Rund 200 Personen bei der Mahnwache auf dem Reutlinger Weibermarkt fordern Aufnahme von Menschen aus dem Lager Moria auf Lesbos
REUTLINGEN. „Wir sind wütend, denn es ist unerträglich was sich in Moria abspielt“, betonte Lisann Breitschmid von der Reutlinger Seebrücke gestern Abend. Asylpfarrerin Ines Fischer und der AK Flüchtlinge hatten neben der Seebrücke mit einer Mahnwache auf dem Reutlinger Weibermarkt darauf hingewiesen, dass die Situation im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos schon vor dem Brand unbeschreiblich wie in einem Gefängnis war. „So würden bei uns keine Tie-re gehalten“, sagte der Reutlinger Martin Binder, der dieses Jahr elf Wochen selbst in Moria war.
„Die Katastrophe war vorhersehbar“, betonte der Arzt. Ein Team der „Medical Volunteers“ sei laut Binder jetzt vor Ort auf Lesbos, „doch die Ärzte werden systematisch ausgebremst“. Viel Beifall von den (nach Polizeiangaben) rund 200 Personen bekam der Mediziner für seine Aussage: „Das Fazit kann nur sein, die Menschen sofort von Lesbos nach Europa zu holen – sofort.“ Ähnlich äußerte sich auch Markus Groda von der Reutlinger Seebrücke: „Der Brand war eine Katastrophe mit Ansage, jetzt endlich müssen alle Lager evakuiert und geschlossen werden.“ Es herrsche nun „große Verzweiflung, die Flüchtlinge haben nichts zu essen und zu trinken“, sagte Belinda Kalender, die immer wieder Hilfstransporte nach Grie-chenland organisiert. Ines Fischer schließlich fragte: „Warum muss erst ein Lager brennen, bis die Bereitschaft von der Politik da ist, um Flüchtlinge aufzunehmen.“ Alle Bemühungen der Bundesländer würden von einem einzigen Mann boykottiert – von In-nenminister Horst Seehofer, betonte die Asylpfarrerin. Das könne und dürfe so nicht weitergehen. Und Fischer machte eine simple Rechnung auf: Wenn Deutschland 7000 Menschen aus Moria nehmen und auf die Bundesländer verteilen würde, dann kämen 840 Flüchtlinge nach Baden-Württemberg. Für Reutlingen wären es dann maximal 20 bis 30 Menschen. Für diese Menschen eine Bleibe zu finden, sei kein Problem, so Fischer. „Ich erhalte seit dem Brand in Moria immer wieder Anrufe von Menschen, die sagen – da muss man doch was tun, wie kann ich jemanden aufnehmen.“
„Es gibt Wege, die wir gehen könnten“, forderte Ines Fischer nach einer Schweigeminute auf dem Reutlinger Weibermarkt. Nun müsse Druck auf die Politik, auf die Landtagsabgeordneten, die Gemeinderats- und Kreistagsmitglieder gemacht werden, forderte die Asylpfarrerin. Als pure Augenwischerei oder auch als Feigenblatt bezeichneten Martin Binder und Markus Groda die Ansage des deutschen Innenministeriums, 150 Minderjährige aus Moria aufzunehmen. 150 von fast 13 000 Menschen, so Groda. Es müsse Schluss sein mit diesen Lagern, forderte Binder. Die Flüchtlinge würden als „Spielball der Politik“ benutzt – „die Griechen wollen die Lagerhaltung beibehalten, um die Abschreckung zu erhalten, damit nicht weitere Flüchtlinge kommen“, sagte der Reutlinger Arzt.