„Das ist nicht mein Europa“

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Reutlinger Seebrücke und Asylpfarramt gedenken der Ertrunkenen im Mittelmeer und fordern Landesregierung auf, im Koalitionsvertrag aufgeführtes Landesaufnahmeprogramm auch tatsächlich umzusetzen

Jeden Tag ertrinken Menschen im Mittelmeer, jeden Tag geschehen dort nach den Worten von Markus Groda Menschenrechtsverletzungen. Geflüchtete würden im Mittelmeer nicht gerettet, sondern vielfach nach Libyen zurückgeschleppt. Mitverantwortlich dafür ist laut Groda neben der Europäischen Union auch die deutsche Bundesregierung. „Dass Menschen im Mittelmeer sterben, das ist gewollte Politik.“ Die Schlussfolgerung des Aktiven von der Reutlinger Seebrücke: „Das ist nicht mein Europa“, betonte Groda am Samstagspätnachmittag vor rund 60 Interessierten, die sich vor der Reutlinger Stadthalle zu einer Kundgebung getroffen hatten. Beifall brandete kurz auf.

Insgesamt 669 Menschen sind laut Groda dieses Jahr schon im Mittelmeer ertrunken. Acht zivile Seenotrettungsboote, die Menschen vor dem Ertrinken bewahren wollten, seien von Italien und anderen Ländern beschlagnahmt worden. „Das kann und darf so nicht weitergehen“, forderte Markus Groda. Auf dem Boden zwischen der Reutlinger Stadthalle und dem Tübinger Turm hatten die Aktiven der Seebrücke und des Asylpfarramts ein imaginäres Boot auf den Boden gemalt. Zahlreiche Grabkerzen standen auf Zetteln mit den Namen von Ertrunkenen. „Manche waren ein halbes Jahr alt, manche 45 und manche 68 Jahre“, betonte Asylpfarrerin Ines Fischer am Samstag. „Ich habe zunehmend das Gefühl, dass die gestorbenen Menschen nicht mehr interessieren.“ Dabei seien all die Ertrunkenen „Brüder und Schwestern, die zu uns gehören“. Immer weniger werde über die Geflüchteten und ihre Situation berichtet, „wir wollen, dass sie nicht vergessen werden“, sagte Fischer.

Und diejenigen, die sich für die Aktion der Sicheren Häfen oder die Seebrücke engagieren? Die würden immer mehr mit hasserfüllten Drohungen konfrontiert. Aber: Ein Hoffnungsschimmer habe sich am Horizont gezeigt, als der Koalitionsvertrag der baden-württembergischen Landesregierung bekannt wurde. Ein Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete ist darin enthalten. „Das hat viel mit den Kundgebungen und Ihrem Engagement zu tun“, sagte Ines Fischer zu den Demonstrierenden. „Papier ist jedoch auch geduldig – wir müssen weiter darauf drängen, dass der Koalitionsvertrag umgesetzt wird.“ Nur dann könne der Druck auf das Bundesinnenministerium noch weiter erhöht werden – und es könnten tatsächlich mehr Geflüchtete aus den Lagern an den europäischen Grenzen aufgenommen werden. Geflüchtete, die dort zu Tausenden in menschenunwürdigen Zuständen hausen, so Rüdiger Müller-Nübling.

„Die Menschen hatten gute Gründe, um aus ihrer Heimat, aus Afghanistan, dem Irak oder Syrien zu fliehen.“ Etwa ein Viertel all der Geflüchteten an den europäischen Grenzen seien Kinder, „in Bosnien leben Geflüchtete in Wäldern“, so Müller-Nübling. Sollten sie versuchen, die Grenze nach Kroatien zu überwinden, „werden sie zurückgeprügelt“. Untragbare, unerträgliche Zustände. „Das ist nicht mein Europa, in dem ich leben will“, sagte Markus Groda.

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