Ein Traum von Bretagne

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Ich hörte bretonische Volksmusik. Zumindest dachte ich, dass das bretonisch sein muss.

Etwas eintönig gestaltete sich das Lied, gleichförmigem, gälisch klingendem Gesang, mit Geigen, Akkordeon. Aber ich hörte nicht nur, sondern ich stand mittendrin in einer Versammlung von Personen, die sich in seltsamen Gewändern zu den Klängen der Musik bewegte. Ich war der Star. Weil ich als Deutscher mich so elegant und bravourös mit den anderen bewegte. Die Zuschauer am Rande der Tanzrunde applaudierten mir wie wild. Seltsam war bei den Tänzern allerdings eine Person, die völlig aus der Reihe fiel: In Taucherausrüstung, mit Neoprenanzug und ebensolcher Kopfmaske, mit Taucherflossen und Harpune versuchte der Mann sich ebenfalls, wenn auch etwas tapsig, im Takt zu bewegen. Noch seltsamer aber war, dass er eine Harpune in der Brust stecken hatte. Ich war entsetzt, wollte schreien, doch der Takt der Musik forderte mir alles ab.

Plötzlich fiel mir ein, dass wir gestern doch zwei Taucher am Strand gesehen hatten –

und nur einer war zurückgekehrt. Das hier musste der zweite sein. „Kein Wunder, dass er sich ziemlich unbeholfen zu der Musik bewegt“, dachte ich noch, als der Mann plötzlich umfiel und auf dem Boden vor sich hinröchelte. Die Volkstanzgruppe tat, als sei das ganz normal, umkreiste die Person, sie bewegten  die Arme von unten nach oben, wie bei der Laola-Welle. Ich hingegen rief um Hilfe. „Hilfe, Hilfe“, schrie ich. Doch niemand nahm von mir Notiz. Klar. Ich war ja auch in der Bretagne. „Au séjours“, versuchte ich es in der Landessprache. Oder hieß es „au secours“? Verzweifelt sah ich mich um. Niemand reagierte. Ich griff zum letzten Mittel: „Appelez Monsieur Dupin“, schrie ich meine Tanznachbarinnen verzweifelt an. Und die Gruppe um mich herum hielt tatsächlich inne, rief „Monsieur Dupin, ah, Monsieur Dupin.“ Ein wahrer Hüne näherte sich mir, blickte mich und den nun nicht mehr röchelnden Taucher an. „Je suis Monsieur Dupin, le boucher de cette belle commune“, sagte er wenig freundlich, mehr drohend. Und ich wollte nur noch flüchten. Wo war ich hier hingeraten? Sahen die Menschen denn nicht, dass der Taucher Hilfe brauchte? Hatten sie ihn womöglich ermordet? Und was tat ich hier überhaupt. Ich wollte nur noch eins: Zurück in das wunderschöne, kleine Häuschen am Strand von Trévignon. Zurück in die Arme meiner Frau, „Bine, Bine“, rief ich verzweifelt. Ich spürte, wie mich jemand schüttelte. „Was ist denn los mit dir“, fragte mich meine Liebste. „Warum schreist du nach mir, ich bin doch da, alles ist gut“, sagte sie besänftigend, nahm mich in die Arme, streichelte mich und – langsam kam ich zur Besinnung. Ich hatte schlecht geträumt. War zur bretonischen Volksmusik eingeschlafen. Was für ein Alptraum. Aber wo war der zweite Taucher, der in der Volkstanzgruppe mittanzte? Ich befürchte, die Frage wird mich noch all die Tage hier in der Bretagne verfolgen. Vielleicht kann ja tatsächlich Georges Dupin helfen. Morgen fahren wir nach Concarneau. Wir werden ihn finden. Ganz sicher. Und er wird den Fall lösen.

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