Schlimmer als die Hölle

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Aktive der Seebrücke und des Asylpfarramts übernachten auf dem Reutlinger Marktplatz, um einmal mehr auf die unmenschliche Situation in den Lagern an den europäischen Außengrenzen hinzuweisen

„Die Situation in Lagern an den europäischen Außengrenzen wird seit fünf Jahren immer schlimmer“, berichtete Hannah Jehle von der Reutlinger Seebrücke am Samstagabend auf dem Marktplatz. Rund 80 Interessierte hatten sich dort versammelt, um einer kurzen Kundgebung zu folgen – danach haben etwa 30 Aktive der Seebrücke auf dem Marktplatz übernachtet. „Wir wollen mit dieser Aktion auf die unmenschlichen Zustände an den Außengrenzen Europas aufmerksam machen, die vor allem jetzt in Zeiten der Corona- Krise wieder mal viel zu oft in den Hintergrund geraten“, betonte Jehle.

„Vor gut einem halben Jahr ist das Camp Moria auf Lesbos abgebrannt, nachdem monatelang über 20 000 Menschen in dem Camp untergebracht waren, das eigentlich nur Platz für 3000 Menschen hatte“, betonte die Studentin der Sozialarbeit. Nach dem Brand habe die europäische Kommission versprochen, dass es nie wieder zu solchen Zuständen kommen solle, „damals hieß es ‚no more Moria‘“, berichtete Jehle. Ein Geflüchteter, der nun im neuen Lager Kara Tepe auf Lesbos leben muss, habe gesagt: „Moria war die Hölle für uns, aber das hier, das ist schlimmer als die Hölle“, zitierte Hannah Jehle. „Und das alles ist das Ergebnis der bewussten und willentlichen Abschottungspolitik der EU.“

In der kurzen Kundgebung vor der Zelt-Aktion auf dem Reutlinger Marktplatz hob Rüdiger Müller-Nübling von der Seebrücke hervor: „Wir hier werden morgen früh wieder unsere Zelte abbauen können, nach Hause gehen, vermutlich erstmal frühstücken, uns duschen und aufwärmen können.“ Die Menschen in den Lagern an den Außengrenzen Europas würden dieses Privileg hingegen nicht haben, „sie werden vermutlich wieder stundenlang bei Wind und Wetter auf eine freie Toilette warten und hoffen, einen weiteren Tag in einer solchen Hölle irgendwie zu überstehen“, so Müller-Nübling. „Es ist doch völlig absurd, dass auf der einen Seite Geflüchtete in völlig überfüllten Lagern festgehalten werden und andererseits die Hilfsbereitschaft, die in Deutschland da ist, nicht abgerufen, sondern ignoriert wird.“ Bundesweit hätten sich schon mehr als 200 Kommunen bereit erklärt, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen.

Der Druck auf die Landesregierung müsse weiter verstärkt werden, damit ein Landesaufnahmeprogramm verabschiedet werde – und damit weiter Druck auf das Bundesinnenministerium ausgeübt werde. Die „Lagerpolitik“ der Abschottung müsse endlich zu einem Ende kommen, betonte Hannah Jehle. Bevor Ines Fischer zu einer Schweigeminute aufrief, betonte alle die Asylpfarrerin, dass sich die Aktion auf dem Marktplatz am Samstagabend auf das Motto von Landesvater Winfried Kretschmann berufe: „Wir müssen ans Ganze denken“, zitierte Fischer. Und das heiße eindeutig, „an alle denken“. Am Sonntagmorgen berichtete Markus Groda von der Seebrücke: „Es war eine völlig ruhige Nacht – aber mit zum Teil sehr intensiven Gesprächen, weil selbst nachts um 3 Uhr noch Menschen vorbeikamen und fragten, was wir hier machen.“ Geschlafen habe aber niemand der rund 30 Aktiven.

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