Der Schlüssel zurück ins Leben

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Fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ridaf helfen Schulverweigerern oder Schulabbrechern in schwierigen Phasen

Warum gehen junge Menschen nicht mehr in die Schule, obwohl sie verpflichtet dazu sind? Kann den Schulverweigerern auf ihrem Lebensweg geholfen werden, damit sie ihren Weg zurück in die Spur wieder finden? Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ridaf (Reutlinger Initiative deutsche und ausländische Familien) sagen eindeutig und überzeugend: Ja. Sie haben auch allen Grund dazu, denn: Ihre Erfolgsquote ist gigantisch. 95 Prozent derjenigen Kids, die in allen weiterführenden Schularten von dem Projekt „School’s out“ betreut werden, gehen nach einer gewissen Zeit wieder zurück in die Schule. Voraussetzung: Sie sind mindestens in der 7. Klasse oder mindestens 14 Jahre alt. „Der Bedarf ist aber viel größer, wir wissen von Kindern, die schon mit elf Jahren nicht mehr zur Schule gehen“, sagt Isabel de Marco als Bereichsleitung der Ridaf-Jugendsozialarbeit.

Doch Ridaf hat noch mehr zu bieten: Die Fachkräfte kümmern sich auch im Projekt „Kein junger Mensch darf verloren gehen“ um Jugendliche, die aber berufsschulpflichtig sind – und oft gar nichts davon wissen. Bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres müssen junge Menschen eine Berufsschule besuchen. Wenn sie eine Ausbildung machen, auch bis zum Ausbildungsende. „Wir haben gerade 80 junge Menschen auf unserer Liste, die wir betreuen sollten“, sagt de Marco. Wie Ridaf zu den Schulverweigerern kommen? Alle Berufsschulpflichtigen, die unentschuldigt fehlen, werden zentral bei dem geschäftsführenden Schulleiter der beruflichen Schulen des Landkreises gemeldet. „Viele 17-Jährige sind mit dem Schulsystem nicht vertraut, sie wollen einfach arbeiten“, sagt Isabel de Marco.

Die Ridaf-Projektbeschäftigten kümmern sich um die jungen Menschen. Sofern sie gefunden werden. „Wir sind da oft detektivisch tätig“, sagt Psychologe Harald Dietrich. „Manchmal stimmt die Adresse sogar, die wir herausfinden.“ Andere Male aber auch nicht. Bei denjenigen, die von den Ridaf-„Detektiven“ gefunden werden, gehe es darum, Vertrauen aufzubauen und den jungen Menschen Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. „Wir arbeiten da eng mit dem Jobcenter zusammen“, sagt Isabel de Marco. Die Erfolgsquote bei diesem Projekt liegt bei mehr als 50 Prozent, ein guter Wert, befindet Dietrich. Und auch die Geldgeber von Jobcenter und Landkreis seien dieser Auffassung.

Um Vertrauen geht es aber auch bei „school’s out“ – in diesem Projekt sei „alles etwas behüteter“ und deutlich mehr Elternarbeit vonnöten. „Da geht es oft um eingefahrene Familiensysteme, die zu knacken ist schwierig“, sagt de Marco. Bei den ausbleibenden jüngeren Schulpflichtigen ab 14 Jahre oder ab der 7. Klasse muss die Schule Anträge ans Schulamt stellen. Diese Anträge würden dann geprüft, beim Jugendamt nachgefragt, ob die Familie schon bekannt sei. School’s out sei nicht niederschwellig, „sonst würde unsere Warteliste überquellen“, so de Marco. Netzwerkarbeit sei wichtig. Vor allem die Schulsozialarbeit spiele dabei eine gewichtige Rolle, aber auch Jugendamt und die Schulen. „Unser Vorteil ist, dass wir nicht Vertreter von solchen Institutionen sind“, betont Jochen Schick.

„Wir sind der Schlüssel, um Jugendlichen wieder ins Leben zu helfen“, sagt Isabel de Marco. „Und wir kommen nicht mit dem Zeigefinger, wenn mal wieder was nicht klappt“, führt Stefanie Senska aus. Aber: An der Nase lassen sich Schick, Senska, de Marco, Dietrich und Gina Schimanski auch nicht herumführen. Die Kids müssen sich bemühen auf ihrem Weg zurück in die Schule – oder zurück ins Leben. „Wir erwarten keine Wunder, kleine Schritte sind deutlich nachhaltiger als einfach nur die Schule zu wechseln“, sagt Stefanie Senska. Die Ursachen für die Schulverweigerung seien vielfältig, sind sich die Fachleute einig. Probleme mit den Eltern, Gewalterfahrung, Drogen und auch immer mehr psychische Probleme obendrauf. „Migranten kommen in der Gesellschaft oft nicht an, die leistungsorientierten Schulen können nur schwer mit ihnen arbeiten“, betont Isabel de Marco. „Gleichzeitig ist unglaublich viel möglich – aber eben auch enorm schwer, sich da zurechtzufinden“, so Schick.

Grundsätzlich gelte jedoch die Maxime – auch bei Jugendlichen: „Mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen“, sagt Harald Dietrich. Eine Zeitlang sei mal Zuhälter bei auffälligen Jungen diskutiert worden, betont der Psychologe schmunzelnd. Bei Mädchen sei einfach nur schön sein ein verbreitetes, aber auch sehr unrealistisches Lebensziel. Genauso wie Influencerin oder Anwaltsgehilfin mit einer 5 in Deutsch. Was auffällig sei: „Selbst heute gelten noch die alten Rollenbilder von starken Jungs, die nicht weinen dürfen“, betont Gina Schimanski. Die Vorstellung, allein Probleme bewältigen zu müssen, sei bei Mädchen deutlich seltener verbreitet, sagt Stefanie Senska. „Mädels sind sich ihrer Probleme wenigstens oft bewusst.“

 

INFO:

Ridaf betreut in zwei Projekten jugendliche Schulverweigerer

 Bei „School’s out“ kümmern sich vier Fachkräfte von Ridaf insgesamt jedes Jahr rund 20 Jugendliche, die Betreuungsdauer liegt durchschnittlich bei einem Jahr. Finanziert wird das Projekt durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und den Landkreis. Die betreuten Schulverweigerer sind ungefähr jeweils zur Hälfte männlich und weiblich. „Es geht bei der Betreuung darum, die persönliche Entwicklung der Pubertierenden zu festigen“, sagt Isabel de Marco. Beim Projekt „Kein junger Mensch darf verloren gehen“ wurden 35 Jugendliche im Jahr 2019 betreut, corona-bedingt waren es 2020 und 2021 knapp über 20 junge Menschen. Das Verhältnis männlich/weiblich liege bei etwa 70/30, die Betreuungsdauer bei drei bis vier Monaten. Finanziert wird das Projekt über den Landkreis und das Jobcenter. „Bei dem Projekt stehen 80 Jugendliche auf der Warteliste, der Bedarf ist also riesig“, betont Harald Dietrich. Aber: „Die Betreuung erledigt sich oft von selbst – nämlich dann, wenn die Jugendlichen 18 werden.“ Die Probleme der jungen Menschen seien dann aber noch lange nicht gelöst.

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