Endlich Amrum – 3 Volle Entspannung

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3 Wir haben doch Urlaub

In der Ferienwohnung ist es angenehm, auch wenn uns hin und wieder regelrechte Schwitzattacken heimsuchen. Diese Temperaturen, vor allem aber der anhaltende Sonnenschein und die subtropische Atmosphäre mit der hohen Luftfeuchtigkeit ist ziemlich ungewöhnlich für Amrum. Wir Drei haben das so noch nicht erlebt – in den vergangenen beiden Jahren sind wir bei unseren Aufenthalten hier fast jeden Tag mit Regenjacke, langer Hose und langem Hemd an den Strand. Eigentlich ist es doch schön, das Wetter dieses Jahr mal so ganz anders zu erleben. Ende Mai, Anfang Juni solch „Tropenhitze“ (wie das Radio gerade titelt). Nur: Sich im prallen Sonnenschein aus stahlblauem Himmel auf der Insel im Freien zu bewegen, bei fast keinem Wind – das ist nicht unbedingt eine Freude. Es soll ja Menschen geben, denen so was gefällt. Wir sitzen stattdessen an diesem „Morgen“, um 12 Uhr 40, immer noch in der Wohnung. Luka spielt auf seinem Laptop einen Landwirtschaftssimulator. Das tut er schon seit Jahren mit Begeisterung. Fährt mit Traktoren durch virtuelle Landschaften, sät, erntet, kauft Maschinen, baut Häuser. Die richtige Vorbereitung auf sein späteres Leben? Stattdessen unterhalten wir uns jetzt gerade über die unglaublich spannende Fragestellung: Gibt es einen grammatikalisch richtigen Satz, der da heißt – „Das Spiel ist pausiert“? Nur, weil sein Spiel es gerade behauptet? Für mein Sprachgefühl (und ganz nebenbei auch für den Duden) gibt es das Verb „pausieren“ schon, aber „ist pausiert“ eben nicht. Luka bleibt dennoch felsenfest bei der Behauptung, dass es diese Wortkombination gibt. Geben muss. Schließlich steht das ja in seinem Spiel. Und Sabine fällt mir auch noch in den Rücken, mit der Bemerkung, dass die Antibabypille doch auch „pausiert wird“. Aber sie „ist“ halt nicht „pausiert“, sage ich. Habe aber keine Chance mit meiner Argumentation. Und die deutsche Grammatik ist ja eh nicht unbedingt eine, die voller Logik stecken würde. Angesichts von den hunderttausend Ausnahmen jeglicher Regeln. Vielleicht ist die Grammatik ja auch gerade pausiert? Wer weiß das schon so genau.

So kann man sich auch seine Zeit vertreiben. „Wir haben doch Urlaub“ ist passend dazu gerade Lukas Lieblingsbemerkung. Zum Beispiel, wenn er mal wieder der Letzte ist, der aus dem Haus kommt. „Ich bin fertig“, sagt er immer als Erster. „Zähne geputzt?“ „Mach ich gleich“, entgegnet er. Dabei wollten wir doch jetzt los. Eingecremt? Schuhe an? Brille geputzt? Nur keine Hektik. „Wir haben doch Urlaub“, sagt er. Nicht ganz zu Unrecht. Ich versuche mich in Nachsicht zu üben. Was aber gar nicht so einfach ist. Ich setze mich also nach der jeweiligen Bemerkung, dass wir nun gehen, wieder hin, greife erneut zur Zeitung, warte. „Komm, wir gehen“, sagt Luka. „Nichts vergessen“, frage ich. „Nein, komm jetzt“, sagt er. Draußen bei den Fahrrädern fällt ihm dann ein, dass seine Brille dreckig ist. „Willst du noch mal rauf, ein Brillenputztuch holen“, sagt Sabine. Ich verdrehe die Augen, setz mich aufs Fahrrad und fahr schon mal los. Ganz langsam. Irgendwann kommen beide nach.

Unterwegs zum Leuchtturm überholt uns gestern ein Paar. Ein offensichtlich älteres Paar. Er sieht aus wie mindestens 80. Tritt aber in die Pedale wie ein Junger. Und seine Frau tapfer hinterher. Als sie an uns vorbeiziehen, beschwert sich Luka. Dass wir zu langsam sind. Dass er wegen uns sogar anhalten musste. Und dann noch die alten Herrschaften, die uns abhängen. Geht ja gar nicht. „Wir haben doch Urlaub“, sagt Sabine.

Ich habe es an diesem Mittag vorgezogen, nicht auf den Leuchtturm zu steigen. Weil schwindelnde Höhen mir genau dieses Gefühl des Schwindels allzu intensiv erleben lassen. Ich drücke mich dann an die innere Wand der Türme, nur einen halben Schritt näher an das Geländer verursacht mir ein überbordendes Schwindelgefühl, bis hin zur Übelkeit. Das erinnert mich an den Stuttgarter Fernsehturm, da war ich vor vielen Jahren mal oben. Das war noch mit meiner verstorbenen Frau Ellen, sie wollte mir das Erlebnis zum Geburtstag schenken. Ich hätte gerne drauf verzichtet. Oben angekommen, wollte ich nichts als ganz schnell wieder runter. Ähnlich erging es mir auch auf dem Amrumer Leuchtturm, als ich mit Bine und Luka vor zwei Jahren oben war. Ich konnte und kann die Aussicht von solchen Türmen einfach nicht genießen. Also habe ich gestern beschlossen, den Leuchtturm Leuchtturm sein zu lassen, ihn lieber von außen aus der Entfernung zu fotografieren. Und den Beiden allein das Erlebnis zu gönnen. Das tat ich dann auch und ich begab mich zum … ich weiß nicht, wievielten Mal in den zurückliegenden Jahren … auf Turm-Motivsuche. Gestern stieß ich dabei auf eine Möwenkolonie direkt am Wegesrand, auf superweißen Sand und eine FKK-Campinganlage mitten in den Dünen. Quasi unterhalb des Leuchtturms. Und eine Schulklasse, die sich vor mir zum Strand kämpfte. Jeder Schritt wurde in dem tiefen, weißen Sand zur Qual, weil jede und jeder darin versank und ein Vorankommen nahezu unmöglich erschien. Trotzdem: Ein tolles Erlebnis. In dieser einmaligen Landschaft.

Zurück sind wir dann mit dem Rad über Nebel, diese hübsche Ortschaft inmitten der Insel, zurück nach Norddorf gefahren. Ein wirklich faszinierender Pluspunkt an Amrum ist ja: Man braucht kein Auto. Alles ist mit dem Fahrrad erreichbar. Selbst die Strecke zwischen Norddorf und Wittdün – mit rund 8 Kilometern Entfernung sind das die am weitest entfernten Gemeinden – kann per Rad innerhalb von weniger als einer Stunde zurückgelegt werden. Und obwohl die Insel damit ziemlich klein erscheinen mag: Die etwa 1,3 Millionen Übernachtungen, die 2016 gezählt wurden (bei 2300 Einwohnern), verteilen sich in den Gemeinden und selbst am Strand auf wundersame Weise. Warum? Weil der Kniepsand, also der Amrum-Strand, so ewig lang und breit ist. Bei diesem Naturphänomen, der größten Sandkiste Nordeuropas, handelt es sich quasi um eine Wanderdüne, die im Lauf der Zeit zu einem Teil von Amrum wurde. Aber eben doch nicht ganz: Noch bis etwa 1965 war der „Hochsand“ durch einen Priel, also einen natürlichen Wasserlauf, von der Insel getrennt. Obwohl Strand und Land heute längst als Einheit erscheinen, wird der Kniepsand geologisch auch weiter dem Meer zugerechnet. Und selbst verwaltungstechnisch gehört er zu keiner der drei Gemeinden Norddorf, Nebel oder Wittdün. Sondern zum Meer.

Gestern Abend sind wir dann – welch gute Entscheidung – nach der Hitze des Tages innerhalb von knapp zwei Stunden um die Nordspitze der Insel herum gelaufen. Die ganz großen Vorteile dabei: Die Temperaturen waren sehr angenehm und der Weg bis zur Spitze an der Wattseite, mit stetigem Blick auf die Nachbarinsel Föhr im Westen, war menschenleer. Das Meer hatte sich zurückgezogen, die Löcher der Wattwürmer traten somit ebenso zutage wie die Spaghetti-ähnlich aussehenden Überreste ihrer Verdauungsvorgänge, die sie beim Durchwühlen des Bodens an die Oberfläche senden. Viele Möglichkeiten ergaben sich da zum Fotografieren, entweder von den faszinierenden Mustern, die sich im Wattboden abbilden. Oder auch die Muscheln, Tang, Krebse … An der Nordspitze selbst ist eine Vogelkolonie, die unter strengem Schutz steht. Betreten verboten, ist auf zahlreichen Schildern zu lesen. Jedes Jahr wieder scheint das Vogelparadies dort kleiner, der Sand am nördlichsten Insel-Punkt aber höher zu werden. Die Aussichtsplattform, die dort steht versinkt mittlerweile schon wieder. Im vergangenen Jahr musste man noch einige Stufen hinaufsteigen, dieses Jahr ist die Plattform fast ebenerdig zu erreichen.

Der Weg zurück auf der anderen Seite der Insel gibt den Blick frei auf Sylt, im Nordwesten von Amrum. Der Leuchtturm von Hörnum grüßt, Deutschlands vermeintliche beliebteste Insel (nach Mallorca) scheint nur wenige Meter entfernt. Doch wer will schon nach Sylt, wo Amrum doch viel schöner ist. Klar: Wer Remmidemmi sucht, ist falsch auf Amrum. Hierher kommen vor allem Familien und ältere Menschen. Gerade weil die Insel sich kaum verändert, weil alles so wohlbekannt ist. Weil hier kein Nachtleben lockt, kein Jetset (und wenn, nur solcher, der sich bedeckt hält, der nicht protzt). Und doch: Die Preise hier für ein Häuschen sind auch ganz nett. Ein Gebäude mit 170 Quadratmetern Wohnfläche in Norddorf für schlappe 825 000 Euro. Oder in Nebel eine „Frühstückspension“ für gerade mal 1,65 Millionen. Tolles Haus. 15 Zimmer, 10 Badezimmer. Toller Preis. Wer kann, der kann. Auch auf Amrum.

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