Es ist so eine Sache mit den Unterschieden. Die einen sagen, die kleinen oder großen persönlichen Verschiedenheiten machen erst die Würze einer Beziehung aus. Andere wiederum sind der Auffassung, dass die größtmögliche Harmonie die Grundvoraussetzung für eine partnerschaftliche, gelungene Beziehung ist. Bei Sabine und mir ist ganz sicher zweiteres der Fall. Wir sind uns in den meisten Angelegenheiten einig. Und wenn nicht, dann macht das auch nichts. Weil wir unsere eigenen Interessen nicht ganz so wichtig nehmen. Öfter mal fünfe gerade sein lassen. Keinen Streit anfangen wegen Nichtigkeiten. Bei uns klappt das meist hervorragend.
Nur wenn wir gemeinsam kochen – da treffen dann Welten aufeinander. Weil wir erst im fortgeschrittenen Alter von Mitte 50 aufeinandertrafen, hat sich bei uns beiden natürlich „schon“ eine gewisse Routine in der Küche eingeschlichen. Wie etwa bei der Auswahl der Töpfe. Meine Topfwahl erscheint Sabine meist zu klein. Warum? „Was leer bleibt, schreit nicht“, sagt sie. Oder auf schwäbisch: „Was leer stoht, schreit et.“ Und das soll heißen? Na, so ungefähr, dass bei kleineren Töpfen die Gefahr besteht, dass was überkocht. Und das könnte dann vielleicht weh tun. Oder eben schreien. Was bei größeren Töpfen nicht der Fall sei. Oder so ähnlich. Wenn ich also beim Nudelkochen einen eher kleineren Topf wähle, so bin ich aber der festen Überzeugung: Das passt doch rein. Da kocht auch nichts über. Ein anderes Beispiel für nicht unbedingt hundertprozentige Küchenharmonie? Die Dicke von Karottenscheiben beim Schneiden. Da haben wir beide ziemlich genaue Vorstellungen. Nur eben entgegengesetzte. Ich favorisiere die dünneren Varianten. Bine die anderen. Ähnlich die Differenzen auch beim Hackfleisch anbraten: Sie sagt, dass die Zwiebeln auf keinen Fall vor dem Fleisch angebraten werden dürfen. Ich bin da komplett konträrer Ansicht. Weil doch in den meisten Rezepten steht und sich auch in meiner jahrelangen Praxis bewährt hat: Zunächst die Zwiebeln glasig anbraten, dann alles andere hinzugeben. Sabine ignoriert das und meint: Die Zwiebeln werden doch dann braun oder verbrennen gar. Meine Zwiebeln sind noch nie verbrannt. Oder so gut wie nie.
Vor kurzem war es dann mal wieder so weit, ich habe gekocht, Sabine hat nach ganz viel Gartenarbeit geduscht. Als die Spaghetti Bolognese fertig waren, betonte sie, wie gut doch die Sauce schmeckt. Ich sagte ganz nebenbei, dass ich zuerst die Zwiebel angebraten habe. „Stimmt, ich dachte gleich, das schmeckt anders“, entgegnete sie, dreht sich zu mir, lacht mich an und gibt mir einen dicken Kuss. Ein anderes Beispiel? Ebenfalls Spaghetti Bolognese. Fast schon philosophisch wird bei uns hier in der Familie die Frage behandelt, ob man Spaghetti bricht, bevor sie in den Topf wandern. Oder eben lang lässt. „Man kann Spaghetti doch nicht brechen“, sagt der 19jährige Luka. Warum nicht? „Dann kann man sie doch nicht mehr auf die Gabel drehen.“ Bine sieht das genauso. Ich bin ein eiserner Verfechter des anderen Standpunktes, nämlich der gebrochenen Nudel. Schließlich werden dann alle gleichzeitig weich im Wasser. Und beim Essen ist es nicht so problematisch, die elend langen Spaghetti in den Mund zu befördern. Wie bereits erwähnt: Bei uns ist das fast schon eine philosophische Frage. Gestern habe ich die Nudeln gekocht. Natürlich wanderten sie gebrochen in den Topf. Als alles fertig war, wir gegessen hatten, wartete ich, bis sich die Beiden nach dem gelungenen Mahl wohlig zurücklehnten. Dann fragte ich genüsslich: „Und – habt Ihr was gemerkt?“ Beide sahen mich fragend an. „Also habt Ihr gar nicht registriert, dass die Nudeln nur halb so lang waren als sonst?“ Verblüfft zogen beide ihre Augenbrauen nach oben, zunächst fehlten ihnen die Worte. Dann sagte Bine: „Du bist heimtückisch und gemein.“ Oh ja, antwortete ich und grinste. Manchmal kann ich so sein. Und das auch noch mit ganz viel Vorfreude.