Gekommen, um zu bleiben

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Der Syrer Nihat Suliman kam 2015 nach Deutschland, er wohnt in Pliezhausen, eröffnet am kommenden Dienstag, 1. September, eine Schneiderei in Kirchentellinsfurt

Nihat Suliman freut sich sehr als er die Ladenschlüssel von Kerstin Nagel-Luik entgegennimmt. Eine neue Existenz tut sich vor ihm auf. Ein neues Leben mit erneuter Selbständigkeit. Suliman wird nämlich nun wieder eine Schneiderei eröffnen, in Kirchentellinsfurt. In Syrien, in Aleppo, hatte er schon mal einen Textilbetrieb – dort allerdings mit bis zu 40 Angestellten. Ihm und seiner Familie ging es gut in Aleppo. Bis der Krieg kam. „Wir haben die Flugzeuge gesehen, die über der Stadt geflogen sind und ihre Bomben abgeworfen haben“, berichtet der heute 43-Jährige.

2015 hat er sich auf den Weg gemacht, er wollte nach Deutschland. „Vorher habe ich meine Familie nach Afrin gebracht, da lebten meine Eltern.“ Am 25. April begann seine Flucht, am 10. Juli kam er in Deutschland, in Trier, an. Alle wichtigen Daten hat sofort parat. Zuerst ging es in die Türkei, von dort mit einem Schnellboot nach Griechenland. „Das war kein Schlauchboot, ich musste für die Überfahrt viel Geld bezahlen“, berichtet Suliman im Rückblick. Auf seinem Weiterweg über Makedonien und Serbien „bin ich 24 Tage nur gelaufen.“ Warum wollte er gerade nach Deutschland, nicht nach Schweden, Frankreich oder Holland? Nihat Suliman lacht. „Ich liebte schon immer den deutschen Fußball, Rudi Völler, Oliver Kahn“, sagt der Syrer und grinst übers ganze Gesicht. Und er kannte in Deutschland einige Landsleute, die schon vor 20 Jahren hierherkamen und in Deutschland studiert hatten.

Von Trier kam Suliman nach Karlsruhe, dann Heidelberg, wo er drei Monate war. Sasbachwalden folgte (drei Monate), dann Münsingen (1,5 Jahre), danach kam er nach Pliezhausen. „Ein Freund hat mir gesagt, dass es gut ist in Pliezhausen“, sagt der 43-Jährige und zeigt schon wieder sein bezauberndes Lächeln. In Pliezhausen hat er dann vor drei Jahren sofort einen Deutschkurs begonnen. Warum nicht schon zuvor in Münsingen? Die Antwort verblüfft: „In Münsingen war immer Schnee“, sagt Süliman. Es sei immer kalt gewesen auf der Schwäbischen Alb, keine Menschen auf der Straße. Und dann lacht er schon wieder, weil er genau weiß, dass das so nicht stimmt. Aber in seiner Erinnerung war es wohl so. Vielleicht auch, weil er da ja noch getrennt von seiner Frau und den fünf Kindern war. Am 1. Oktober 2018 (ein weiteres wichtiges Datum für Suliman) kam seine Familie hier an. „Das war aber nicht einfach für meine Frau, sie musste ja erst mal mit den Kindern in den Libanon nach Beirut, um dort ein Visum in der Deutschen Botschaft für Familiennachzug zu stellen.“ Doch es hat funktioniert. Was für ein Glück.

Die Idee, wieder eine eigene Schneiderei hier aufzumachen, hat Nihat Suliman die ganze Zeit begleitet. Doch in Pliezhausen gibt es schon eine Schneiderin. Nun kommt Gunter Schanz ins Spiel, der sich im Freundeskreis Asyl Pliezhausen engagiert. Eine Bekannte von Schanz hatte davon gehört, dass in Kirchentellinsfurt Heide Breiter ihre Nähstube in der Ortsmitte aufgegeben hat. Und dass die Gärtnerei Nagel einen Nachmieter suchte. „Die Nachfrage war riesengroß“, berichtet Kerstin Nagel-Luik. Ein Nagelstudio, ein anderer Schneider, selbst die Musikschule hätten sich beworben. Doch Nagel-Luik hat sich für Suliman entschieden.

Bis zum kommenden Dienstag gibt es noch einiges zu tun in dem Laden – auch wenn die Vermieterin die Räume streichen und Starkstrom für die Bedürfnisse von Nihat Suliman verlegen ließ. Vier Nähmaschinen wird er dort aufstellen. Warum so viele? „Um alles schön und wie neu zu nähen, brauche ich vier unterschiedliche Maschinen.“ Am 1. September wird er um 14 Uhr den Laden feierlich eröffnen. „Die Lage ist optimal“, sagt Gunter Schanz. Mitten im Ort von K‘furt, in der neugestalteten Dorfstraße. Banken, Rathaus, Apotheke, Bäcker, Metzger – alles ist gleich ums Eck. „Und die Schneiderei von Heide Breiter lief sehr gut, viele haben sich gefreut, dass jetzt wieder ein Schneider dort einziehen wird“, berichtet Kerstin Nagel-Luik.

Damit Suliman den Laden künftig halbtags zwischen 14 und 19 Uhr geöffnet haben  kann (samstags zwischen 9 und 13 Uhr, „vielleicht auch 14 Uhr“, sagt er) hat Nihat Suliman seinen anderen Vollzeitjob in einer Sondelfinger Matratzenfabrik auf die Hälfte reduziert. Dass das möglich war, freut Suliman. Auto und Führerschein hat er auch, die Mobilität ist also gewährleistet. Wie das war, die schriftliche Führerscheinprüfung abzulegen? Mit noch nicht perfekten Deutschkenntnissen? „Ich habe die Prüfung auf Arabisch gemacht“, sagt Suliman. Und lacht. Einfach sei das aber trotzdem nicht gewesen. „1200 Fragen“, sagt er.

Ob er irgendwann, wenn der Krieg, der Terror in Syrien vorbei sein sollte, wieder zurück in seine Heimat gehen will? „Nein“, sagt er nach kurzer Überlegung. „Ich will hierbleiben.“ Kurz darauf erklärt er, dass er Kurde ist. Aus einem Volk, das durch den Kolonialismus auf vier heute unterschiedliche Staaten verteilt wurde. „Ich hatte in Syrien eigentlich auch keine Heimat.“ Für ihn und seine Familie sei es in Deutschland besser. Er fühlt sich mittlerweile angekommen in diesem anfangs so fremden Land. Auch wenn er diesen Begriff des „Angekommen-seins“ nicht so richtig versteht. „Ich will hierbleiben“, betont Nihat Suliman. Und er hofft natürlich, dass seine Schneiderei in Kirchentellinsfurt ein Erfolg wird.

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