Mit viel Verantwortung und Empathie

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Reutlinger Brückenpflege hilft Tumorkranken und ihren Angehörigen auf ihrem schweren Weg

„Tumorpatienten sind sehr dankbare Patienten“, sagt Andrea Schmidt. Seit fast zehn Jahren leitet die Fachkrankenschwester für Onkologie die Brückenpflege am Reutlinger Klinikum, „wir sind beratend, anleitend und koordinierend tätig“, sagt sie. „Unser Ziel ist, eine möglichst hohe Lebensqualität in einer palliativen Situation zu gewährleisten.“ Und das nicht in der Klinik, sondern zuhause, im gewohnten Umfeld. Um das zu erreichen, werden Patienten und Angehörige von erfahrenen onkologischen Fachkräften unterstützt, begleitet, beraten.

„Mit der Tumordiagnose werden Menschen oft aus ihrem bisherigen Leben herausgerissen“, sagt die Brückenpflege-Leiterin. Verzweiflung und Angst nagen an Tumorpatienten und ihren Angehörigen. Gleichzeitig wächst Dankbarkeit gegenüber Menschen, die mit all ihrer Erfahrung helfen können. Onkologisch Erkrankte leben laut Schmidt je nach Tumorart und Krankheitsverlauf von Diagnose zu Diagnose, von Operation zu Operation und von Chemo zu Chemo. So schlimm die Diagnose für die Patienten ist, die Fachkräfte bauen in dieser Zeit der Verwirrung und Angst eine Beziehung zu den Kranken und ihren Angehörigen auf. Vertrauen sei enorm wichtig, „die Tumorpatienten empfangen uns in ihrem Zuhause ja als Gäste, dabei begegnen sie uns ganz anders als etwa Patienten nach einer Hüft-OP“, sagt Schmidt.

Mehr Zeit für die Erkrankten zu haben, eine tiefere Beziehung zu ihnen haben zu können und auch die Dankbarkeit zu spüren – all das waren Gründe für Andrea Schmidt, um sich nach ihrer Krankenschwester-Ausbildung sogleich für die onkologische Station zu entscheiden. Auf die Wünsche der Patienten eingehen zu können, auf deren Bedürfnisse, mit dem Ziel, ihnen das Leben mit ihrer Erkrankung so gut wie möglich zu erhalten und zu gestalten. Andrea Schmidt brennt für ihre Tätigkeit, ebenso wie ihre sechs Mitarbeiterinnen und zwei Mitarbeiter. „Sie sind ein Stückweit Einzelkämpfer, denn sie organisieren sich und ihre Routen zu den Patienten im ganzen Landkreis selbst“, sagt die Leiterin.

24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr ist die Brückenpflege erreichbar – 2004 wurde sie am Reutlinger Klinikum eingerichtet. Das heißt aber auch: Die Fachkräfte leisten einen Knochenjob. Wer Rufbereitschaft hat, muss auch mal nachts um 2 Uhr raus aus dem Bett. „Zuerst müssen wir den Angehörigen der Patienten Anweisungen geben, was in der Notsituation zu tun ist.“ Danach rein ins Auto, womöglich durch den halben oder ganzen Landkreis fahren, vor Ort beim Patienten die Lage nochmals genau einschätzen, Maßnahmen ergreifen, Schmerzmittel verabreichen, die Atemnot beseitigen, Blutung stillen, vielleicht den Notarzt rufen – was auch immer in den jeweiligen Situationen notwendig ist. Und nebenbei auch noch Patient und Angehörige beruhigen, Trost spenden, empathisch sein.

„In Corona-Zeiten geht viel von der sonstigen Nähe zu den Patienten verloren“, sagt Andrea Schmidt. Gerade bei Schwerstkranken sei oftmals Gestik und Mimik hilfreich – mit Maske funktioniert das nicht. Auch nicht, jemanden mal in den Arm nehmen, eine Hand halten, ein Streicheln der Wange. „Das Herzliche geht verloren, es ist eine gewisse Kälte entstanden“, bedauert Schmidt zutiefst. Hinzu komme, dass viele Patienten nicht mehr in die Klinik wollen – weil sie befürchten, dass sie ihre Angehörigen dann nicht mehr sehen können. „90 Prozent der Patienten wünsche sich, im häuslichen Umfeld sterben zu können.“ Bis zu 900 Tumorkranke betreuen die Fachkräfte der Brückenpflege pro Jahr, Tendenz steigend. „Wir begleiten nicht alle bis zum Tod, es kommt ja auch vor, dass Chemos anschlagen“, sagt Andrea Schmidt. Bei immer größerer Nachfrage nach der Hilfe der Brückenpflege, bleibt die Personalstärke gleich. „Das Problem ist, dass der Fachkräftemarkt leergefegt ist“, so die Leiterin. Den Job mit Rufbereitschaft, mit der Übernahme von ganz viel Verantwortung, die womöglich über Leben oder Tod entscheidet – „das will auch nicht jeder“.

Nach der zumeist sehr aufwendigen Erstberatung von neuen Patienten und Angehörigen „muss ich entscheiden, ob ich die Hilfe meinem Team noch zumuten kann oder ob das dann die pure Überforderung ist“, sagt Andrea Schmidt. Doch wie so oft in diesem Beruf, siegt letztlich die Haltung, dass man die Patienten doch nicht hängenlassen kann. Und die Fachkräfte gehen dabei selbst oft über ihre Grenzen hinaus. „Es heißt, dass man nach zehn Jahren im onkologischen Bereich wechseln sollte.“ Die Frauen und Männer der Brückenpflege lösen das fast alle anders: „Viele arbeiten Teilzeit.“ Und wie geht’s insgesamt weiter? „Die Brückenpflege ist das Aushängeschild der Klinik und es gibt sie auch nur in Baden-Württemberg.“ Das Angebot sei sehr wertvoll, denn: Bevor es die Brückenpflege gab, mussten die Tumorpatienten in kritischen Situationen in die Klinik – und sind dort auch oft verstorben.

 

INFO:

Palliative Care Team Reutlingen

 Parallel zur Brückenpflege gibt es die Spezialisierte Ambulante Pallitiv-Versorgung (SAPV). Das Angebot ist neben den Tumorpatienten für alle anderen Schwersterkrankten. Voraussetzung: Die Krankheit muss nicht heilbar und die Lebenserwartung begrenzt sein. Anders als bei der Brückenpflege müssen Ärzte SAPV verordnen, erst nach der Prüfung durch die Krankenkassen werden die Kosten übernommen. Ansonsten ist das Angebot ganz ähnlich wie bei den Tumorpatienten.

 

Spenden zur Unterstützung der Arbeit

 Die Brückenpflege wie auch die Arbeit im Rahmen von SAPV sind immer wieder auf Spenden angewiesen – um den Schwerstkranken Hilfen und Unterstützung zukommen zu lassen, die nicht von den Krankenkassen bezahlt werden. Wer die Arbeit unterstützen will, kann das auf das Konto mit der IBAN: DE37 6405 0000 0000 0000 17 bei der Kreissparkasse Reutlingen tun. Stichwort entweder „Brückenpflege“ oder „Palliative Care Team“.

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