4 Endlich Bretagne 2019 – Plomodiern

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Es regnet. Wie schön. Also wie schön, dass wir im Warmen und Trockenen sind. Und trotzdem den Blick aufs Meer genießen können. Wie auf einer riesigen Leinwand sehen wir hier durch die Terrassentür auf Himmel und Meer, die sich beide offenbar zu einem trist-trüb-eintönigen Grau-in-Grau verabredet haben. Die Szenerie wirkt nicht wirklich einladend – allerdings können wir auch diesen Zustand bestens genießen, weil wir ja wissen: In ein paar Minuten kann es schon wieder völlig anders aussehen. Im Moment laufen allerdings gerade Soldaten über den Strand, die vorab mit einem Hubschrauber dort abgesetzt worden sind.  Was man hier so alles erlebt … Was für ein Glück, dass sie von uns weglaufen und nicht auf uns zu, denke ich. Nur: Wo kamen die her? Wo wollen die hin? Warum sind sie hier? Ist das tatsächlich, wie wir vermuten, nur eine Übung? Und: Haben die extra auf regnerisches Wetter gewartet, damit sie bei erschwerten Bedingungen ihre Übung machen können? Oder dass sie nicht ganz so sehr schwitzen müssen? Wir wissen es nicht. Außerdem sind sie in wenigen Sekunden auch schon wieder verschwunden. Und schon bin ich mit meinen Gedanken wieder woanders. Denn der Himmel hat sich schon wieder verändert. Die graue Wolkensuppe ist aufgerissen, vereinzelt kämpfen sich Sonnenstrahlen hindurch, beleuchten das Meer, sorgen für eine faszinierende Szenerie, mit Hell und Dunkel, präsentieren eine Mischung aus Grau, Blau, Gelb, Weiß, Schwarz, Braun, Beige. Wie gemalt. Und die Wellen scheinen ein wenig lebendiger an den Strand zu schlagen als wenige Minuten zuvor. Oder täuscht das nur? So richtig stürmisches Wetter haben wir hier noch nicht erlebt.

Aber recht häufig blicken wir auf einen Ozean zwischen Frankreich und Amerika, der sich überhaupt nicht zu bewegen scheint. Das Meer wirkt dann eher wie ein See. Ohne Zufluss. Ganz ruhig und flach liegt es da, weder Ebbe noch Flut scheint es zu geben. Und gestern sah der Pazifik anders aus als heute. Mit ganz anderen Wolken. Die manchmal wie ein Riesendeckel über dem Strand hängen. Gerade so, als ob man sie mit den Händen berühren könnte. Und auch gerade so, als ob sie einem hier unten fast ein wenig die Luft nehmen würden. Und dann wieder diese schnell dahinziehenden Wolken, die gerade noch die Sonne verdeckten, im nächsten Moment, kaum hat man kurz in eine andere Richtung geschaut, wieder verschwunden sind und der Himmel sich in einer wolkenlosen blauen Leere präsentiert, dass es einem erneut nahezu den Atem verschlagen könnte. Und dann wieder werfen sich die Wellen an den Strand. Immer wieder die Frage mit sich bringend, ob sie nun gerade kommen oder gehen. Dabei scheint das im Urlaub doch eigentlich völlig egal zu sein. Es ist doch eh ein stetiges Kommen und Gehen.

Ich liebe diese Urlaubstage, diese Momente, in denen wir nichts müssen. In denen ich die Gedanken treiben lassen kann wie die Regenwolken. Und dann schon – wie jetzt gerade – fast bedauere, wenn sich die Sonne durch die Wolkenwand zu kämpfen scheint. Dabei habe ich doch noch gar nicht richtig damit begonnen, meine Gedanken loszulassen. Über das Hier und Jetzt. Über die Vergangenheit. Und auch über die Zukunft. Ich liebe diese Momente, in denen wir uns unterhalten, in denen wir endlose Gespräche führen können. Die dann aber doch leider wieder viel zu schnell unterbrochen werden. Weil wir doch noch einkaufen wollten. Weil die Sonne sich erneut hervorkämpft. Weil wir doch nicht den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen können. Aber es gibt doch so viel zu sagen, würde ich am liebsten entgegnen. Es sind noch so viele Gedanken ungedacht, so viele Dinge ungeklärt, so viel noch da, über das es sich lohnt, nachzudenken. Und drüber zu reden. Doch natürlich taucht dann auch gleich wieder ein Gedanke im Kopf auf: Wenn das schöne Wetter doch lockt. Wenn wir doch was zu essen brauchen. Wenn der Wein doch zur Neige geht. Jajaja. Alles gewichtige Argumente. Und: Ja, natürlich, auch beim Strandlaufen kann man miteinander reden.

Heute Morgen unterhielten sich Bine und ich über so verdammt vertrackte Charaktere, die Menschen doch haben können. Über unglaubliche schwierige Beziehungen zwischen Eltern und Kindern. Ausgangspunkt war das Buch „Noch alle Zeit“ von Alex Häusser, einem Freund von uns. Einem Schriftsteller, der in Reutlingen geboren wurde, dort aufgewachsen ist, aber dann mit seiner Frau nach Hamburg zog. Alex verwendet eine wunderbar bildhafte Sprache. Etwa als er eine Sanddüne in Dänemark beschreibt, die eine magische Wirkung habe, die „wie ein Akku“ sei, „du wirst aufgeladen, du wirst schon sehen“, schreibt Alex Häusser. Ich könnte so nicht schreiben, denke ich. Obwohl ich doch Journalist bin. Und vom täglichen Schreiben leben kann. Aber ich beschreibe ja auch eher die Realität. Ich gehe, ganz schnöde, zu Terminen, bei denen irgendwelche Menschen irgendwas erzählen und ich gebe das dann in 60, 80 oder 100 Zeilen wieder. Natürlich muss ich mich dabei an das halten, was die Leute erzählt haben. Ich kann dann nicht in bildhaften Beschreibungen schwelgen. Weil selbst 100 Zeilen meist ziemlich wenig sind. Und weil die Leser ja auch über das Thema informiert werden wollen. Und nicht in bildlichen Beschreibungen entführt.

Egal. An solchen Regentagen lohnt es sich auch, über all die Schönheiten nachzudenken, denen wir hier am Strand von Plomodiern begegnen: Unzähligen Muscheln, Seesterne, Felsen, Möwen, Sand, Wellen und der bereits erwähnte Himmel. Ich könnte manchmal wirklich stundenlang einfach nur dasitzen, in dieser grandiosen Wohnung mit Meerblick und einfach nach draußen schauen. Doch natürlich rufen uns irgendwann – unüberhörbar – Sonnenschein und Strand wieder nach draußen. Und natürlich ist es keine Frage, dass wir dem Ruf folgen und uns wieder hinausbegeben in dieses grandiose Schauspiel. Um den feuchten Sand wieder unter den Füßen zu spüren, die Wellen, die unsere Beine umspülen, die uns den Sand unter den Füßen wegnehmen. Was für ein herrliches Erlebnis, den Möwen beim Schwimmen auf den Wellen zuzusehen. Wenn sie kurz auffliegen, um sich im nächsten kleinen Wellental wieder niederzulassen. Ein einziges Auf und Ab.

Ein scheinbar sinnloses Spiel der Vögel – doch sie werden schon wissen, warum sie das tun. Auf Fisch- oder Muschelfang scheinen sie dabei nicht zu sein. Und dann beginnt die Sonne sich ganz langsam dem Horizont zuzuneigen, gerade so als ob jetzt die goldene Kugel von einem Sog ergriffen wird. Der Himmel verfärbt sich, die Sonne wird zu einer Riesenorange, und das Firmament über dem Meer füllt sich mit den wunderbarsten Farben, die sich die Natur als farbgebender Maler nur ausdenken konnte.

Und dieses Schauspiel, das nur für uns allein gemacht zu sein scheint, wiederholt sich fast jeden Abend. Unglaublich. Immer wieder eine wunderschöne Kreation aus dem Farbkasten der Gelb- Rot-Weiß-Schwarz-Töne kombiniert mit dem verblassenden Blau. Und jeden Abend wirken die Farben noch intensiver, noch schöner, noch berauschender als am Vorabend. Außer, wenn graue Wolken am Himmel uns mal einen farblosen Abend präsentieren.

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