Prof. Hermann Knoflacher aus Wien sprach vor kurzem online über die Verkehrswende in Reutlingen und beantwortete Fragen des Publikums
Das Fazit von Prof. Hermann Knoflacher lautete am Freitagabend bei der Online-Veranstaltung von VCD Reutlingen, BUND und VHS eindeutig: Die Autos müssen raus aus Reutlingen. Anders sei eine Verkehrswende nicht zu schaffen. Und die Bedenken der Geschäftsinhaber in der Innenstadt konterte der Professor – als „Pionier des modernen Mobilitätsdenkens“ und „Ahnherr der Wiener Verkehrswende“, so Peter Stary vom VCD Reutlingen – mit den Erfahrungen aus anderen Städten wie in Wien oder Innsbruck – dort wollten nach wenigen Jahren die Laden und Geschäfte sogar eine Ausweitung der Pkw-freien Zone. Das Argument von Knoflacher dazu: „Da sind dann anstatt Autos viele Brieftaschen unterwegs – und die Wirtschaft riecht das langsam vorbeiziehende Geld.“ Will heißen: Dort, wo kein Autoverkehr sei, bewegen sich die Menschen langsamer, die Aufmerksamkeit der Fußgänger lässt sich leichter auf die Geschäfte, Läden, Restaurants lenken.
In einem beeindruckenden Vortrag hatte der Wiener Verkehrswende-Papst zunächst aber ausgeführt, dass die Mobilität für die breiten Massen erst als notwendig erwies, als Arbeitsplatz und Wohnen getrennt wurden. Im Jahr 1950 hätten die Menschen in Deutschland rund 65 Prozent der Wege mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt, heute seien es nur noch zu 17 Prozent, in Reutlingen gar nur 9 Prozent. Dementsprechend viel Autos würden an der Achalm gezählt, nämlich pro 1000 Einwohner 650 Pkw. Die Folge dieser Motorisierungsentwicklung: Das Auto habe sich im Gehirn des Menschen festgesetzt, alle Entscheidungen beim Städtebau wurden nach den Worten des Professors nach dem stetig zunehmenden Auto-Verkehr ausgerichtet.
„Es gibt selbst in den Wohngebieten keinen Platz mehr für menschliche Begegnungen“, da Straßen alle Bereiche durchschneiden und dominieren. Bestens zu erkennen sei das an immer weiter zunehmenden Parkproblemen in allen Wohngebieten in Reutlingen. Das autozentrierte Denken sei in der Politik fest verhaftet, „das bestehende System ist Ideologie“, so Knoflacher. „Es braucht aber einen Bewusstseinswandel, um bis 2030 eine 55prozentige Senkung der Treibhausgase hinzukriegen.“ Auf die geplante Dietwegtrasse angesprochen, sagte Knoflacher: „Es ist völlig unverantwortlich, weitere Flächen zuzubetonieren, sehen die Leute denn nicht, was in der Welt jetzt schon an Umweltkatastrophen passiert“. Die Trasse mit dem Argument bauen zu wollen, Autofahrer würden damit 6 Minuten Fahrzeit einsparen, sei „völliger Unsinn und gegen die Grundintelligenz des Menschen“ gerichtet.
Gegenmaßnahmen gegen den ständig weiter zunehmenden Verkehr gebe es viel zu wenige. Zumal „Autos Flächen auffressen“ und das Elektrofahrzeug sei auch keine Lösung für die zukünftige Mobilität, antwortete der Professor auf eine Frage. Das Einzige, was in Reutlingen helfen könnte, damit mehr Bewohner auf ÖPNV und Fahrrad umsteigen, sei die Verbannung der Pkw aus der Innenstadt. Mindestens einen Kilometer von der Wohnung, vom Haus entfernt, müssten Parkflächen ausgewiesen werden. Ansonsten siege immer die Bequemlichkeit, wusste der Professor aus seinen Forschungen zu berichten. „Wenn das Auto das Denken beherrscht, macht man, was das Auto will.“ Hinzu komme, dass das Auto aus der Marktwirtschaft ausgenommen sei – weil die Besitzer nicht für all die Kosten aufkommen müssten, die Autos verursachen. Vom Straßenbau, der Straßensanierung bis hin zu den Kosten von Unfällen und des CO2-Ausstoßes.
Von Moderator Reinhard Beneken vom BUND Reutlingen auf die geplante Regionalstadtbahn (RSB) angesprochen, sagte Hermann Knoflacher: „Eine Investition in die Bahn ist allemal besser als in Autos.“ Die RSB-Strecke müsste da langführen, wo am meisten Nutzer zu finden sind, Haltestellen sollten in mindestens 300 Metern autofrei sein. Denn: Wenn das Auto direkt vor der Tür oder in der Garage stehe, sinke die Bereitschaft, auf öffentlichen Verkehr umzusteigen enorm, hat der Wissenschaftler ebenfalls in seinen Forschungen herausgefunden.