Verletzungstester

0

Verletzungstester

22. August 2020

Es gibt ja Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten. Manche sind blitzgescheit, extrem hell in der Kapell‘, wie man so schön sagt. Es gibt tatsächlich Menschen, die folgen quasi auf den Spuren Einsteins. Andere können ganz toll turnen, schwimmen, reiten, Handball- oder Fußballspielen. Und wieder andere singen ganz toll. Tanzen. Schauspielern. Oder sie können toll Autos verkaufen. Oder verwalten. Oder Steuern eintreiben. Was auch immer. Ich glaube, wir können froh sein, dass es Menschen mit den unterschiedlichsten Fähigkeiten gibt. Und ich?

Ich … also ich habe eine ganz besondere Begabung. Ich kann mich supergut verletzen. Autsch. Schon wieder. Das hat weh getan. Und das beileibe nicht zum ersten Mal. Schon wieder mal habe ich mich beim Schlüsseleinführen ins Haustürschlüsselloch verletzt. Wenn jetzt jemand denkt: Das geht doch gar nicht – Pfeifendeckel. Ich habe schon bestimmt ein Dutzendmal das Gegenteil bewiesen: Ein Fitzelchen Haut zwischen einer Zacke des Schlüsselbarts und dem Schlüsselloch eingeklemmt, ein Stöhnen entringt sich automatisch meiner Kehle, zum Teil aus Schmerz, zum Teil aus Verzweiflung und voller Wut ziehe ich blitzschnell die Hand weg und schaue auf den Finger. Klar. Wie fast immer bildet sich sofort eine kleine Blutblase. Und es tut weh. „Wie blöd muss man eigentlich sein“, sage ich mir dann jedes Mal. Und ich erlebe das ja – zumindest gefühlt – ständig. An einer Sprudel- oder Saftflasche den Deckel aufschrauben, was ja oftmals gar nicht so einfach ist, dann bewegt sich der Deckel endlich ein wenig, die Metallkläppchen am unteren Rand lösen sich etwas und zack – schon wieder habe ich mir in den Finger geschnitten. Anderes Beispiel? Eine Brille, egal was für eine. Sonnenbrille, Gleitsichtbrille, normale Brille. Ich klappe die Bügel der Brille auseinander und zack, schon wieder. In dem winzigen Spalt zwischen Bügel und Brillenrahmen ein Fitzelchen Haut eingeklemmt. Mist. Schmerz. Aua. Verdammt.

Oftmals habe ich mich gefragt, warum mir das immer wieder passiert. Finger in Zwischenräume zu bringen, die eigentlich gar keine Zwischenräume sind, sondern Winzigkeiten im Mikrobereich, in die ich noch winzigere Winzigkeiten meiner Fingerhaut reinbringe. Was doch eigentlich gar nicht möglich ist. Das ist so ähnlich wie mit der Hummel, die rein anatomisch und physikalisch gar nicht fliegen kann. Also gar nicht fliegen können dürfte, wie Physiker es vielleicht sagen würden. Nur: Die Hummel schert sich einen feuchten Kehricht um die Meinungen von Physikern. Und sie fliegt doch. Was das mit meinen Fingern zu tun hat? Naja, eigentlich ist da doch gar kein Platz, um meine Finger genau in eine so winzige Lücke reinzubringen. Und ich schaffe es doch. Wenn ich dann wenigstens wie die Hummel fliegen könnte, denke ich. Das „Aber“ folgt sofort: Was würde ich dann tun, wenn ich nach jedem Fingereinquetschen fliegen würde? Wenn ich doch nicht schwindelfrei bin?

Ach, die Welt ist so ungerecht. Vielleicht könnte ich diese seltene Fähigkeit denn doch irgendwie vermarkten, frage ich mich. So wie ich meine Zehen spreizen kann, was für andere Menschen anscheinend keine Leichtigkeit ist. „Ich trete damit jetzt im Zirkus auf“, habe ich schon gesagt. Aber mit der Fingerverletzungsnummer hätte ich nicht mal im Zirkus des Mittelalters eine Chance gehabt. Obwohl, da waren die Schlüssel ja noch viel größer. Ob ich mich da überhaupt verletzt hätte? Womöglich hätte ich eine ganze Hand in das Schlüsselloch gebracht? Egal. Ich hatte eine andere Idee: Ich melde mich bei Produktdesignern und frage mal nach. Diese Designer müssen ja alles gestalten, von der Bohrmaschine über Rührgeräte bis zum Thermomix. Ich würde mich zur Verfügung stellen und kleinste Lücken im System suchen, indem ich die Geräte ganz einfach bediene. Und dabei nachschaue, ob ich meine Finger da irgendwo einklemmen könnte. Aber es dürften natürlich nicht nur elektrische Geräte sein, nein, alles müsste unter die Lupe genommen werden. Also auch eine Lupe. Denn die gibt es ja zumeist in irgendwelchen Pappschachteln. Schachtel auf, Lupe rausnehmen und zack, im Zwischenraum zwischen Pappe und Lupe, Fingerfitzel rein. Aua. Ich wäre wahrscheinlich extrem erfolgreich beim Aufsuchen von winzigen Zwischenräumen, in denen ich mich verletzen könnte. Bei Kameras etwa mit Drehknöpfen. Oder selbst bei einem Spiralschreibblock – ein Hautstückchen zwischen den Spiralen eingeklemmt. Autsch. Und wenn es mit dem Einklemmen nicht klappt, dann kann ich mich ja immer noch an den extrem scharfen Papierseiten des Blocks verletzen. Kann ich auch gut. Und das ist ebenfalls sehr schmerzhaft. Ach. Wenn man mit solchen Fähigkeiten doch bloß Geld verdienen könnte. Ich wäre stinkereich. Hätte aber wohl auch zehn völlig kaputte Finger.

Share.

Comments are closed.