Warum Bahnfahren?

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Nun gibt es also das 49-Euro-Ticket. Das Beste daran: Man muss sich keine Gedanken mehr um Anschlüsse, um Fahrscheine, um Automaten, die richtige Bedienung, um kaputte Bedientasten und noch viel mehr machen. Einfach auf der App bahn.de nach der richtigen Verbindung schauen, den passenden Bus dafür finden – und los geht’s. Einsteigen, Ticket vorzeigen, ohne viel Nachdenken.

Okay, mit dem Auto wäre ich, nach Tübingen etwa, immer noch schneller unterwegs als mit Bus und Bahn. Aber nicht wesentlich. Und: Ich muss in kein Parkhaus mehr rein, keine Parkgebühren zahlen, nicht an jeder schmalen Auffahrt befürchten, dass ich mit dem linken oder rechten Kotflügel hängenbleibe … dabei ist mein Auto schmäler als die meisten anderen …

Ach ja, dachte ich vor kurzem. Es wäre doch mal an der Zeit, Gründe zu sammeln für das Bahnfahren. Als ich am Sonntag etwa mit Bine nach Tübingen gefahren bin, haben wir ein sehr süßes Papa-Kind-Paar beobachten und belauschen können. „Schau“, sagte der Papa, Marke Vollbart, voller Tattoos, ziemlich bullig und fast zum Fürchten. „Das da drüben, der große Kran, das ist …“ „Weiß ich doch“, sagte der kleine Fratz und schaute begeistert aus dem Zugfenster. „Huiiii“, rief er immer wieder begeistert „Schau mal Papi, da drüben, ein Hotel, da waren wir doch auch schon drin.“ „Das war dann aber doch woanders“, sagt Papa. „Weiß ich doch“, sagt der Dreikäsehoch. Süß. Wunderbar, diesem Paar zuzuhören.

So was erlebt man im eigenen Auto natürlich nicht. Da sitzt jeder für sich hinter seinem Lenkrad, ist genervt, weil die anderen wie immer so einen Mist zusammenfahren. Warum gibt der vor mir denn kein Gas, es ist doch Grün. Warum bremst der (oder die) denn jetzt, das hätte doch ewig noch gereicht, verdammter Mist. Und warum biegt der jetzt einfach ab, ohne blinken, Vollbremsung und dann abgebogen – geht’s noch. Verdammter Mist. Hinter dem Steuer werden die meisten Autolenker zum Tier. Nein. Ich natürlich nicht. Ich bin nicht so einer. Aber … manchmal, da nerven die anderen schon.

Und im Zug? Da kann ich mich ganz entspannt zurücklehnen. Ich nehme ja immer Lektüre mit. Auseinandergepflückte ZEIT-Seiten, viel zu selten komme ich dazu, die Artikel zu lesen. Was für eine Wohltat, in Bus und Zug nach Tübingen zum Landgerichtstermin wenigstens einen oder zwei Artikel lesen zu können.

Und vielleicht erlebe ich ja wieder so was Nettes wie vor kurzem, als wir abends im LTT waren, auch mit dem Zug. Auf der Rückfahrt saßen eine Sitzreihe neben uns zwei Jugendliche. Einer hatte seine Füße mitsamt Schuhen auf dem gegenüberliegenden Sitz abgelegt. Ich fragte mich, ob ich was sagen müsse. Der Größere der beiden jungen Männer fängt an, Musik laufen zu lassen, auf seinem Handy. „Das ist schon ziemlich leise“, sagt er, schaut zu uns herüber und fragt: „Was hören Sie denn für Musik? Gefällt Ihnen die aus den 80ern?“ „Ja“, sagen wir. „Könnte schon sein, aber nicht alles.“ Der Jugendliche sucht in seinem Smartphone, spielt einen Hit aus den 80ern, fragt uns: „Kennen Sie das?“ „Und ihr“, fragen wir zurück. „Ja klar“, sagt der Hübsche mit den Füßen auf dem Sitz. „Warten Sie mal“, sagt der andere. „Kennen Sie das?“ Auch das kennen wir. „Das ist die Musik aus unserer Jugend“, sage ich und lache. Fast schon ein wenig hektisch sucht der junge Mann weiter. Er findet immer weitere Titel, die sowohl er, sein Kumpel und wir kennen. Wir amüsieren uns köstlich, alle Vier – und bedauern es, als der Zug in Reutlingen ankommt und wir aussteigen müssen.

Ja. Sowas erlebt man im eigenen Auto nicht. Genauso wenig wie eine rosahaarige Schaffnerin, Fahrgäste allen Alters, aller Schattierungen, Hautfarbe, mit und ohne Kopftuch, Piercings, Tattoos, Rolex (naja, das eher weniger) oder sonstigem Schmuck.

Natürlich, es gibt auch die anderen Erlebnisse. Wenn gerade die Schule, die Uni, die Arbeit beginnt, die Züge rappelvoll sind, nicht mehr als ein Stehplatz übrigbleibt, der Bus oder Zug enorm Verspätung hat oder ganz ausfällt. Ja klar. Das nervt. Aber: Ich finde das 49-Euro-Ticket eine tolle Einrichtung – für weniger Betuchte sollte es allerdings noch deutlich günstiger sein. Weil sich Bürgergeldempfänger so ein Ticket mit Sicherheit nicht leisten können. Aber sonst … tipptopp.

Zumal wir dann auch noch umweltfreundlich unterwegs sind. CO2 in rauen Mengen einsparen. Und dabei ein richtig gutes Gefühl haben. Sonstige Vorzüge beim Bus- und Zugfahren? Wenn ich nach Stuttgart fahre, bin ich mit dem Zug meist sogar schneller als mit dem Auto. Vorausgesetzt, dass das mit der Busverbindung auch noch klappt. Da hapert es öfter. Wenn ich das Pech habe, um 11 Uhr 02 mit dem Zug in Reutlingen anzukommen und um 11 Uhr 01 der Bus in mein Wohngebiet abgefahren ist, dann müsste ich fast 20 Minuten auf den nächsten Bus warten. Dann laufe ich doch lieber, denke ich meist. Und das hat sogar einen Vorteil, denn: Dann habe ich sogar noch was für meine Bewegung getan. Im Auto wäre ich sonst nur gesessen. Und mit dem Zug und verpassten Bus bin ich wenigstens 1,7 Kilometer heimgelaufen. Weil: Bewegung ist ja wichtig. Je älter ich werde, umso wichtiger. Also denn. Zugfahren ist toll. Töfte oder bombastisch, wie wir als Jugendliche früher gesagt haben.

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