„Den ganzen Menschen sehen“

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Daniel Spinner von der Schuldnerberatung des Reutlinger Diakonieverbands ist seit mittlerweile zehn Jahren im Ermstal und auf der Schwäbischen Alb im Landkreis für Klienten mit Geldproblemen da

„In ganz Deutschland sind rund 6,85 Millionen Menschen überschuldet“, sagte Daniel Spinner am Montag bei einem Pressegespräch in der Diakonischen Bezirksstelle Bad Urach. Nicht überall sei die Überschuldung ein gleich großes Problem, aber: „Auch in Baden-Württemberg dürften rund 8 Prozent der Bevölkerung überschuldet sein“, schätzt der Sozialpädagoge, der seit mittlerweile zehn Jahren als Schuldnerberater arbeitet. Von Anfang an tat er das unter dem Dach des Reutlinger Diakonieverbands, „aber in Absprache mit der Liga der Freien Wohlfahrt“, wie Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Diakonieverbands erläuterte. Sinn und Zweck war und ist nach wie vor, mit der Stelle von Daniel Spinner den Raum Ermstal und Schwäbische Alb mit diesem Beratungsangebot zu versorgen.

„In der Region leben rund 93 000 Menschen, bei 8 Prozent wären das etwa 7440 Überschuldete – und die treffen alle auf einen einzigen Schuldnerberater“, führte Spinner weiter aus. Hinzu kämen zahlreiche kurzfristige Anfragen – und dann auch noch Corona mit seinen katastrophal-wirtschaftlichen Auswirkungen auf einige Menschen. Die Überschuldungssituation habe dadurch rapide zugenommen, die Anfragen bei Daniel Spinner auch. „Es gibt einen Rechtsanspruch für alle auf Beratung, nur für Selbständige nicht“. Die müssten im Fall der Fälle zu Rechtsanwälten.

Laut statistischem Bundesamt habe die Zahl der Privatinsolvenzen im Februar 2021 im Vergleich zum Februar im Vorjahr um sage und schreibe 61 Prozent zugenommen. Ursache dafür sei aber nicht allein die Auswirkung der Pandemie, sondern noch ein anderer wesentlicher Faktor – nämlich die Verkürzung der Insolvenzdauer von sechs auf drei Jahre. Und das heißt? Diejenigen, die eine Privatinsolvenz anmelden müssen sich nicht mehr sechs Jahre, sondern „nur“ noch drei an ganz strikte Auflagen halten und dürfen in diesem Zeitraum keinerlei weitere Schulden machen. Wenn sie die „gerichtliche Schuldenregulierung“ durchhalten, sind sie danach schuldenfrei.

Warum es aber überhaupt zu Überschuldung kommt? Laut Spinner sind die Hauptursachen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Scheidung. Die Situation verschärfe sich oftmals weiter durch stetig steigende Wohn- und Mietnebenkosten, „dann kommt es immer häufiger zu Stromsperren und Zwangsräumungen“, so Spinner. „Das sind Riesenbelastungen für die Einzelpersonen und auch für die Familien.“ Hinzu komme nach den Worten von Susanne Schur als Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle Bad Urach: „Die meisten Klienten kommen erst, wenn das Kind schon längst in den Brunnen gefallen ist.“ Würden die meisten schon bei der ersten Mahnung bei uns anfragen, könne laut Spinner einiges viel unproblematischer und früher geregelt werden.

„Spätestens in dem Moment, wenn es aber zur Zwangsräumung kommt, dann ist die Kommune mit im Boot“, erläuterte Daniel Spinner. Wenn nämlich Obdachlosigkeit droht, dann sind Stadt oder Gemeinde verpflichtet, die Menschen unterzubringen. „Deshalb ist die Finanzierung der Schuldnerberatung natürlich auch im Interesse der Kommunen und des Landkreises.“ Schließlich könne mit der Beratung oftmals Wohnungslosigkeit vermieden werden – und die Kommune spare viel Geld. „Mit der Hilfe der Schuldnerberatung kommen die Leute schneller wieder auf die Beine“, versicherte der Sozialpädagoge.

Ein für Daniel Spinner ganz wesentlicher Punkt ist zudem „der ganzheitliche Ansatz unserer Hilfe“. Und das soll heißen? „Ich sehe bei meiner Arbeit nicht nur die Schulden, sondern den ganzen Menschen dahinter“, so Spinner. Denn: „Schulden machen krank“, betonte auch Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands. Wer überschuldet ist, gerate fast automatisch in die „soziale Isolation“, könne sich keinen Kino-, Kneipen- oder Restaurantbesuch mehr leisten. „Hinzu kommen oft diffuse Ängste im Hintergrund“, betonte Spinner.

Und oftmals kämen noch andere Probleme hinzu: Sucht, Behinderung, Erziehung, Arbeitslosigkeit, psychische Probleme. „Wir haben hier in der Diakonischen Bezirksstelle verschiedene Beratungsangebote“, sagte Susanne Schur. Problemlos könnten etwa eine Tür weiter, völlig unbürokratisch Termine zu einer weiteren Beratung vereinbart werden, „das sind die sogenannten Synergieeffekte, die wir hier haben“, so die Sozialpädagogin. Sowohl Spinner wie auch Schur erkennen in ihren Arbeitsbereichen: „Die Fälle werden immer komplexer und komplizierter.“ Weil immer mehr Lebensbereiche betroffen sind von Armut und Überschuldung. Aber: Daniel Spinner liebt seinen Job dennoch, er hat die Schuldnerberatung vor zehn Jahren selbst aufgebaut. „Es ist immer wieder schön, wenn sich Klienten eventuell Jahre nach der Beratung melden und berichten, dass es ihnen finanziell besser geht.“

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