Die Angst ist immer dabei

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Reutlinger Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke informiert sich online im Gespräch mit fünf Fachkräften über die Situation in der Pflege – mit und ohne Corona

„Die Krise hat uns zusammengeschweißt, bei uns ist die Kameradschaft gut – aber die Angst fährt immer mit“, sagte Arne Beyerlein als Krankenpfleger bei der Samariterstiftung in Dettenhausen am vergangenen Freitag. In dem ambulanten Pflegedienst werde nun zwar regelmäßig auf das Coronavirus getestet, „bis jetzt war glücklicherweise niemand positiv“, so Beyerlein. Aber: „Vor kurzem hatte ich einen Patienten, mit dem ich im direkten Kontakt war, der mich angehustet hat und drei Tage später an Corona verstorben ist.“ Beyerlein berichtete ebenso wie andere Fachkräfte aus der Pflege online im Gespräch mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke von ihren Erfahrungen bei ihrer Arbeit – mit und ohne Corona.

Gangolf Foditsch ist der Leiter eines Altenpflegeheims in St. Johann auf der Schwäbischen Alb. Er betonte, dass einige seiner Mitarbeiterinnen immer wieder wegen Corona-Verdachts ausgefallen seien, „erst mit den Schnelltests wurde die Situation besser“. Nahezu alle Bewohner (oder ihre Angehörigen) hätten eingewilligt, sich impfen zu lassen, „49 von 52 haben zugesagt“, so Foditsch. Anders sei das bei den Mitarbeitern: „Höchstens die Hälfte will sich impfen lassen.“ Dieses Problem kennt auch Jana Langer als Betriebsrätin und OP-Fachkrankenschwester im Klinikum Ulm: „Ich rede mir den Mund fusselig, dass sich alle Pfleger und Pflegerinnen impfen lassen.“ Jedoch seien Facebook und Youtube die „Info-Plattform für viele Beschäftigten in der Pflege“. Beyerleins Vorschlag: Informations-Flyer zum Virus und zum Impfen drucken, in Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Schulen, überall verteilen. „Das hat bei Aids doch auch funktioniert“, so Arne Beyerlein.

Grundsätzlich sei die Situation in der Pflege – egal, ob in Kliniken oder Heimen oder bei ambulanten Pflegediensten – katastrophal: „Das gesamte Gesundheitssystem stimmt nicht, weil alle Einrichtungen nicht auf den Bedarf der zu Pflegenden ausgerichtet sind, sondern auf Profit“, betonte Langer. Dem stimmte Beyerlein unumwunden zu: „Der Personalmangel war schon vor 20 Jahren Thema.“ Seitdem habe sich zu wenig geändert. „Früher gab es Springer, die bei Urlaub und Krankheit von Fachkräften eingesprungen sind“, so Elke Fritz als Pflegefachkraft. Heute sei alles auf Kante genäht, wie auch Gangolf Foditsch ausführte: „Ich habe ein Mitarbeiterkontingent, das nie ausgereicht hat.“ Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren leicht verbessert, nun sei er mit seinem Personal an der Grenze zur Kostendeckung. Aber: „Die Hocheffizienz in den Heimen ist nicht im Sinne der Bewohner.“ Foditsch habe „gerade so viele Mitarbeiter, um den Betrieb aufrechterhalten zu können – und dann kam Corona“.

Simone Büttner, die als Krankenschwester in einer Reha-Klinik in Bad Urach arbeitet, sagte: „Wir haben Covid-Patienten, die den mühevollsten Weg zurück ins Leben suchen.“ Die Arbeit dort sei auch aufgrund der Schutzkleidung und Masken körperlich und psychisch extrem anstrengend: „Bei uns gibt es viel Unmut, weil wir Covid-Patienten vom Akutkrankenhaus übernommen haben, aber nicht den versprochenen Bonus kriegen sollen“, so Büttner. „Es darf nicht bei einem Bonus bleiben, sondern die Pflege muss tariflich besser bezahlt werden“, forderte Beate Müller-Gemmeke. Das sei allerdings „nicht von heute auf morgen hinzukriegen, es muss ja auch gegenfinanziert werden“, so die Bundestagsabgeordnete. „Das hat die Politik ja die vergangenen Jahrzehnte schon nicht hingekriegt, wir haben einige Mitarbeiter, die aus der Pflege ausgestiegen sind, weil sie nicht menschenwürdig pflegen konnten“, so Büttner. Kein Wunder, dass laut Jana Langer die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeberuf bei gerade mal sieben Jahren liege?

Und: „Die Teilzeitquote in dem Beruf ist aufgrund der Belastungen extrem hoch – und das war auch schon vor der Pandemie so“, so Langer. „Corona war nur der Brandbeschleuniger.“ Wie lange die Pflegerinnen und Pfleger die momentane Überbelastung noch aushalten können, wollte die Grünen-Politikerin wissen. Während der anhaltenden Krise würden die Fachkräfte weiter alles geben, waren sich die Gesprächsteilnehmer einig. „Aber wenn das vorbei ist, sind alle so ausgelaugt, dass viele das Handtuch werfen werden“, prophezeite Langer. Zu all den bekannten täglichen Belastungen kämen weitere hinzu: „Wenn in einer Einrichtung von 26 Bewohnern zehn in kurzer Zeit gestorben sind, ist das für die Mitarbeiter auch sehr belastend“, so Foditsch.

Einen anderen Aspekt warf Arne Beyerlein auf: „Ich komme mir manchmal schon wie ein Todesengel vor, wenn ich täglich 30 Patienten besuchen muss – und Pflegende sogar arbeiten sollen, selbst wenn sie positiv getestet wurden.“ Nicht zu vergessen die Angst der Pflegenden, womöglich ihre Angehörigen (die eventuell auch zu Risikogruppen zählen) zu infizieren – schließlich hätten die Pflegekräfte ja auch Familie. „Und wenn es dann in Kliniken auch noch zur Triage kommen sollte, muss das extrem traumatisch für das Personal sein“, so Müller-Gemmeke. Elke Fritz hatte in unterschiedlichen Pflegebereichen gearbeitet, aus Gesundheitsgründen lässt sie sich umschulen. „Früher gab es Leute, die bei Urlaub oder Krankheit eingesprungen sind“, sagte sie. „Wenn ich heute ausfalle, ist kein Ersatz da – als Kollegin fühlt man sich aber moralisch verpflichtet, einzuspringen.“ Und dann auch noch die ständige Angst „andere anzustecken“, so Fritz. „Das ist ein sehr risikoreicher Job“, so ihr Resümee.

INFO:

Arbeitszeiten im OP

 „Man muss zwingend was an der Bezahlung und auch an den Arbeitsbedingungen ändern“, forderte Jana Langer am Freitag beim Gespräch. „Während Lkw-Fahrer spätestens nach 4,5 Stunden Pause machen müssen, operieren Ärzte und die Fachkräfte im OP bis zu 24 Stunden am Stück“, sagte die OP-Schwester. Dass in solchen Tagesschichten nicht alles rundläuft, weiß auch Arne Beyerlein, der ebenfalls schon im OP gearbeitet hat. „Da sind oft Fehler wegen der Müdigkeit passiert.“ Hinzu komme laut Langer, „dass ich auch noch haftbar bin, wenn was passiert“. Obendrein sei sie „es leid, ständig erklären zu müssen, was wir als Pflegekräfte überhaupt tun“, so Jana Langer.

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