3 Endlich Bretagne 2019 – Douarnenez

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„L’historie infinie“ – so kommt uns langsam unsere Erfahrung mit den Mäusen hier in der Ferienwohnung in Plomodiern in der Rue Lestrevet vor. Mäuse und kein Ende, eine unendliche Geschichte. Die erste Maus hatten wir ja tatsächlich gefangen und – soll ich wirklich dieses garstige Wort wählen – ermordet. Haben die Kumpels dieser Maus nun also daraus gelernt? Beim zweiten Versuch mit einer gleichartigen Falle, hatte ja der verbliebene Vierbeiner (wenn es sich wirklich nur noch um einen handeln sollte) den Käse von der Klappvorrichtung gefischt – ohne dass der Guillotinen-Mechanismus ausgelöst wurde. Also mussten wir uns was anderes überlegen, dachten wir. Und hatten beschlossen, gestern, Samstag, zum nächstbesten Baumarkt hier in der Gegend zu fahren. Und uns einen Vorrat an weiteren Mausefallen zu kaufen. Mittlerweile kannten wir uns ja schon soweit aus, dass die französische Mausefalle nicht souriciere oder so ähnlich heißt, wie uns das Wörterbuch weismachen wollte, sondern piège à souris. Wir meinten, wenn wir doch schon eine halbe Stunde Fahrt auf uns nehmen würden, könnten wir doch auch gleich die Stadt Douarnenez aufsuchen.

Über phasenweise sehr holperige Straßen führte unsere Strecke, auf denen gewohnheitsmäßig die entgegenkommenden Fahrzeuge „immer viel zu weit in der Mitte der Straße fahren“, wie Bine entnervt meinte. Ich sagte zu ihr, dass sie sich mit zunehmender Fahrdauer immer mehr zu einer ganz normalen Autofahrerin entwickle – die wie alle anderen Verkehrsteilnehmer auf den Straßen auch immerzu auf die anderen Autolenker schimpfe. „Weil ich ja als einzige richtig fahre“, wie sie ganz richtig sofort erkannt hatte. Trotz alledem brachte uns Bine, „ma plus belle femme“, mal wieder an den richtigen Ort. Und sie fand sogar einen Parkplatz inmitten der Stadt,

auf dem sie vor vielen Jahren schon mal mit Luka und Mike geparkt hatte. Wahnsinn. Und das alles, ohne dass sie damals je einen Kilometer gefahren wäre. Heute schaut sie sich die Ziele natürlich vorab im Internet an. Aber trotzdem. Da muss man in der Realität, also analog, erstmal hinfinden.

Stadt auf dem Hügel mit den zwei Seiten, würde ich Douarnenez im Nachhinein wohl nennen. Zunächst sind wir nämlich die eine Seite hinuntergelaufen und landeten bei einem eindrucksvollen Flusshafen, der von einer noch beeindruckenderen Stahlbrücke gekrönt wird.

Jede Menge Segeljachten und andere größere Boote lagen dort in der Flussmündung vor Anker. Sollten sie den Platz aber jemals in Richtung Meer verlassen wollen, bleibt ihnen offensichtlich kein anderer Weg als unter einer kleinen Zugbrücke hindurch – die verbindet die beiden Flussufer, jedoch nur für Fußgänger. Die Kneipen und Restaurants entlang der Hafenszenerie vermittelten einen eher verlassenen oder auf jeden Fall geschlossenen Eindruck. War ja auch Samstag, dachten wir. Eigentlich Höhepunkt der Woche, wo doch die Touristen massenweise die Lokale stürmen müssten. War aber wohl nicht so. Einzig ein Imbiss zog die wenigen Menschen an, um sich dort niederzulassen. Im Fluss selbst verstärkte ein ziemlich großes, stark verrostetes Leuchtturmschiff obendrein den heruntergekommenen Eindruck dieses Hafens.

Um uns von oben die Szenerie anzusehen, begaben wir uns hinauf auf die Stahlbrücke. Mit meiner Höhenangst und dabei sich bemerkbar machenden Schwindelgefühlen wurde das für mich eher zu einem Horrortrip. Die Augen gebannt in die Ferne richtend, traute ich mich nicht direkt an das Geländer heran. Mitfühlend sagte Bine zu mir: „Pass auf, Hundehaufen“ und zog mich von den braunen Hinterlassenschaften der Köter weg. Gerade so, als hätte ich Freude daran, mitten in die Pracht hineinzulatschen. Hatte ich nicht.

Nach diesem kurzen Intermezzo der Schwindelgefühle liefen wir die Treppe zum Hafen wieder hinunter und wussten dann nicht so recht, was wir in dieser offensichtlich etwas seltsamen Stadt weiter anstellen sollten. Wir entschlossen uns, den Fußweg zurück zum Auto durch die Wohngebiete zu nehmen. Auch dort ergab sich ein ziemlich heruntergekommenes, ernüchterndes und frustrierendes Bild: Kaum mal ein hübsches Gebäude, viele sahen verlassen aus. Genauso wie zahlreiche Läden, die leer standen, einen Käufer suchten oder zu vermieten waren. Eine Stadt wie viele, dachten wir. Eine große Anzahl der Bewohner hatte dem Ort wohl den Rücken gekehrt. Auf einer Tafel hatten wir gelesen, dass die riesige Konservenfabrik in der Stadt mal auf 4000 Fischer in hunderten von Booten angewiesen war. Die Rationalisierung und die niedergehende Fischerei hat hier wohl zugeschlagen – auch wenn es die Konservenfabrik immer noch gibt.

Auf der Anhöhe trafen wir auf eine große Kirche, die aber einen ebensolchen mehr oder weniger verwahrlosten Eindruck vermittelte, wie die Häuser und Straßen. Nachdem wir eine alles andere als verkehrsberuhigte oder gar verkehrsbefreite und dennoch schmale Einkaufsstraße mit vielen verlassenen Läden durchschritten hatten, kamen wir zu mehreren Gassen auf der anderen Seite des Hügels. „Hier war ich auch noch nie“, sagte Bine ganz erstaunt. Fast schon malerisch erschien uns das Sträßchen, durch das wir dann hinunterwandelten. Eine kleine Kirche mittendrin vermittelte einen ganz anderen Eindruck als die große Schwester in wenigen hundert Metern Entfernung – zumal sie geöffnet und zu besichtigen war. Als sehr ungewöhnlich stellte sich die Konstruktion der Kirche heraus: Auf Steinbögen ruhte ein komplett aus Holz gefertigtes Dach. Und, wie offensichtlich in vielen Kirchen hier, lief im Hintergrund Musik. Bretonische Musik?

Als wir die Gasse weiter hinunterliefen, erblickten wir plötzlich das Meer. Sehr malerisch wirkte das. Sehr schön. Und dieses schmale Sträßchen war auch im Gegensatz zu der anderen Hügelseite nicht so heruntergekommen. Zwar standen auch hier einige Läden leer, dennoch fanden sich manch hübsche kleine Geschäfte sowie eine Markt- und Messehalle. Vielleicht ist in der Hauptferienzeit dort auch viel mehr los als jetzt, Anfang September. Unser Weg führte uns weiter zum Hafen hinab.

Dort erwartete uns dann eine hübsche Uferpromenade mit einigen farbig lockenden Cafés, Bars, Restaurants. Und mit zahlreichen kleinen Booten im Hafen. Die lagen allerdings allesamt mitten im Wasser, ohne eine Verbindung zum Kai. Wie man wohl zu den einzelnen Schiffchen hinkäme, fragte ich Bine. „Wahrscheinlich mit so kleinen Ruderbooten wie dort mittendrin eines liegt“, sagte sie und zeigte auf einen Punkt zwischen all den anderen Booten.

Uns gelüstete nach einem Crepe. Wenn wir schon vor so einer netten Creperie standen. Der junge, freundliche Mann, der dort gerade die Tische abwischte, sagte jedoch, als wir uns an einen der Tische setzen wollten: „Non, je suis désolé, c’est fermé.“ Das scheint hier ein Zauberwort zu sein. „Désolé.“ Das haben die Verkäufer in den Baumärkten zu uns gesagt. Im Elektromarkt. Auf dem Markt in Plomodiern. Nahezu überall begegnet uns dieser Begriff, der uns aber irgendwie nicht vermittelt, dass es den jeweiligen Menschen tatsächlich „sehr leid tut“ oder dass sie womöglich sogar untröstlich sind. Uns kommt es immer so vor, als ob uns die Menschen auf einen Umstand hinweisen, der auf ein deutsches Wort in naher Verwandtschaft deutet. Desolat. Keine Eier mehr auf dem Markt. „Je suis désolé.“ Die Creperie macht genau in dem Moment zu, in dem ausgerechnet wir Hunger haben? „Désolé.“ Desolat. So was Blödes. Allerdings verwies uns der junge Mann in der Crêperie auf eine Bar hundert Meter entfernt. Dort sollten wir doch unser Glück probieren. Tja. Ausgerechnet die, die auch Crêpes angeboten hätte, machte ebenfalls über den Mittag zu. Seltsame Sitten dort in Douarnenez. Desolat eben.

Allerdings haben wir dann doch noch eine Bar gefunden, die uns sogar „Baguette croque“ oder so ähnlich anbot. Die sehr freundliche Bedienung brachte uns dann einen Riesenteller mit Salat, mit eher spärlicher Salatsoße, dafür aber ein halbes Baguette, aufgeschnitten und die Ober- wie auch die Unterseite mit viel Schinken sowie noch viel mehr Käse belegt und aufgebacken. Wahnsinn.

Wir mussten schwer kämpfen, um diese Riesenschnitten vertilgen zu können. Aber lecker war’s. Und die Szenerie vor unseren Augen mit all den kleinen Booten war berauschend. (Wenn wir die riesige Fischfabrik am linken Rand ignorierten.)

Beschwingt machten wir uns nach diesem schönen Erlebnis auf den Rückweg zu unserem Auto und verließen den Ort mit dem Eindruck einer zweigeteilten Stadt. Wir fuhren aber nicht direkt zurück zu unserer Ferienwohnung – wir hatten ja noch den Grund für unsere Fahrt nach Douarnenez vor uns. Den Baumarkt. Marché bricollage. Dort hatten wir relativ schnell die Mausefallen gefunden, wir entschieden uns für ein neuartiges Modell und wichen damit von der Holzversion ab. Die kannte unsere Maus ja nun schon. Und hatte sie doch bereits überlistet.

Wir wählten also eine Schweizer Falle. Sozusagen den Mercedes unter den Mausefallen. Dachten wir zumindest. Anstatt 1 Euro 58 wie das hölzerne Duo kostete das aus Schweizer Plastik denn auch 5 Euro 60. Vom Preis auf die Erfolgsquote zu schließen, hätten wir allerdings nicht tun sollen. Als wir nämlich gestern Abend eine Holz-Mausefalle und eine dieser Swiss-Inno-Solutions in dem Schrank unter der Spüle aufstellten, erhofften wir uns vielleicht sogar einen Doppelschlag. Einigermaßen zufrieden waren wir, als wir im Bett lagen und eine der Fallen zuschnappen hörten – die machen tatsächlich einen ganz netten Lärm. Am nächsten Morgen schauten wir allerdings ganz schön dumm aus der Wäsche, als die Holzmausefalle auf dem Kopf lag und aus der Plastikfalle der Käse fehlte – ohne dass der Mechanismus ausgelöst wurde. Von einer Maus weit und breit keine Spur. Von einer toten schon gar nicht. „Die französischen Mäuse sind offensichtlich zu intelligent für diese Art der Mausefallen“, schlussfolgerten wir. Hmm. Was tun? Die unendliche Geschichte mit den bretonischen Mäusen geht also weiter.

Eins muss über den gestrigen Tag noch erwähnt werden. Wir standen nämlich, als wir abends zum nächsten Strand zu einem „Konzert“ bei einem Imbiss direkt neben einem Campingplatz laufen wollten, sozusagen mitten in der Scheiße. Also wortwörtlich. Anders ausgedrückt: im Guano. Also in Möwenkacke. Vielleicht vermengt mit Tang und sonstigem Schmodder – was sich halt am Strand so ansammeln kann. Wie es dazu kam? Wir mussten, um zum benachbarten Strand zu kommen, ein kleines, wirklich sehr kleines Bächlein überqueren, das sich aus dem Inland ins Meer ergoss. Um unsere Füße nicht unnötig nass zu machen, dachten wir: einfach drüberhüpfen über dieses maximal zwei bis drei Zentimeter tiefe Gewässer. Wir suchten die schmalste Stelle, ich sprang und hatte dabei übersehen, dass auf der anderen Seite eben dieses Guano-Tang-Gemisch auf uns wartete. Beim Aufkommen in diesem Zeugs, dachte ich noch: „Das ist aber rutschig hier.“ Unvermittelt stand ich dann bis über die Knöchel mit beiden Füßen in der übel stinkenden Gülle. Bine hatte derweil Anlauf genommen, stand noch viel mehr in dem Dreck und traute sich dann nicht mehr vor noch zurück. Sie hatte aber keine Wahl. Und so watete sie durch den Schmodder, sank bei jedem Schritt immer tiefer ein. Das war richtig eklig. Als sie das Guano-Gelände durchquert hatte, waren nicht nur ihre Schuhe, sondern auch ihre Hosenbeine patschnass. Und haben elendig gestunken. „So kann ich nicht zu dem Konzert“, sagte sie. Wir gingen also zurück, Bine zog sich um und wir starteten erneut. Ich behielt meine Sandalen an, dachte, der Gestank um mich herum werde wohl vom Meer stammen.

Wir erreichten das Konzert dann noch deutlich vor der Zeit: Von Musik war nichts zu hören. Ein paar Zuhörer standen etwas orientierungslos herum, sagten zu uns, dass wir uns doch setzen sollten. Das taten wir dann auch, erkannten aber schnell, dass genau dort ein eisig zugiger Wind wehte. Und mit Bines erneut nassen Hosenbeinen sowie ohne ausreichend warm eingepackt zu sein, machten wir uns erneut auf den Rückweg. Wir könnten uns ja warm genug einpacken und dann mit dem Auto nochmals herfahren, dachten wir. Das haben wir dann auch getan. Erneut über den Strand liefen wir rund eine halbe Stunde zurück, packten uns dick ein, fuhren mit dem Auto zu dem Imbiss. Kalt war’s, lautete das vorrangige Fazit des Abends. Rund ein Dutzend Zuhörer hatte es sich auf den Stühlen und Gartenmöbeln mehr oder wenige bequem gemacht, die Band spielte französischen Rock’n’Roll, einige Sachen ganz passabel. Am Gesang hätte die Band noch feilen können, dachte ich. Witzig war die Zusammensetzung der Band. Zwei Gitarristen ungefähr in unserem fortgeschrittenen Alter, ein Jüngerer am Bass, vielleicht Anfang 20. Und an den Drums ein glatzköpfiges Männchen, das eher in eine Volkstanzgruppe gepasst hätte als in eine Rock-Band. Als die Musiker irgendwann eine Pause einlegten, zogen wir von dannen. Insgesamt doch ein netter Abend, „mais trop froid“, wie Bine „désolé“, also entschuldigend, zu der Bedienung und den Bandmitgliedern sagte, als wir uns verabschiedeten. Und wären wir nicht zu dem Konzert gelaufen, hätten wir das Intermezzo mit dem Guano nicht erlebt. Was hätte ich dann heute schreiben sollen???

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