Unbeschreibliches Leid in der Prostitution

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Reutlinger Bündnis engagiert sich für „das Nordische Modell“ und damit gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter gesucht

„In der Prostitution wird die Frau von einem Mann wie eine Sklavin gekauft“, betonte Dr. Monika Barz am vergangenen Mittwoch beim Pressegespräch im Alten Reutlinger Rathaus. Als Mitglied des „Reutlinger Bündnisses für das Nordische Modell“ setzen sich die Frauen (und Männer) gegen Menschenhandel sowie (Zwangs-) Prostitution ein. Warum sie das tun? Ganz einfach: „Prostitution ist eine Menschenrechtsverletzung“, so Barz.

Das unterstreicht auch Maria Neuscheler, die eine Beratungsstelle für Prostituierte im Landkreis Esslingen leitet. Zumeist junge Mädchen vom Balkan oder aus osteuropäischen Ländern würden unter Vorspieglung falscher Tatsachen (wie etwa einem Jobangebot) nach Deutschland gelockt und hier „in einem hochkriminellen Milieu mit körperlicher Gewalt, Drogenabhängigkeit, sprachlichen Defiziten und Unwissenheit gefangen gehalten“, so Neuscheler. „Prostitution ist weder Sex noch Arbeit, sondern ganz einfach Ausbeutung.“ Bis zu 90 Prozent der meist jungen Frauen kämen aus dem europäischen Ausland, „der allergrößte Teil unfreiwillig“. Mit körperlicher und sexueller Gewalt sowie Vergewaltigungen würden die Prostituierten in einer Atmosphäre der Angst tatsächlich wie Sklavinnen gehalten. „Viele der Frauen leiden unter Traumata“, so Maria Neuscheler. Zudem seien die Prostituierten weder sozial- noch krankenversichert.

„Mehr als 80 Prozent aller Prostituierten in Deutschland würden aussteigen, wenn es möglich wäre“, betont Eike Schällig-Hensch. Angemeldet sind in Deutschland rund 40 000 Prostituierte, die Dunkelziffer schwankt laut Verena Hahn jedoch zwischen 200 000 und 400 000. Asylpfarrerin Ines Fischer weiß aus ihrer Beratungsarbeit ebenfalls von Menschenhandel, von Frauen, die etwa aus Nigeria nach Deutschland in Bordelle transferiert werden. „Wenn Frauen über Jahre täglich 20 bis 30 Männer bedienen müssen, dann hat das unbeschreibliche Folgen für den Körper und die Psyche der Frauen“, weiß Fischer. Die Frage sei, welche Möglichkeiten es gebe, um dagegen vorzugehen. „Aber es darf einfach nicht sein, dass Frauen auf sogenannten ‚Freierforen‘ als Ware bezeichnet und behandelt werden.“

Nachdem immer mehr europäische Staaten das „Nordische Modell“ von Schweden bereits übernommen haben, „ist Deutschland zum Puff Europas geworden“, betonen die Frauen vom „Reutlinger Bündnis“. „Der Menschenhandel und die gewalttätige Ausbeutung von Frauen ist nur über ein Verbot der Prostitution zu ändern“, sagt Ines Fischer. Das Modell, das zuerst in Schweden umgesetzt wurde, gründet sich laut Monika Barz auf vier Säulen: Die erste müsse in der „Entkriminalisierung der Frauen“ bestehen, Ausstiegshilfen für die Prostituierten gelte es einzurichten, in der Öffentlichkeit müsse über die menschenunwürdige Situation in der Prostitution berichtet werden und als Letztes „müssen die Profiteure von Prostitution kriminalisiert werden“, betonte Barz. Dafür kämpft das Reutlinger Bündnis. „Und dafür sollten sich alle Frauen einsetzen – weil Gleichberechtigung der Geschlechter mit Prostitution nicht erreicht werden kann, denn dort wird sie mit Füßen getreten“, so Barz.

Allerdings sei es extrem schwierig, gegen Prostitution vorzugehen, weil zum einen die gesetzliche Grundlage dafür fehlt. Dass massive und organisierte Gewalt gegen Frauen in Deutschland legal ist, sei nach der Überzeugung der Frauen des Reutlinger Bündnisses unfassbar. „Prostituierte haben keine Lobby, im Gegensatz zu den Bordellbetreibern und Zuhältern“, betont Hahn. Und dass Prostituierte doch einfach aussteigen sollen, wenn sie wollen? „Wie soll das funktionieren, die Frauen schämen sich und wollen nicht, dass ihre Familien in der Heimat von ihrer Tätigkeit erfahren“, so Verena Hahn. Zudem hätten die Prostituierten Angst vor den Bordellbetreibern und Zuhältern, die sie zudem von der Außenwelt abschotten. „Viele der Frauen sind drogenabhängig und können meist kein Deutsch“, hebt Hahn hervor. „Das ist modernes Sklaventum.“ In der Stadt Reutlingen gibt es nach den Worten von Ines Fischer sieben Bordelle. Insgesamt sei in Reutlingen und in ganz Deutschland ein Bewusstseinswandel vonnöten – „es darf einfach nicht mehr völlig normal sein, dass junge Männer zur Abifeier oder zum Junggesellenabschied in den Puff gehen und sich dort Frauen kaufen“, sagt die Asylpfarrerin.

INFO:

Weitere Informationen

Weitere Informationen zu dem Thema gibt es auf der Homepage mit der Adresse www.reutlinger-buendnis-nordischesmodell.de. Das Bündnis sucht weitere Unterstützer, um die unmenschlichen Zustände in der Prostitution zu beseitigen und um von unten her Druck auf die Gesetzgebung auszuüben. Es gibt einige weitere Bündnisse dieser Art, etwa in Ulm oder mittlerweile auch ein bundesweites. „Mord kann man auch nicht abschaffen“, sagt Maria Neuscheler. „Wir wollen aber, dass der Prostitution die legale Grundlage entzogen wird, dass der Kauf von Menschen nicht mehr möglich ist.“

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