 1961 in Eislingen an der Fils hat er nach dem Abitur Theologie in Tübingen und Luzern studiert. Sein Elternhaus habe ihn geprägt, Vater und Mutter seien sehr gläubig gewesen. Während des Studiums habe Hermann Friedl aber „irgendwie aus dem Blick verloren, dass danach das zölibatäre Leben auf mich warten würde“. Eine vierwöchige Auszeit in einem Jesuitenkloster habe ihm dann Klarheit verschafft, dass dieser Weg der richtige für ihn sei. „Eine Ehe ist ja nicht nur Halleluja ebenso wenig wie Zölibat, in der Abwägung muss ich sagen, dass man ohne Ehe vielleicht weniger Stress hat“, sagt Friedl und lacht. Seine Entscheidung bereue er auf jeden Fall nicht.

Zum Thema des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche sagt Friedl: „Der Prozess, bis endlich gehandelt wurde, war viel zu lang.“ Die Schuldigen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Mittlerweile gebe es immerhin einiges an Prävention, alle Kirchenmitarbeiter würden geschult, Fortbildungen müssten gemacht werden – um künftig Missbrauch zu verhindern, um besser auf das Verhalten aller zu schauen, um Übergriffe sofort zu melden. „Was mich aber ärgert: Dass wir in der katholischen Kirche unter Generalverdacht gestellt werden“, sagt Hermann Friedl empört. Klar sei, dass Missbrauch verfolgt und bestraft werden müsse, aber dass nun alle Pfarrer als Pädophile angesehen würden, das sei schändlich. „Sexuellen Missbrauch gibt es überall, aber die katholische Kirche wird fast allein an den Pranger gestellt.“ Und anonyme Schmäh- oder Drohbriefe, wie auch der Dekan sie immer wieder kriegt, würden die Situation nicht verbessern. Widerlich, unverschämt und abscheulich sei, was in manchen dieser Briefe stehe.

„Ich bin überzeugt, dass es die Kirche braucht, denn ohne sie wäre Gott tot“, sagt der Dekan. „Wer würde sonst noch von Jesus Christus reden?“ Wenn Menschen nicht mehr zum Gottesdienst zusammenkämen, nicht mehr zusammen beten würde, „dann würde der Gemeinschaftscharakter verloren gehen“. Friedl glaubt, dass nach Corona die Gemeinden kleiner werden. Mit seinen 60 Jahren darf Friedl noch nicht an die Rente denken. Das Austrittsalter für Pfarrer liege bei 70 Jahren, „es wird aber gerade über eine Erhöhung auf 75 Jahre diskutiert“. Das „Rentenalter“ für Bischöfe liege im Übrigen bereits bei 75 Jahren. Leise Hoffnungen hege Hermann Friedl, dass sich die katholische Kirche doch irgendwann mal ein wenig schneller bewegt. „Dass es wenigstens mal Diakoninnen gibt, dass der Papst mal vom Volk und nicht von Kardinälen gewählt wird.“ Und insgeheim wünsche sich der Dekan, dass es irgendwann mal eine Päpstin gibt. Er lacht bei diesem fast schon ketzerischen Gedanken. Doch dann: „Ach, nein, da müsste ja das Kirchenrecht geändert werden.“ Darin steht nämlich, dass ein Papst katholisch sein muss. Und ein Mann. „Aber ich lebe aus der Hoffnung“, sagt Hermann Friedl augenzwinkernd.

Share.

Comments are closed.