Ankunft Trévignon

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Unglaublich. Incroyable. Das war das Wort, das mir immer wieder einfiel, als unser Vermieter gestern hier auftauchte.

Ein Fischer, der aber als Kapitän auf großen Schiffen, „bateau commercial“, die Weltmeere bereiste. Es sei doch besser, jeden Abend zuhause zu sein, meinte er. Ob er täglich raus zum Fischen fahre, fragten wir in einer Mischung aus Französisch, Englisch und Deutsch. „Non“, sagte er. „Le samedi“, sagte er. Samstags sei ein guter Tag zum Fischen. Aber sonst? Er vermittelte uns rein mimisch eine sehr knitze, sehr liebenswerte Art des Savoir-vivre. Und er hat uns sein Häuschen zur Verfügung gestellt, das wirklich „incroyable“ ist: Mit Freunden hatte er die Hütte umgebaut, ohne Architekt, wie er betonte. Von außen wirkt das Häuschen fast wie eine winzige Kirche, eine Kapelle, die vor allem mit dem riesigen Fenster zum Meer hin den kirchlichen Eindruck vermittelt. Als wir dann das erste Mal in das Häuschen eintraten, blieb uns vor lauter Staunen der Mund offenstehen: Fast aus allen Fenstern sieht man das Meer, den oder die Strände. Unglaublich. Oben im ersten Stock, den wir über eine sehr schmale, gewundene Treppe erreichen, ist nur das Bett. Und eben das riesige Fenster, das durch die Eingangstür darunter verlängert wird. Wir schlafen also mit dem Blick aufs Meer ein. Und wachen mit selbigem wieder auf. Und selbst im Erdgeschoss, wenn wir überhaupt von Geschoss reden können, ist alles drin – eine kleine Küche, eine kleine Essecke, mit der Betonung auf Ecke, sogar ein winziges Sofa und ein Pelletofen vervollständigen die Einrichtung. Dabei fehlt es an nichts. Die Besteckschublade und ein Schubfach für Töpfe, Pfannen etc. finden sich unter dem Treppenaufgang. Für 80-Jährige wäre das Kochen dann vielleicht etwas mühsam, wenn man sich für einen Löffel, Gabel, Topf oder Messer bis zum Boden bücken müssten. Aber für uns? Pah. Kein Problem.

Seinen ganzen Einfallsreichtum demonstrierte uns der Vermieter aber als er sagte: „Alors, si vous voulez voire TV …“, sagte er (oder so ähnlich) und nahm ein Bild von der Wand. Dahinter verbirgt sich ein kleiner Fernseher. Der Hammer schließlich sind die sanitären Einrichtungen. Selbst da, wenn man will, sieht man auf der Schüssel sitzend das Meer. Also wenn man die Toilettentür offenstehen lässt. Man kann die Tür natürlich auch schließen – und selbst dann können wir beim Duschen durch ein Fensterchen raus aufs Meer … Sollten wir hingegen abends oder nachts duschen und nicht beobachtet werden wollen – auch kein Problem. Der Clou ist ein Bild, das außerhalb des Bads neben dem Fenster hängt. Das wechselt einfach seinen Platz – und schon ist das Fenster verdeckt. Unglaublich. Wir haben herzlich gelacht.

Ach ja, wie schön. Die Anfahrt war hingegen etwas mühsam. Zwei Tage jeweils mehr als sieben Stunden Fahrt (inklusive Pausen). Unser gebuchtes Hotel am Kreisverkehr in der Nähe von Disneyland Paris gab es tatsächlich – auch wenn es auf Google Maps noch nicht zu sehen ist. Allerdings ist auf der Internet-Karte auch noch nichts von dem riesigen neuen Wohnviertel zu sehen, das irgendwann in den vergangenen zwei Jahren hochgezogen worden ist. Ein riesiges Quartier mit hunderten Wohneinheiten. Dazu gleich auch noch das passende Industriegebiet. Idyllisch wirkt das alles nicht. Aber so haben wir es in einigen anderen Gegenden Frankreichs bei der Durchfahrt auch gesehen – jede Menge Neubauten in oftmals gigantischem Ausmaß. Wohnraummangel dürfte es en France also eigentlich nicht geben. Aber die Speckgürtel der Großstädte wachsen dadurch immer mehr. Was wir auch gesehen haben: Schwäbisch hat sich überall verbreitet: Hier zum Beispiel – koi centre d’affaires heißt nichts anderes als „hier machet mr koine Affäre draus“. Das Zimmer im Hotel eklo bei Paris war übrigens winzig, noch kleiner als das Schlafzimmer hier in Trévignon. Noch beleibtere Personen als wir dürften ihre liebe Not in dem winzigen Bad gehabt haben. Dennoch war es gut, einen Zwischenstopp eingelegt zu haben. Zwölf bis 14 Stunden am Stück zu fahren, das wollten wir uns nach der Erfahrung vor zwei Jahren nicht nochmal antun.

Nun sind wir also hier. In unserem „Abri“ in Trévignon. Wir sitzen um kurz vor 11 auf „unserer“ kleinen Terrasse oberhalb vom Strand, schauen hinunter … „ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und einfach nur aufs Meer gucken“, sagte ich vorher zu Bine bei der zweiten oder dritten Tasse Kaffee. Dem Meer zusehen, wie es sich zurückzieht, dem Himmel, der sich heute sehr bewölkt zeigt – was für uns den Vorteil hat, dass an diesem Sonntag der Strand unter uns fast menschenleer ist. Allerdings führt ein Wanderweg (oder auch nur der Weg zum Strand unterhalb) fünf Meter von uns entfernt am Häuschen vorbei. Auch da gibt es immer was zu sehen. Ob wir dann diejenigen sind, die sich wie im Zoo begafft fühlen oder die Vorbeilaufenden …? Egal. Es ist herrlich. Angenehme rund 20 Grad, ohne Sonne. Sehr angenehm.

Als ich beim Frühstück meine Gedanken treiben ließ, fragte ich mich: Wenn ich jetzt, noch nicht ganz wach, vom Tischchen aufstehen würde, dann beim Eintreten in das Häuschen die Türschwelle übersehen, stolpern, der Länge nach hinfallen und mir an der Kante des Sofas das Genick brechen würde – so schnell könnte alles vorbei sein. Mit dem Urlaub. Und mit dem Leben.  „Ach was“, sagte Bine und riss mich aus meinen Gedanken. „Dann müsstest du dich doch im Fallen so elegant drehen, dass du mit dem Nacken genau auf die Kante des Sofas fallen würdest.“ War das jetzt einfach ihr äußerst realistischer Blick aufs Leben? „Du traust mir also nicht zu, dass ich mich im Fallen elegant drehen könnte“, fragte ich. „Niemals“, sagte meine Liebste. „Außerdem würde ich dann womöglich noch in Verdacht geraten, dass ich nachgeholfen hätte oder dich sogar gestoßen, als du mit dem Rücken zum Eingang …“ Wir lachten herzlich. Ist das nun englischer Humor? Oder französischer, weil wir doch in Frankreich sind? Vielleicht bretonischer? Egal. Auf jeden Fall ziemlich schwarz dieser Humor. Wenn das so weitergeht in diesem Urlaub …

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