So ein Häuschen, mag es auch noch so klein sein, direkt am Meer, hat natürlich seine unglaublichen Vorteile.
(Jetzt musste ich gerade eben tatsächlich überlegen, ob ich Vorteile mit F schreiben muss – ist es schon so weit gekommen mit meinem Urlaubsfeeling, dass ich sogar mein gesamtes Handwerk als Journalist vergesse? Oder ist es die beginnende Demenz? Oder die Folge von allzu viel Pommes Frites mit Mayo (also Mayó, mit Betonung auf der zweiten Silbe) an diesem Abend?) Natürlich gehört auch das zum Urlaub dazu. Logisch. Nicht selber kochen. Einfach mal ungesund leben. Fast food in Reinkultur. „So“, sagte Bine nach der Riesenportion Pommes, die sich hier als zierliche „grand frites“ kaufen ließ. Zum Mitnehmen. Wir hätten uns dabei eigentlich vorher schon denken können und sollen, dass wir dabei jede Menge Plastik kriegen würden. Plastiktüte, Plastikbehälter für die Pommes, dann noch Plastikdöschen für Ketchup und Mayo, ‘tschuldigung Mayó. Eigentlich wird mir schon beim Anblick von so viel Plastik schlecht. Heute war es mir erst nach der Vertilgung dieser Giganto-Pommes-Packung. „Das reicht für die nächsten drei Wochen“, sagte ich zu Bine.
Gestern Abend erlebten wir unseren ersten fantastischen Sonnenuntergang – von voraussichtlich rund 20 weiteren. Jeden Abend werden wir wohl unglaubliche Bilder schießen – um dann im Nachhinein festzustellen, dass sich die untergehenden Sonnen doch irgendwie sehr ähnelten. Um dem vorzubeugen, hatte ich gestern schon ein Video gemacht. War leider ziemlich verwackelt. Mit Zeitraffer wollte ich allen folgenden Sonnenuntergängen vorgreifen. Hat nicht so richtig funktioniert. Und so sitze ich heute Abend schon zum zweiten Mal da und lasse nebenher die Kamera laufen. 6 Minuten 19 zeigt die Anzeige gerade. Ich bin gespannt. Gerade überlegen wir, ob wir unseren Freunden – so wie früher bei den berühmt-berüchtigten Dia-Abenden – all unsere 25 000 Fotos zeigen werden. Inklusive der dann wohl mehrstündigen Sonnenuntergänge. Die sind aber wirklich auch so was von unglaublich …
Vorher hat Bine gesagt, als wir hier gemütlich auf der Terrasse saßen: „Es ist gar nicht so leicht, alles hinter sich zu lassen und sich die Erholung selbst zu erlauben.“ Damit hat sie gar nicht so unrecht. Und sie ergänzt: „Dasitzen und nichts tun, dem Gefühl widerstreben, doch irgendwas machen zu müssen.“ Also außer rumsitzen, lesen, Kaffee trinken, Musik hören. Den Schatten genießen, während die Leute unten am Strand in der prallen Sonne sich braten lassen. Wie kann man nur den ganzen Tag am Strand liegen, haben wir uns schon immer gefragt. Versteh ich auch nicht. Aber es hat natürlich auch nicht jeder so einen exklusiven Platz, in dem uns unser Häuschen fast den ganzen Tag Schatten spendet. Und wir trotzdem maximal zwei Minuten bis zum Wasser haben.
Gerade fliegen zwei Schmetterlinge direkt vor meiner Nase herum. Liebesspiel? Sie umkreisen sich, scheinen sich hin und wieder sogar zu berühren, fliegen immer höher, dann wieder tiefer, über dem Gestrüpp, das uns von dem Wanderweg trennt, gesellt sich ein dritter Schmetterling hinzu – was doch tatsächlich einer der beiden anderen dazu nutzt, sich vom Acker zu machen. Ha, goht’s no? Einfach so, Partnertausch, oder wie? Seltsam, denke ich.
Gestern haben wir bei der Ersterkundung von Trévignon und den Stränden die riesigen Felsblöcke aus der Nähe gesehen, die hier überall am Strand herumliegen. Fast in jedem einzelnen kann man Gesichter erkennen. Tiere. Irgendwas. Nur: Wie kommen die da hin, haben wir uns gefragt. Riesige massive Felsen, die aussehen, als hätte sie irgendjemand da hingeworfen. Oder als wären sie einfach vom Himmel gefallen. Bei einem gigantischen Felsgewitter. Oder so. Aber vielleicht war das hier irgendwann auch mal alles Gebirge. Und die Steine, die Felsen, die hier noch liegen, ist der Rest des Gipfels der Berge. Wer weiß.
Gestern sagte Bine, dass am heutigen Montag wohl nur noch – wenn überhaupt – Rentner hier an „unseren“ Strand kommen werden. Sie hatte recht. Um halb zehn tauchte das erste Pärchen auf, offensichtlich älteren Jahrgangs. Er war schwer bepackt, schleppte mindestens zwei Taschen, Strandstühle und sonstiges über den Strand. Sie hingegen hatte sich mit einer Schwimmnudel begnügt. „Das ist ja mal wieder typisch“, sagte ich. Bine meinte: „Der Mann trägt nun mal die schweren Dinge und die Frau die leichteren.“ Jetzt kommt gerade ein Klein-Lkw mit Klohäuschen obendrauf. Der wird wohl das wenige Meter entfernt stehende Häuschen austauschen, oder? Stattdessen zieht er einen Schlauch von dem Lkw weg zum Klohäuschen, das – was für ein Glück – weit genug von uns an dem Wanderweg entfernt steht. Es ertönt ein schlürfendes Geräusch. Er hat wohl die Gülle aus dem Häuschen abgesaugt, vermute ich. „Das ist ja ein Scheißjob“, meint Bine. Im wahrsten Sinne des Wortes. Aha, jetzt schleppt er das entleerte Häuschen zum Lkw, Meter für Meter wackelt er mit dem Klo zu der Lkw-Laderampe, die er heruntergelassen hatte, stellt die Hütte drauf. Fertig. An Werktagen braucht man offensichtlich hier am Strand keine Klos. Seltsam. Wie gut, dass wir unser Klo hier am Strand in unserem Häuschen haben. Eigentlich könnten wir damit richtig Geld verdienen. Unten am Strand ein Schild aufstellen. „Einmal Toilette benutzen, nur 2 Euro.“ Obwohl. Wenn wir hinter jedem „Gast“ saubermachen müssten. Lassen wir dann doch lieber.
Wenn man mal so richtig Zeit hat, um seine Umgebung zu beobachten, was da so alles passiert – unglaublich. Die Zeit hat man zuhause ja gar nicht. Obwohl mir das unglaublich gefallen würde. Einfach in Reutlingen in der Wilhelmstraße oder in der Stuttgarter Königstraße hinsetzen, den Menschen zusehen. So war das ja bei uns auch, als wir im Elsass vor drei Jahren mit dem Womo unterwegs waren. Herrlich, den anderen Menschen auf den Campingplätzen zuzusehen. Wie sie sich abmühten, den optimalen Platz für ihr Womo zu finden. Vorhin tauchte hier beim Nachbargrundstück, auf dem einstmals wohl ein Haus stand, ein Kleinlaster auf. „Um Himmelswillen“, dachte ich. Die werden hier doch nicht mit Bauen anfangen? Das wär’s dann gewesen. Drei Wochen Baulärm in direkter Nachbarschaft. Dabei hatten doch bisher jeden Abend zwei unglaublich süße Häschen das Grundstück belagert. Ob die dort angestellt sind, den Rasen kurz zu halten? Wir haben bisher noch keine Antwort erhalten. Vielleicht, wenn sie ein wenig zutraulicher werden. Wir haben ja noch eine Weile Zeit.
Gerade merke ich, wie anstrengend Nichtstun doch sein kann. Das Kreuz tut mir weh. Ich sitze auf einem der beiden wenig komfortablen Campingstühle an unserem Frühstücks-, Mittags-, Abendessen-Tisch, an dem ich seit einiger Zeit auf dem Laptop herumhacke.
Ist das Urlaub? Mach ich das nicht zuhause auch die ganze Zeit? Zuhause kriege ich wenigstens Geld dafür, denke ich gerade. Naja. Aber es macht doch so unheimlich viel Spaß, all das Gesehene, Erlebte, das Bemerkenswerte festzuhalten. All die Gedanke fließen zu lassen, egal, wo sie herkommen und wo sie hintreiben. Das finde ich herrlich. Auch das kann Urlaub sein. Vorher, als wir unten am Strand waren, um die Wassertemperatur zu testen, tauchten zwei Taucher neben uns auf. Sie kamen vom Strand und gingen ins Meer. Von Kopf bis Fuß in Neopren, mit Flossen, Harpune in der Hand und Kunststoff-Bojen hinter sich herziehend. Aber ohne Sauerstoffflaschen.
Sie schwammen davon, oder schnorchelten davon. Als wir ein bis zwei Stunden später wieder auf unserer Terrasse waren, kam einer der Taucher zurück an den Strand. Wo war der andere abgeblieben? Hatte der erste ihn mit seiner Harpune erlegt? Sind wir hier einer unglaublichen Kriminalgeschichte auf der Spur? Müssen wir Kommissar Düpeng (Dupin) benachrichtigen? Der schweifende Blick übers Meer offenbart allerdings keine große Blutspur. Wir werden das Ganze erstmal auf sich beruhen lassen. Aber weiter beobachten. Düpeng, wir sind auf der Hut. Nous sommes sur le chapeau. Monsieur le commissaire.
Bine hat soeben eine größere Heuschrecke oder so was gefangen. „Die ist gerade bei uns ins Haus gehüpft“, sagt sie. „Schau mal der fehlt ein Fuß.“ Tatsächlich, einer der beiden großen Springfüße fehlt. „Paralympics“, sagt Bine. Unglaublich.