Paarbeobachtungen

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Ist das schon ein Drama, wenn man erkennt, dass der Urlaub schon wieder mehr als halb vorbei ist? Heute ist Freitag. In einer Woche und einem Tag fahren wir schon wieder zurück. Ich finde: Das ist dramatisch.

Jetzt haben wir uns gerade mal eingewöhnt hier in der Gegend, wissen, wo die Supermärkte sind, haben die schönsten Wanderungen schon hinter uns, sind aber den Blick aufs Meer und auf den Strand noch lange nicht müde – und dann das. Der Gedanke ans Ende. Also des Urlaubs. So ein Mist. Okay, wir haben noch eine ganze Woche. Aber trotzdem. Heute ist im Übrigen der erste Tag, an dem es länger als 25 Sekunden geregnet hat. Ein ganz feiner Nieselregen wie ich ihn zuhause schon seit Jahren nicht mehr erlebt habe. So nach dem Motto – zwei Sekunden reinstehen, patschnass. Schön ist das. Wie anders die Welt hier vor unserem Häuschen aussieht bei so einem völlig bewölkten Himmel. Seltsamerweise schimmert das Meer an wenigen Stellen immer noch grünlich. Aber der größte Teil des Atlantiks trägt betongrau. Der Himmel präsentiert sich nicht ganz so dunkelgrau, er erscheint eher in einem dezent-hellen Grau. Aber grau. (Eine Fliege umschwirrt mich gerade, wahrscheinlich genau die, die schon seit unserem ersten Tag hier im Häuschen immer wieder auftaucht.)

Ach ja … Letzte Nacht war die zweite in Folge, in der ich sehr schlecht geschlafen habe. Ein Grund dafür ist wohl die viel zu lange, viel zu warme und vor allem einzige, wenn auch überbreite und überlange Schlafdecke in diesem Bett. Die ist so lang, dass ein Teil davon auf dem Fußboden liegt. Verrückt oder? Oft liegen wir beide wach, weil es einfach zu warm unter der Decke ist. Beim Herausstrecken der Extremitäten unter der Decke hervor, wird es dann aber doch zu frisch. Das ist dann der zweite Grund, um nicht schlafen zu können. Und dann noch die Ameisen (die wir gestern Abend auf dem Küchenboden entdeckt hatten).

Zunächst überlegte ich noch, ob sie wohl die Fähigkeit besitzen würden, einen Stock höher zu uns ins Schlafzimmer zu kommen. Es begann mich zu jucken, ich dachte, da krabbelt es doch unter der Bettdecke. Und dann sah ich wahre Kolonnen von Ameisen durch das ganze Haus rennen. Alle schön in Reih und Glied. Die einen rannten hin, die anderen zurück. Ich wusste in dem Moment nicht, ob ich träume oder nicht. Allerdings scheint das für unsere Ameisen nicht zu passen. Als wir sie auf dem Küchenboden beobachteten, war nichts mit Reih und Glied. Wenn sie sich aus dem Spalt unter dem Backofen hervortrauten, liefen sie eher wie betäubt kreuz und quer, regelrecht orientierungslos. Bis sie dann beschlossen, sich wieder in ihrem Versteck unter dem Ofen zu verziehen. So machen die das immer. Reih und Glied und Ordnung hat denen offensichtlich noch niemand gezeigt … Französische Ameisen halt. Fourmis. Eigentlich ganz sympathisch. Weil sie ja die Schränke in der Küche völlig in Ruhe lassen. Und das Obergeschoss mit unserem Bett auch. Zumindest bis heute. Aber wer weiß, wie das weitergeht. Vielleicht planen sie schon seit Tagen einen geheimen, koordinierten Angriff, generalstabsmäßig. Und dann, vielleicht schon die nächste Nacht … zack … unsere Ameisenabwehr ignorieren sie ja eh … in Reih und Glied kommen sie ins zweite Geschoss hinaufmarschiert, kapern das Bett und … waaaah. Bin ich gerade schon wieder eingeschlafen?

Kein Wunder. Ich war heute den ganzen Tag ziemlich neben der Kappe. Près de chapeau. Oder so. Richtig soll das laut Wörterbuch aber heißen: être complètement paumé. Also in meinem Fall: Je suis complètement paumé … Hundemüde war ich halt, weil ich einen Großteil der Nacht wieder nicht geschlafen habe. Ob das an der Meeresluft liegt? Die mir und meiner Neurodermitis heftig zusetzt? Ich weiß es nicht. So sehr gejuckt hatte es mich eigentlich nicht. Obwohl. Immer mal wieder. Aber dann beschäftigten mich ja auch die Ameisen. Und die Invasion der Tierchen. … Den Vormittag habe ich beim Frühstück und danach komplett verdöst. Paumé sitzend auf dem Stuhl auf der Terrasse. Ich sah den Menschen zu, die knapp unterhalb von uns auf dem Wanderweg in Richtung Strand strömten. Oder zurück. Manche winkten. Alle guckten. Aber eins war noch auffälliger: Der Mann ging immer vornedraus, die Frau hinterher.

Warum ist das so? … Der angeborene männliche Führungsanspruch? … was für ein Blödsinn … aber was sonst? Weil Frauen sich sonst verlaufen würden, wenn der Mann nicht vornedraus … Oder weil Frauen sich nicht entscheiden könnten, in welche Richtung sie … Oder weil es Frauen völlig egal ist, wohin sie laufen – Hauptsache, es geht danach auf den Markt, um Klamotten zu kaufen? Ja, ich weiß, das ist alles nicht frauenfreundlich. Vielleicht muss ich dazusagen, dass der Weg unterhalb der Terrasse sehr schmal ist. Da kann nur eine nach dem anderen … aber es könnte ja auch einer nach der anderen … Wahrscheinlich ist die Frau einfach vernünftiger, macht kein Drama aus dieser so unbedeutenden Frage, lässt ihren Gatten galant vornedraus laufen. Die Klügere gibt eh nach, bevor es überhaupt zu einer Diskussion kommen könnte. Aber warum? … Warum geht der Mann lieber vornedraus? Ich persönlich laufe lieber hinter meiner Frau. Weil ich mich dann ihrem Tempo anpassen kann. Weil ich mich dann nicht ständig umdrehen muss und schauen, ob sie noch da ist. Bei anderen Paaren ist das anscheinend anders.

Vielleicht, so meine Theorie, geht das ja – wie so vieles – auf die Steinzeit zurück. Der Mann geht auf Säbelzahntigerjagd, die Frau bleibt zurück am Feuer. In der Höhle. Bei Kind und Kegel. Oder sammelt in der Umgebung Beeren, Pilze … Gemüse halt. Heute ist das deutlich schwieriger. Wenn Mann und Frau zusammen den Urlaub verbringen, lässt sich die Gemüsejagd nicht immer in Einklang bringen mit der Jagd auf den Säbelzahntiger. Gezwungenermaßen müssen also Frau und Mann öfter gemeinsam losziehen … Obwohl ihre Interessen ja eigentlich diametral auseinandergehen … Säbelzahntiger und Gemüse. Das eine ist gefährlich, angriffslustig und will nicht erlegt werden, man muss sich sehr vorsichtig anschleichen. Das andere, Beeren und Gemüse, kann ja nicht davonlaufen. Und auch nicht angreifen. Außer durch Stacheln im Gebüsch. … Aber jetzt bring heute mal beides zusammen. Wenn Männer mit ihren Kameras auf das ultimative Foto aus sind und Frauen??? Ja, auf was sind Frauen aus, beim gemeinsamen Urlaub. Sie würden wohl am liebsten shoppen gehen. Schuhe. Reiseandenken. Klamotten. Ein Graus, wenn Mann mit in die Läden geschleppt wird. Also sind ja die Kleiderläden gewissermaßen die Beerensträucher von früher. Und Männer völlig ungeeignet dafür. Die würden sich die Stacheln quasi ins Fleisch rammen. Und dann wehleidig aufschreien. Oder übersetzt auf heute: Männer werden am Eingang abgestellt, müssen sich stundenlang irgendwie beschäftigen, checken aber in Sekundenschnelle alle Klamottenständer ab, ebenso wie die anderen Frauen im Laden. Danach blicken die Abstell-Männer sehr gekonnt und jahrelang eingeübt wehleidig und genervt in einem. Das macht den Ehemännern keiner nach. Das können sie wie keine anderen. Wenn sie extremes Glück hätten, kommt ein weiteres, ähnliches Paar herein. Und auch der Mann wird irgendwo abgestellt. Da wäre doch eine gemeinsame Basis vorhanden. Mit ganz viel Glück hätten sich Gleichgesinnte gefunden – und würden sich über Autos, Sport, Fußball, Kameras oder ähnlich Uninteressantes unterhalten. Meist hat der eine abgestellte Mann aber nicht solches Glück.

Und wenn die Männer dann in ihrer eingeübten Darstellung des maximalen Leidens dastehen, dann kann ich eines versprechen – ruckzuck sind die Frauen das Shoppen leid. Aber so was von. Und sei es nur deswegen, weil alle anderen Frauen in dem Laden sie mittlerweile voller Mitleid von oben bis unten betrachten. Im Extremgenervt-Modus rennt die Urlaubsfrau schließlich zu ihrem Urlaubsmann, greift grob nach einem Arm, reißt ihn quasi aus dem Laden heraus … also Arm mit Mann – und die Stimmung ist für diesen Tag mit Sicherheit am Tiefpunkt des Urlaubs angelangt. Mann ist genervt, weil er gefühlte Ewigkeiten in diesem Laden rumgestanden ist, Frau noch genervter über ihren Mann, der ja mal wieder überhaupt kein Verständnis für die Bedürfnisse einer Frau … Noch viel genervter ist sie, weil sie mal wieder kein Gemüse bzw. eine Bluse, Schuhe, Hose, Rock oder was auch immer kaufen konnte. Und am nächsten Tag wird sie mit Sicherheit nicht hinter ihrem Mann herlaufen, sondern ihm forsch und elegant vorauseilen. Die Ziele werden doppelt so schnell erreicht als geplant. Und wenn der Mann unterwegs dann mit heraushängender Zunge hinterherhechelt, wird sie triumphierend anhalten und ihm sagen: „Wir könnten ja morgen was Getrenntes machen“, betont sie süßlich säuselnd. „Und dann kümmerst du dich um das Auto, guckst mal wieder nach dem Ölstand, suchst eine Waschanlage und ich, ich werde in aller Seelenruhe Beerenpflücken.“

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