„Menschen am Rand leiden am meisten“

0

Aktionswoche der Migrationsberatung im Landkreis Reutlingen mit Veranstaltung in der Münsinger Zehntscheuer unter dem Motto „Migration braucht Integration“

„Migration geht nicht ohne Integration“, betonte Dr. Joachim Rückle am Montagabend vor rund 50 Interessierten in der Münsinger Zehntscheuer. Damit wies der Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands auf das Motto der Veranstaltung hin – und unterstrich damit gleichzeitig die Bedeutung der Migrationsberatung (auch und gerade im ländlichen Raum), die im Landkreis von Caritas, Diakonieverband und auch Rotem Kreuz angeboten wird. Diese Bedeutung verdeutlichte auch Münsingens Bürgermeister Mike Münzing – indem er auf die Projektfinanzierung der Migrationsberatung (MBE) hinwies.

Ein Unding sei es, dass alle zwei bis drei Jahre neue Förderanträge mit neuem Namen gestellt werden müssten, um die so wichtige Arbeit überhaupt finanzieren können. „Soziale Arbeit braucht Verbindlichkeit und Verlässlichkeit“, so Münzing. Dem stimmten alle Bundes- und Landtagsvertreterinnen und -vertreter während einer Podiumsdiskussion zu, auch Michael Donth (CDU): „Die Arbeit kann nicht nur über Projekte finanziert werden“, betonte der Bundestagsabgeordnete. Aber: „Fachkräftezuwanderung ist was anderes als Asyl.“ Es sei wichtig und richtig die beiden Themen auseinanderzuhalten, denn: „Die Empörung nach 2015 war groß, ich will nicht, dass die negative Stimmung Mehrheit wird.“

Jessica Tatti (Linke), Beate Müller-Gemmeke (Grüne) und auch Cindy Holmberg (Grüne) griffen zum Stift und machten sich eifrig Notizen. Zu einer Antwort kamen die Parlamentsabgeordneten jedoch nicht mehr, denn: Rückle beendete die Diskussion und auch die Veranstaltung mit dem Verweis auf die fortgeschrittene Zeit. „Man merkt allerdings, dass der Wahlkampf begonnen hat“, so Joachim Rückle. Zuvor hatten Müller-Gemmeke und Tatti allerdings darauf verwiesen, dass solche Angebote wie die Migrationsberatung nicht noch schlechter als jetzt schon gegenfinanziert werden dürften: „Sparen zulasten der Menschen“ sei das falsche Signal, so Beate Müller-Gemmeke. „Bestimmte Parteien machen eine Politik, bei der die Reichen in der Krise noch reicher werden und die Armen müssen die Zeche zahlen“, betonte Jessica Tatti. Donth erwiderte: „Den Reichen was wegnehmen und den Armen geben – das ist zu kurz gesprungen.“

Bei der sozialen Arbeit und auch bei den Aufgaben der Kommunen gehe es darum, „die Gesellschaft zusammenzuhalten – und das zeigt Münsingen in hervorragender Weise“, sagte Cindy Holmberg. Land und Bund müssten diese Arbeit und auch die Menschen unterstützen: „Die Menschen sind doch integrationswillig.“ Und die Grünen-Landtagsabgeordnete fügte einen weiteren Aspekt hinzu: „Wir haben Fachkräftemangel und brauchen Menschen, die zu uns kommen.“ Genau diesen Aspekt unterstrich auch Daniel Tress als Unternehmer in der Region: Der Betreiber des Gasthofs an der Wimsener Höhle hob hervor, dass er seit Jahren Migranten und auch Flüchtlinge dort beschäftige. „Wichtig ist, den Menschen Vertrauen zu geben.“ Er habe das getan – und so habe sich ein Flüchtling vom Minijobber zum jetzigen Koch entwickelt und in Hayingen ein Haus für seine Familie kaufen können. Wichtig sei bei der Anstellung seines Personals mit Migrationshintergrund aber immer „der kurze Weg zur Migrationsberatung“, so Daniel Tress.

Florian Hecht vermittelte als Mitarbeiter der MBE des Diakonieverbands in Münsingen, dass seine Tätigkeit „fast alle Lebensbereiche der Migranten mit Bleibeperspektive über 27 Jahre“ betreffe. Sprache, Integration in Arbeit und Gesellschaft, Teilhabe, finanzielle Absicherung – all das seien Themen, die bei ihm aufschlagen. Clara Azekumen, die einst aus Nigeria kam, beschrieb, wie wichtig für sie die Unterstützung der Caritas-MBE war: „Als ich kam war alles neu und kompliziert.“ Dazu gehörte auch, Anträge auszufüllen, die sie nicht verstand. Seit sechs Jahren arbeitet sie in einer Einrichtung für behinderte Menschen, hatte zuvor eine Ausbildung zur Altenhilfepflegehelferin gemacht. „Ich pflege die Menschen, koche mit ihnen afrikanisch, wir haben viel Spaß miteinander“, so Azekumen.

Gerade im Hinblick auf die Pandemie müsse einmal mehr gelten, was im Grundgesetz an erster Stelle steht: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, betonte Mike Münzing. „Das gilt für alle Menschen, ohne Einschränkung.“ Gerade in der Krise zeige sich aber einmal mehr: „Die Menschen am Rand der Gesellschaft leiden immer am meisten“, so Münsingens Bürgermeister. „Deshalb ist es zwingend notwendig, dass Strukturen vorhanden sind, um Hilfe zu ermöglichen.“ Abschließend sang der Münsinger Internationale Chor ein weiteres Stück aus seinem musikalischen Repertoire.

Share.

Comments are closed.