Mit Hoffnung, Mut und Lebenswille

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Wael Alsade kam vor 4,5 Jahren nach Deutschland, arbeitet seit fast drei Jahren in Mittelstadt und hat mit seinem Onkel in Pliezhausen eine Polsterei eröffnet

Wael Alsade ist über den Libanon, die Türkei, „mit einem Gummiboot auf eine griechische Insel, dann Albanien, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich und schließlich nach Deutschland gekommen. Vor 4,5 Jahren war das. „Ich war etwa einen Monat auf der Flucht“, sagt der heute 26jährige Syrer in fast perfektem Deutsch. „Ich habe die Sprache auf Youtube gelernt“, sagt er. Als er anfangs in Hayingen gelandet war, durfte er nicht arbeiten, keinen Integrationskurs besuchen. Er war quasi zum Nichtstun verdammt. Und dann starb einer seiner elf Geschwister, im Gefängnis in Syrien. „Fünf Tage später ist meine Mutter gestorben“, sagt Alsade. In dieser Zeit sei es ihm alles andere als gut gegangen. Und die Situation in der Flüchtlingsunterkunft, zusammen mit Menschen in einem Zimmer, die man nicht kannte, die man vielleicht auch nicht unbedingt verstand oder sympathisch fand. „Damals ging es mir ganz schlecht.“

Als Wael Alsade nach etwa 1,5 Jahren aber nach Pliezhausen kam, wendete sich das Blatt. Er fand Anschluss, besuchte einen Deutschkurs, lernte Rose und Maximilian Marstaller-Bess kennen und konnte bei dem Paar einziehen. „Ich habe gesehen, dass das Leben weiter geht“, sagt der 26-Jährige. Seit fast drei Jahren arbeitet er in Mittelstadt bei der Firma Vangerow, „ich repariere dort alte Radios, Fernseher, Thermomix und vieles mehr“. Woher er sich damit auskennt? „Einer meiner Brüder hat früher eine Ausbildung zum Automechatroniker gemacht – da habe ich viel zugeguckt und gelernt“, sagt Alsade. Doch der junge Mann ist nicht nur handwerklich und technisch begabt, „ich habe Buchhalter gelernt – das ist heute meine Leidenschaft“.

Weil die syrische Buchhaltung aber anders ist als die deutsche, kann er hier nicht in dem Bereich tätig sein. Dennoch arbeitet er jeden Tag, bis auf Sonntage, zehn bis zwölf Stunden, wie er selbst ausführt. Denn neben dem Job in Mittelstadt – „ich komme gut mit den anderen Beschäftigten aus, wir haben viel Spaß bei der Arbeit“ – hat Alsade auch zusammen mit seinem Onkel einen Laden aufgemacht. Wie es dazu kam? „Rose und Maximilian hatten für die Reparatur ihres Sofas einen Kostenvoranschlag eingeholt“, erinnert sich Wael Alsade. Das war vor ungefähr 2,5 Jahren. 3500 Euro hätte das kosten sollen. „Ich war entsetzt und habe gesagt, dass mein Onkel, der mit mir geflüchtet ist, gelernter Polsterer ist und das wirklich gut kann“, sagt Alsade und schmunzelt in der Erinnerung an Rose Marstaller-Bess Reaktion: „Sie war sehr skeptisch“, sagt Alsade und lacht. Doch schließlich fiel der Entschluss, das Sofa wurde instandgesetzt, das Ergebnis war frappierend.

„Etwa zur gleichen Zeit sagte ausgerechnet der Polsterer, bei dem Rose den Kostenvoranschlag eingeholt hatte, dass er aufhören und nach Kanada gehen will“, berichtet Alsade. Über Marstaller-Bess kam der Kontakt mit Alsade und seinem Onkel Hassan Aldeeri mit dem Polsterer zustande. Die beiden Syrer kauften mit der Hilfe von Maximilian Marstaller-Bess das Werkzeug, Nähmaschine und andere Dinge mehr von dem hiesigen Polsterer. Hinzu kam, dass Alsades Arbeitgeber in Mittelstadt ein Laden in Pliezhausen gehört. „Er hat gesagt, wir können den Laden mieten.“ Was für unglaubliche Zufälle.

Für den 35jährigen Hassan Aldeeri war das die Rettung: Alsades Onkel war depressiv, hatte sich über ein Jahr lang in seiner Wohnung verschanzt, lebte nur noch im Dunkeln. Wael Alsade kümmerte sich um ihn. Der Grund für die Depressionen war wohl der, dass Aldeeris Familie immer noch in Idlib an der türkischen Grenze ist. Dort herrscht nach wie vor Krieg, die Situation in der völlig zerstörten Region ist katastrophal. „Durch die Arbeit hat mein Onkel aber wieder Mut gefasst, er kann wieder lachen.“ Nur Deutsch lernen kann er nicht. Als Aldeeri es versucht hatte, geriet er völlig in Stress, „ihm fielen hinten am Kopf kreisrund die Haare aus“, sagt Wael Alsade.  Und die Polsterei? „Die boomt“, sagt Wael Alsade. Und er hilft kräftig mit, macht Kostenvoranschläge, schaut (natürlich) nach der Buchhaltung und nach Aufträgen. Eine Homepage (www.deinpolsterer.com) zeigt die Kunstwerke, die die Beiden vollbringen. „Ich habe alle meine Bekannten und Freunde hier informiert, fast alle haben einen alten Stuhl, ein Sofa oder einen Sessel gebracht“, sagt der 26-Jährige und schmunzelt wieder. Und das Beste: „Wir sind auf zwei Monate ausgebucht“, freut sich der Jungunternehmer.

Trotz seiner enormen Arbeitsbelastung ist Wael Alsade auch nebenher noch aktiv. Denn: „Wenn ich jemanden aus meiner Heimat sehe, dann sehe ich meine Heimat – und da helfe ich gerne.“ Er ist aktiv bei „Flüchtlinge helfen Flüchtlingen“ und ist von Pliezhausen nach Reutlingen umgezogen. „Ich will Platz haben, wenn einer meiner Brüder hierherkommt.“ Doch Mohamad Alsade steckt auf der griechischen Insel Leros, vor der türkischen Küste, in einem geschlossenen Lager fest. „Ich habe ihn mit einem deutschen Freund dort besucht, habe Mohamad Geld und Kleidung gegeben – als ich dann wieder gegangen bin, habe ich zum ersten Mal wirklich verstanden, was Freiheit ist.“ Weil sein Bruder ja nicht mitkommen konnte.

Der Bruder ist auf einem Auge fast blind, er braucht Medikamente, bekommt sie in dem Lager aber nicht. Einmal habe er sich falsche Papiere besorgt, um von der Insel wegzukommen. „Dann haben sie ihn im nächsten Hafen festgenommen“, so Wael Alsade. Er kam nach Chios in ein völlig überfülltes Lager. „Jetzt habe ich eine dort eine Anwältin beauftragt, sie soll für ihn Asyl beantragen und durchkämpfen.“ Ob das funktioniert, weiß der 26-Jährige nicht. 1500 Euro will die Anwältin haben, „egal, ob mein Bruder Asyl erhält oder nicht“. Doch Wael Alsade will die Hoffnung nicht aufgeben – und den Lebenswillen und den Mut erst recht nicht. „Ich bin sehr dankbar, dass ich hier in Deutschland leben kann und die Möglichkeit habe, Geld zu verdienen.“ Denn so könne er auch seine Familie in Syrien immer wieder unterstützen. „Ich würde mir aber auch gerne ein Pferd kaufen und reiten“, träumt der junge Mann.

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