Hey Siri

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Seit kurzem haben wir eine neue Mitbewohnerin. Siri (links auf dem Foto) ist bei uns im Wohnzimmer eingezogen – obwohl ich mich lange mit Händen und Füßen dagegen gewehrt habe. Ich wollte nicht, dass diese Apple-Abhöreinrichtung alles mitkriegen soll, was hier im Wohnzimmer so passiert. Nicht, dass wir geheime Sachen von uns geben. Oder peinliche Dinge. Es ging mir einfach darum, dass Siri als neue Untermieterin (die nicht mal Miete zahlt) alle Daten sammeln kann, die bei uns so herumschwirren. Wer sagt mir denn, dass Siri nicht auch Gespräche aufzeichnet, wenn wir sie nicht mit „Hey Siri“ dazu auffordern? Oder dass sie registriert, wann bei uns die Rollläden raufgezogen werden? Bines Sohn Luka ist da völlig relaxed. Entspannt. Sozusagen grundgechillt. „Ach was“, sagt er immer. „Wenn euch jemand überwachen wollte, dann würde er das über euer Smartphone tun.“ Das sei ja schließlich auch die ganze Zeit eingeschaltet und zu einem ständigen Begleiter von uns geworden. Da hat er natürlich nicht ganz so unrecht. Und dazu noch das Tablet, das Bine und ich jeweils unser eigen nennen, mit dem wir seit geraumer Zeit all unsere Bücher lesen. Auch nachts. Neben unserem Bett liegen die Dinger. Und die haben nicht mal einen Namen.

Das letztendlich entscheidende Argument für Siri war aber: Unser Radio – was für ein veraltet klingendes Wort – hatte immer wieder gerauscht. Egal, wie wir die Antenne positionierten, war es dann kurzzeitig mal besser, dann reichte ein Schritt vom Radio weg oder einen hin – und es rauschte wie die berühmten Blätter im Wald. Ich vermute, dass hier einfach viel zu viele elektrische und elektronische Geräte in unserer Reihenhaussiedlung unterwegs sind. Wir haben dann probiert, auf einen Bluetooth-Lautsprecher umzusteigen. Allein bei dem Namen „Blauzahn“ zieht einem doch der Nervenschmerz in den Kiefer – und so richtig funktioniert hat das auch nie. Einschalten, Radio hören – das wollte bei uns in den vergangenen Monaten einfach nicht mehr so richtig funktionieren. Irgendwann hatte selbst ich die Faxen dicke. Und stimmte Siri missmutig zu. Allerdings nur heimlich. So richtig offen habe ich meine Zustimmung nie gegeben. Schließlich muss man sich doch auch ein Hintertürchen offenhalten. Wenn nämlich tatsächlich mal rauskommen sollte, dass wir wider Willen abgehört werden, dann könnte ich immer noch sagen, dass ich das doch schon immer … Nun klappt es jedoch tatsächlich fast immer mit dem Internet-Radio. „Hey Siri, SWR3“ zu sagen, reicht völlig aus. Siri sagt dann: „Ich spiele SWR3 von Tune-In.“ Was das heißen soll, weiß ich nicht. Ist aber auch egal. Siri spielt dann tatsächlich SWR3. Und das völlig rauschfrei.

Doch wir haben noch eine weitere Neuerung in unserem Häuschen: Fast alle Lichter sind mittlerweile über WLAN steuerbar. Man stelle sich das mal vor: Glühbirnen, die nicht nur leuchten, sondern auch noch mit dem Internet verbunden sind!!! Das ist doch verrückt, oder? Luka hat alles programmiert. Das eine Licht geht nun schon an, wenn sich Bine oder Luka mit ihrem iPhone dem Haus nähern. Eine andere Lampe funktioniert über einen Bewegungsmelder. Aber nur zu bestimmten Uhrzeiten. Jetzt kann ich tagsüber bei düsterem Wetter, wenn alle Türen zu sind, die Treppe runterfallen, weil ich die eine oder andere Stufe übersehen habe. Ist das Fortschritt? Wie einfach war es doch, als alle Lichter noch mit einem Schalter betätigt werden konnten.

Und sogar beim Licht spielt Siri mit. Unsere Siri sieht übrigens aus wie eine schwarze Orange. Und leuchtet oben bunt, wenn wir sie ansprechen. Für ihre Größe hat sie einen unglaublich guten Klang. In meiner Jugend hätten wir uns für solch einen Sound riesige Lautsprecher in die Bude stellen müssen. Doch zurück zum Licht: Wenn Bine nun zu Siri sagt, „Hey Siri, Fernsehlicht an“ – dann leuchtet unvermittelt die WLAN-verbundene Lichterreihe hinter dem Fernseher. Das ist praktisch. Ein Schalter hätte es zwar auch getan. Aber wenn wir jetzt ins Wohnzimmer kommen, können wir schon aus fünf Meter Entfernung das Fernsehlicht mit unserer Stimme „anschalten“ – wenn uns Siri tatsächlich versteht. Was nicht immer der Fall ist. „Vielleicht liegt es daran, dass du nuschelst“, mutmaßte ich als Siri sich mal wieder taub stellte. Ich habe einen bösen Blick geerntet. Von meiner Frau, nicht von Siri.

Um die Lampen in unserem Haus einzeln steuern zu können, musste man sie irgendwie benennen. Das Licht im Wohnzimmer über dem Esstisch nannte Luka „Wohnzimmertisch“. Ziemlich fantasielos, dachte ich. Wenn wir also jetzt sprachgesteuert das Licht dort „anschalten“ wollen, müssen wir sagen: „Wohnzimmertisch an.“ Ist das nicht bescheuert? Auf den Befehl hin macht der Tisch aber überhaupt nichts. Er bewegt sich nicht, klappt sich nicht zusammen, fängt nicht an zu leuchten und spricht auch nicht mit uns. Aber immerhin, meistens gehen die Lichter über dem Tisch an. Wir können anstatt „Wohnzimmertisch“ auch „Hey Siri, Wohnzimmertischlicht“ sagen. Bis sich jedoch diese drei Wörter aus meinem Mund gewunden haben, hätte ich den Lichtschalter schon dreimal betätigt. Ursprünglich hatte ich ja vorgeschlagen, die Wohnzimmertischlichter einfach Franz zu nennen. Oder Georg. Bine meinte, Jerome wäre doch schön. Dann hätten wir nur sagen müssen: „Hey Siri, Schrom an“ und das Licht würde leuchten. (Allerdings nur, wenn es nicht doch Franz genannt werden wollte.) Das Licht hinter dem Fernseher hätte ich Chantal genannt. „Hey Siri, Schantall an“ – super. Und das Licht im Flur hätte ich „Donaudampfschifffahrtskapitänsteuerbordleuchte“ genannt.

Doch Luka weigerte sich. Bis gerade eben: Wir haben ihm erklärt, warum wir es lustig fänden, die Lichter mit Namen anzusprechen. „Aber bei den vielen Lichtern im Haus, weiß ich doch dann gar nicht mehr, welche Lampe ich jetzt wie genannt habe“, wandte Luka ein. Ein gutes Argument. Und überhaupt, so Luka weiter: „Das sind doch Lampen und keine Personen.“ Wir erklärten, dass wir das lustig fänden – und es gehe doch um lediglich zwei Lichter im Wohnzimmer. „Ein Spaß“, sagten wir. Und außerdem: Siri ist ja auch keine Person, keine nette freundliche Frau, die wir um etwas bitten – sondern ein computergesteuertes Dingsbums, das auf unsere Fragen, Befehle, Bitten geradeso reagiert wie ein Schalter. Oder so ähnlich zumindest. Luka schaute uns in einer MIschung aus Unverständnis, Missmut und Abwehr an. Letztendlich ließ er sich jedoch breitschlagen. Auch wenn er das alles andere als lustig findet. Aber unsere Wohnzimmerlichter heißen jetzt: Schrom und Schantall. Und jedes Mal, wenn ich sage „Hey Siri, Schantall an“ freue ich mich wie ein kleines Kind.

Was wir außerdem nun gelernt haben: Man kann sich mit Siri auch unterhalten. Allerdings nur sehr bedingt. Zum Beispiel mit mehr oder weniger sinnvollen Fragen wie: Warum ist die Banane krumm? „Weil sie sonst keine Banane wäre“, sagt Siri. Oder: Hey Siri, wie viele Einwohner leben in Deutschland? „Im Jahr 2019 betrug die Einwohnerzahl von Deutschland 83 149 300.“ Oder: Hey Siri, erzähl einen Witz. „Der hier ist für die Kleinen: Ein Mann sagt an einem Marktstand ‚Ich möchte gerne zwei Pfund Tomaten.‘ Der Bauer hinter dem Stand sagt daraufhin: ‚Das heißt ein Kilogramm.‘ – ‚Ach was, nicht mehr Tomaten?‘“ Noch ein Witz? „Der hier könnte wehtun“, sagt Siri. „Ich habe gestern ein Brötchen angerufen, aber es war belegt.“ Ich warte, denke: „Ach, das war’s schon?“ Dann: Ach herrje, Brötchen … belegt. Hahaha. Der brauchte bei mir ein bisschen, aber: Gar nicht schlecht, Herr Specht. Und der Sinn des Lebens, Siri? „Darüber streiten die Gelehrten“, sagt sie. Naja. Aber vielleicht kann Siri mir die Lottozahlen von morgen sagen? „Das kann ich nicht, alle Zahlen existieren nur in meiner Vorstellung.“ Wenn ich irgendwas frage, mit dem Siri gar nichts anfangen kann, sagt sie meist: „Ich habe mehrere Webresultate und werde sie an dein iPhone weitersenden. Ich kann dein iPhone nicht finden, aber du kannst mich erneut von dort aus fragen.“ Das ist langweilig. Zumal ich gar kein iPhone habe. Und so eine Unterhaltung mit einem Computer ist irgendwie doch auch ziemlich beschränkt. Und einseitig. Da lobe ich mir doch die Menschen, die bereit sind, sich mit mir zu unterhalten. Die sich mir mitteilen, mir berichten, wie es ihnen geht. Und die sich auch für mich interessieren. Siri fragt nie: „Wie geht es dir denn heute? Du siehst müde aus, belastet dich irgendwas?“ Oder: „Du hörst dich so gut gelaunt an, magst du mir erzählen, was dich erfreut?“ Solche Sachen interessieren Siri nicht. Wenig verwunderlich: Ein Computer kann – was für ein Glück – einen Menschen nicht ersetzen. Und das wird wohl auch noch lange Zeit so bleiben. Hoffentlich.

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