„Warum nicht mal einfach machen?“

0

Entwicklungspolitische Gesprächsreihe: „Fair beim Klima“ spricht mit auserlesenen Gästen im Spitalhof die gewaltigen Probleme der heutigen Zeit an, auch auf lokaler Ebene

Die Zeit drängt, darin waren sich alle Diskutantinnen und Diskutanten am Mittwochabend im Reutlinger Spitalhof bei der letzten Veranstaltung der Podiumsdiskussion der „Entwicklungspolitischen Gesprächsreihe“ einig. Die Zeit dränge enorm, aber, so betonte der 16jährige Reutlinger Schüler und Fridays for future-Aktivist Jaron Immer: „Mir fehlt das Gefühl, dass die Klimapolitik oberste Priorität hat – egal, ob im Bund, im Land oder auch im Reutlinger Rathaus.“ Der konkret angesprochene Oberbürgermeister Thomas Keck konterte, dass er nur das machen könne, was der Gemeinderat beschließe. „Aber du hast doch Spielräume, die du ausnutzen könntest“, war der Schüler ins vertrauliche „Du“ verfallen. „Wir können dir ja mal eine Liste erstellen, welche Spielräume du so hast“, sagte der Schüler mit Augenzwinkern.

Ausgangspunkt der Diskussion im Reutlinger Spitalhof war ein Vortrag von Ex-TV-Wettermann Alexander Lehmann: Er berichtete über den Klimawandel und kam zu der persönlichen Forderung: Die Umstellung auf regenerative Energien müsse jetzt „viel größer, schneller und effektiver gedacht und umgesetzt werden“. Dem stimmte Jaron Immer vorbehaltlos zu. Ebenso wie die Grünen-Politikerin Sylvia Kotting-Uhl, die im vergangenen Bundestag Vorsitzende des Umweltausschusses war. „Wir haben jetzt schon eine Klimaerwärmung von 0,8 Grad, die Dürren nehmen zu, riesige Flächen in der Tundra tauen auf.“ Nicht auszudenken, wenn die Temperatur um 2,8 Grad oder noch mehr ansteigen würde. „Die gesamte Lebensweise weltweit muss umgestellt werden“, so ihre Schlussfolgerung.

„Der Klimawandel trifft unheimlich viele Menschen vor allem im globalen Süden seit Jahren, weil wir hier so viele Treibhausgase emittieren“, sagte Jaron Immer. „Wir müssen endlich Verantwortung dafür übernehmen, es geht schließlich nicht nur um uns“, so des Schülers Forderung. Thomas Keck sagte dazu: „Wenn uns mal ein Unwetter trifft wie am 28. Juni vergangenen Jahres jammern wir auf sehr hohem Niveau.“ Seine Aufgabe sei natürlich, zu schauen, dass sich was ändert in Richtung Klimaschutz, „das Problem ist aber – das kostet alles viel Geld“. Geld, das die Stadt in der schlimmsten Finanzkrise seit 1945 nicht habe. „Natürlich müsste die Transformation hin zu mehr Klimaschutz viel schneller vorangehen, aber ich weiß nicht, wie ich das finanzieren soll“, so Keck. Das ließ der 16-Jährige so nicht stehen: Es gebe einige Maßnahmen, die nichts oder nicht viel kosten würden. Wie zum Beispiel „den Autoverkehr einzuschränken durch Geschwindigkeitsbeschränkungen“. Das habe der Gemeinderat aber abgelehnt, sagte Keck. Keine Straßen mehr bauen, forderte Immer. „Ich baue keine Straßen“, konterte der OB. „Und was ist mit der Dietwegtrasse“, fragte der Schüler. „Das ist ein Bundesprojekt, da kann ich nichts machen“, so Thomas Keck.

Grundsätzlich hätten Reutlinger Einwohner Autos in der DNA, da sei es enorm schwierig, Maßnahmen gegen den motorisierten Individualverkehr umzusetzen, sagte Keck. Das war ein Stichwort für Sylvia Kotting-Uhl: Sie wisse aus eigener Erfahrung, „dass die Politik der eigenen Bevölkerung und der Wirtschaft nie zu viel zumuten will – das allerdings erschlägt die Klimagerechtigkeit“. Alexander Lehmann ergänzte: „Politik sollte nicht ständig und grundsätzlich verwässert werden, mir fehlt jemand, der sagt, wir machen jetzt zum Beispiel ein CO2-Budget für jeden und Pendler kriegen Erleichterungen.“ Zustimmung von Kotting-Uhl: „Es stimmt, diese Mentalität des ‚einfach mal machen‘ fehlt, aber – ich sehe auch die Zwänge.“ Nämlich jene, in denen sich etwa OB Keck befinde. Aber immerhin: Die neue Bundesregierung wolle einen „Klima-Club der Ambitionierten“ einrichten, für Staaten, die in Sachen Klimaschutz voranschreiten. Aber: „Die USA müsste auf jeden Fall dabei sein.“

Lehmann bemängelte jedoch den Zeithorizont: „Warum funktioniert die Umstellung auf regenerative Energien nicht ohne den Druck des Ukraine-Krieges?“ Sylvia Kotting-Uhl sagte: „Weil das in der Natur des Menschen liegt, weil der Mensch immer nur reagiert, wenn der Druck immens ist.“ Thomas Keck verwies auf das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, das innerhalb von wenigen Tagen genehmigt wurde. „Warum gibt es so was nicht für den Klimaschutz“, fragte Keck. Das werde es doch geben, antwortete die Grünen-Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmeke aus dem Publikum heraus. Davon wisse er nichts, sagte Keck.  „Das ist auch ganz neu“, so Müller-Gemmeke.

Share.

Comments are closed.